Zur Begründung dieser Auffassung heißt es, § 148 StPO garantiere einen freien und ungehinderten mündlichen und schriftlichen Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger und verbiete die Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen daher auch dann, wenn diese sich im Besitz des Beschuldigten befänden.[119] Zwar beziehe sich die Vorschrift des § 148 Abs. 1 StPO seinem Wortlaut nach nur auf den Verkehr des Verteidigers mit einem inhaftierten Beschuldigten. Dieser Grundsatz des freien ungehinderten Verkehrs müsse jedoch auch für den auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gelten.[120] § 148 StPO sei Ausdruck einer allgemeinen Rechtsgarantie des unüberwachten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigten und diene somit einer wirksamen ungehinderten Strafverteidigung. Der Schutz gelte daher erst Recht für den in Freiheit befindlichen Beschuldigten.[121] Eine ausdrückliche Regelung sei aus diesem Grund unnötig.[122] Nur für den inhaftierten Beschuldigten habe es wegen der besonderen Ausgestaltung des durch die Inhaftierung gegebenen – früher angenommenen[123] – besonderen Gewaltverhältnisses und der insoweit zulässigen Überwachung des mündlichen und schriftlichen Verkehrs des Beschuldigten der besonderen Regelung des § 148 StPO bedurft. Jede andere Auslegung würde zu einer unzulässigen Benachteiligung des auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten führen. Eine Erstreckung des Beschlagnahmeschutzes auf den Postweg sei aus denselben Gründen geboten.[124] Die Erstreckung auf Datenträger entspreche § 11 Abs. 3 StGB.[125]
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Die schlichte Behauptung, Unterlagen würden zur Verteidigung benötigt, oder die Vermischung von Beweismitteln mit Verteidigungsunterlagen hindert die Beschlagnahme demgegenüber nicht.[126] Soweit es sich allerdings um Verteidigungsunterlagen handelt, dürfen zu Unrecht beschlagnahmte Unterlagen nicht verwertet werden.[127]
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Endet der Gewahrsam z.B. durch freiwillige Aufgabe, Tod oder Diebstahl, findet § 97 StPO grundsätzlich keine Anwendung mehr.[128] Eine Ausnahme wird in den Fällen gemacht, in denen der berechtigte Gewahrsamsnachfolger derselben Berufskategorie zuzurechnen ist wie der Berufsträger.[129] Einen häufigen Anwendungsfall dieser Ausnahmeregel bildet der Kanzleiübergang auf einen Rechtenachfolger, aber auch die Übergabe des Gegenstandes an einen Kollegen, um fachlichen Rat zu erhalten.[130]
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Ein Sonderproblem des Gewahrsams stellt sich bei Geschäfts- und Buchungsunterlagen, die der Beschuldigte seinem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer übergeben hat. Hier ist umstritten, ob der Berufsträger Alleingewahrsam hat, was – die weiteren Voraussetzungen unterstellt – zu einem Beschlagnahmeverbot führen würde,[131] oder lediglich Mitgewahrsam mit dem Beschuldigten, was für eine zulässige Beschlagnahme spräche.[132] Mitgewahrsam solle bestehen, weil der Mandant jederzeit berechtigt sei, die Buchhaltungsunterlagen zurückzufordern.[133] Dieser Argumentation Biermanns und des LG Aachen hatte das LG München aber schon früh und überzeugend widersprochen. Rechte an einem Gegenstand könnten grundsätzlich keinen Gewahrsam begründen.[134] Für den Gewahrsamsinhaber sei vielmehr die tatsächliche Sachherrschaft kennzeichnend. Deshalb führe der Umstand, dass der Mandant Unterlagen zurückfordern könne, nicht zur Begründung eines Mitgewahrsams. Diese Auffassung kann heute wohl als herrschend bezeichnet werden.[135] Der Argumentation ist nichts hinzuzufügen.
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Ein weiteres Auslegungsproblem stellt sich in Bezug auf elektronische Dokumente, da der Gewahrsam an ihnen im Einzelfall schwer zu bestimmen ist, wenn auf diese von verschiedenen Orten zugegriffen werden kann. Für das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO ist jedoch allein maßgeblich, wo diese Dateien gespeichert sind.[136] Es ist damit auf den Gewahrsam am Datenträger abzustellen. Eine Ausnahme ist erneut für Verteidigungsunterlagen zu machen.
d) Beschlagnahme erforderlich, keine freiwillige Herausgabe
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Wie bereits unter Rn. 28 ausgeführt, schützt § 97 StPO nur vor Beschlagnahme. Eine freiwillige Herausgabe ist jederzeit möglich.
a) Sog. „Verstrickung“, § 97 Abs. 2 S. 3 1. Var. StPO
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Nach § 97 Abs. 2 S. 3 1. Var. StPO gilt das Beschlagnahmeverbot nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat (Anm.: des Anvertrauenden) oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Diese Formulierung entspricht auch § 160a Abs. 4 S. 1 StPO. Auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kommt es dabei ebenso wenig an[137] wie auf die Frage, ob die Beteiligung strafbar ist.[138] Lediglich eine rechtswidrige Tat i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB soll erforderlich sein.[139] Der Verdacht selbst muss sich aus bestimmten äußeren oder inneren Tatsachen ergeben und über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen.[140] Der erforderliche Grad der Konkretisierung ist abhängig von der Schwere des Eingriffs in das Vertrauensverhältnis und muss bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Beschlagnahme erreicht sein.[141] Bei Verteidigern gilt im Hinblick auf § 148 StPO die Besonderheit, dass stets gewichtige Anhaltspunkte für eine Beteiligung erforderlich sind.[142]
b) Sog. „Deliktsgegenstände“, § 97 Abs. 2 S. 3 2. Var. StPO
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Nach § 97 Abs. 2 S. 3 2. Var. StPO gilt das Beschlagnahmeverbot ebenfalls nicht, wenn es sich bei den zu beschlagnahmenden Gegenständen um solche handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, zu ihrer Begehung gebraucht worden oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren. Sie können daher unbeschränkt beschlagnahmt werden. Unter Gegenstände, die zur Begehung einer Straftat gebraucht worden sind, fallen auch solche, die der Tatvorbereitung dienten.[143] Häufig genannte Beispiele sind der über einen beabsichtigten Betrug geführte Schriftwechsel[144] und die zur Begehung einer Wirtschafts- oder Steuerstraftat benutzten Buchungsunterlagen.[145]
4. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Beschlagnahmeverbot
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Verstoßen die Ermittlungsbehörden gegen das einen Berufsgeheimnisträger betreffende Beschlagnahmeverbot, richtet sich die Verwertbarkeit bzw. Verwendbarkeit[146] nach § 160a StPO. § 160a Abs. 1 S. 2 und S. 5 StPO führt stets zur Unverwendbarkeit, im Rahmen des § 160a Abs. 2 S. 3 StPO ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach strengen Maßstäben durchzuführen. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 160a Abs. 1 StPO zum 1.2.2011 u.a. auf Rechtsanwälte[147] ist zu beachten. Der in § 160a Abs. 5 StPO normierte Vorrang des § 97 StPO gilt mit umstrittenem Umfang nur für die Ermittlungsmaßnahme als solche und betrifft die Regelung zur Verwendbarkeit erlangter Erkenntnisse bei Gesetzesverstößen nicht.[148] Die Verwertung der Erkenntnisse trotz Verwertungs- bzw. Verwendungsverbot führt zu einem Revisionsgrund.[149] Im Rahmen der Revisionsbegründung muss dargelegt werden, dass die Voraussetzungen der §§ 97 Abs. 2 S. 3, 160a Abs. 4 StPO nicht vorlagen.[150]
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War die Beschlagnahme zunächst zulässig, bleiben die Erkenntnisse nach herrschender Auffassung verwertbar, selbst wenn später ein Beschlagnahmehindernis entsteht, z.B. der Teilnahmeverdacht entfällt.[151] Im umgekehrten Fall, wenn die Beschlagnahme zunächst unzulässig