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Soweit die Frage nach von Dritten übergebenen Gegenständen zur Verteidigung im Raum steht, werden diese allgemeinen Argumente aber noch durch das weitere Argument gestützt, dass auch diese Unterlagen unmittelbar das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsträger und Beschuldigtem betreffen, auch wenn sie nicht von einem dieser beiden stammen.[51]
Erfreulicherweise hat sich daher seit den neunziger Jahren in der Rechtsprechung ein Umdenken eingestellt und die Entscheidungen mehren sich, die eine Beschränkung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO auf Gegenstände, die der Beschuldigte dem Berufsträger übergeben hat, ablehnen.[52] Die herrschende Auffassung hat sich insoweit gewandelt und wird nun sowohl dem Wortlaut als auch dem telos besser gerecht.[53]
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In der zweiten, jedoch verwandten Fallkonstellation verlaufen Argumentation und Entwicklung des Meinungsspektrums ähnlich. So wollte das LG Braunschweig aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes ableiten, das Buchhaltungsunterlagen und Belege, die ein Steuerberater für seinen Mandanten verwahrt, aus dem Anwendungsbereich der Norm auszunehmen seien.[54] Das LG Braunschweig argumentierte, dass nach Sinn und Zweck der Norm nur solche Aufzeichnungen, Mitteilungen und andere Gegenstände privilegiert werden dürften, die innerhalb des Vertrauensverhältnisses entstanden seien. Ganz eindeutig gelte dies für die in § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO genannten schriftlichen Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen sowie für die in § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO genannten Aufzeichnungen der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen über anvertraute Mitteilungen oder über andere Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstrecke.[55] Im Rahmen der Nr. 3 dürfe jedoch nichts anderes gelten. Auch der Anwendungsbereich dieser Nr. müsse im Hinblick auf den Sinnzusammenhang der Nr. auf entsprechende Gegenstände beschränkt bleiben.[56] Hieraus folgte für das LG Braunschweig und die anderen Vertreter einer derart restriktiven Auslegung, dass privilegiert nur ein solches Beweismittel sein könne, das an die Stelle des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen treten könne oder das durch ihn im Einzelnen erläutert werden müsse. Es sei erforderlich, dass das Beweismittel eigene Wahrnehmungen des Zeugen in vergegenständlichter Form enthalte, was auf Buchführungsunterlagen und Belege eines Beschuldigten, die von ihm, d.h. dem Beschuldigten, oder innerhalb seiner Firma von seinen Mitarbeitern gefertigt worden seien, nicht zuträfe. Eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot nur für Gegenstände zuzulassen, die zum Zwecke des Versteckens vor den Verfolgungsbehörden an die zeugnisverweigerungsberechtigte Person weitergegeben worden sind, unterliege praktischen Bedenken.[57]
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Inzwischen scheint sich aber auch hier abzuzeichnen, dass sich eine Orientierung an den §§ 53, 53a StPO und dem Merkmal des Berufsbezugs durchsetzt.[58] Die grundsätzliche Ablehnung der Beschlagnahmefreiheit ist einer differenzierenden Auffassung gewichen. Hiernach sollen Geschäftsführungs- und Buchungsunterlagen vom Beschlagnahmeverbot erfasst werden, wenn sie dem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zur Erstellung von Jahresabschlüssen oder Steuererklärungen übergeben worden sind und solange sie für diese Zwecke benötigt werden, nicht dagegen, wenn den Berufsträgern lediglich die Buchführung obliegt und ihnen die Unterlagen nur zu diesem Zweck übergeben worden sind.[59] Da das Buchführungsprivileg der steuerberatenden Berufe nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 6 Nr. 3 StBerG gegen Art. 12 GG verstöße,[60] gehöre die Buchführungstätigkeit nicht zum Berufsbild des Steuerberaters und würde den §§ 53, 53a StPO nicht unterfallen.[61] Das Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 53, 53a StPO und die Beschlagnahmefreiheit müssten dem Sinn und Zweck des § 97 StPO entsprechend jedoch korrespondieren.[62] Vergegenständlichte Erklärungen über deren Inhalt der Zeugnisverweigerungsberechtigte bei mündlicher Mitteilung nicht auszusagen bräuchte, müssten der Beschlagnahme daher konsequent entzogen werden.[63] Die entgegenstehende Auffassung sei zu eng und finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze.[64] Gleiches muss aber wohl auch für die Beschränkung der Beschlagnahmefreiheit durch die nun herrschende Meinung auf den Zeitraum gelten, in dem die Unterlagen tatsächlich zur Erstellung von Jahresabschlüssen oder Steuererklärungen verwendet werden, da § 97 StPO nicht die bloße ordnungsgemäße Abwicklung eines Steuerberatungsmandates schützen will, sondern – so das LG Stade – das Geheimhaltungsinteresse des jeweiligen Auftraggebers, welches analog § 54 Abs. 4 StPO das zugrundeliegende Mandatsverhältnis überdauere.[65] Als Zwischenfazit zu den ersten beiden Fallgruppen bleibt daher festzuhalten, dass sich die herrschende Auffassung erkennbar gewandelt hat und nach und nach Konturen annimmt, auch wenn noch nicht alle Detailfragen endgültig beantwortet sind.[66] Die Erfolgsaussichten einer Verteidigung gegen die Beschlagnahme dürften in den verschiedenen Landgerichtsbezirken noch immer ebenso unterschiedlich sein wie der Einfluss nur geringfügiger Abweichungen der festgestellten Tatsachen groß.
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Am stärksten wirkt sich der Versuch einer Beschränkung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO auf das Verhältnis Berufsträger/Beschuldigter und die Lösung von den Vorgaben der §§ 53, 53a StPO auf die dritte und im Hinblick auf interne Ermittlungen bedeutendste Fallkonstellation aus. Der wesentliche Unterschied zu den vorgenannten Konstellationen besteht darin, dass es sich bei dem Mandanten nicht um den Beschuldigten selbst handelt und der Beschuldigte auch nicht im Rahmen eines „mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses“ darauf vertrauen darf, dass die im Zuge der internen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse nicht gegen ihn verwendet werden.[67] Erst Ende 2010 hat das LG Hamburg daher in einem viel beachteten Beschluss festgestellt, § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO sei nicht dahin zu verstehen, dass die Norm dem Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3b StPO entspreche und auch sonstige Mandatsbeziehungen umfasse.[68] Vielmehr sei der Anwendungsbereich dahingehend einzuschränken, dass allein das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten im Strafverfahren zu einem von ihm in Anspruch genommenen Zeugnisverweigerungsberechtigten geschützt sein solle. Das Mandatsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und einem Nichtbeschuldigten wird nach der Entscheidung des LG Hamburg also ebenso wenig erfasst wie das Verhältnis des Beschuldigten zu einem Rechtsanwalt, den er nicht selbst mandatiert hat. Zur Begründung dieser Auffassung bezieht sich das LG Hamburg auf die gängige Kommentarliteratur, räumt aber zugleich ein, dass der BGH diese Frage in BGHSt 43, 300, offen gelassen habe. Die ebenfalls häufig vertretene Gegenposition wird gänzlich ausgeblendet.[69] Die Argumentation des LG Hamburg ähnelt der zur Übergabe von Gegenständen durch Dritte sehr, und der enge Zusammenhang der Nr. 3 zu den Nr. 1 und 2 wird herausgestrichen. Eine erweiternde Auslegung würde die Nr. 1 und 2 überflüssig machen.[70] Der Schutz eines Rechtsanwalts vor Beschlagnahmen wird durch die Entscheidung im Ergebnis deutlich beschränkt.
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Den ersten Widerstand gegen diese Entkopplung der §§ 53, 53a und 97 StPO im Zusammenhang mit internen Ermittlungen formulierten Jahn und Kirsch.[71] Für sie liegt auf der Hand, dass § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO internen Ermittlern Schutz gewähre, da Rechtsanwälte unabhängig vom Bestehen eines Verteidigungsmandats der Norm unterfielen. Über den Inhalt eines geführten Interviews dürfte der Berufsträger daher nur Auskunft erteilen, wenn er zuvor von demjenigen, zu dessen Gunsten die Schweigepflicht gesetzlich begründet werde, von der Pflicht zu Verschwiegenheit entbunden worden sei. Aus historischer Sicht diene § 97 StPO gerade dazu, eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Beschlagnahme zu verhindern.[72] Die umfassende und überzeugende Darstellung kann hier aus Raumgründen nicht wiederholt werden. Als Fazit halten Jahn und Kirsch fest, „dass das Beschlagnahmeverbot im Ganzen als akzessorischer Umgehungsschutz für das Zeugnisverweigerungsrecht