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Da der Wortlaut des Abs 4 S 2 davon spricht, dass die jeweilige Bestimmung des unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens bei Übereinstimmung der Vertragsstaaten „ersetzt“ wird, sind dem Verwahrer anscheinend DBA, die bislang keine Regelung zur Bestimmung der Ansässigkeit von ansonsten doppelt ansässigen nicht natürlichen Personen enthalten, nicht zu notifizieren. Sofern für ein solches DBA kein Vorbehalt nach Abs 3 Buchst a) oder Buchst e) greift, gilt nach Abs 2 S 1 die Regelung des Abs 1 unabhängig von einer Notifikation. Gleichwohl würde es Klarheit schaffen, wenn dem Verwahrer von den Vertragsstaaten mit entsprechendem Hinweis auch solche Art eines DBA notifiziert würden, die lediglich um die Bestimmung des Abs 1 zu ergänzen sind.
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Abs 4 S 3 bestimmt, dass anderenfalls („in other cases“) Abs 1 nur insoweit an die Stelle der Bestimmungen des jeweiligen Abkommens tritt als diese mit Abs 1 unvereinbar sind. Die Bestimmung greift grds, wenn nicht alle Vertragsstaaten dem Verwahrer hinsichtlich eines DBA dieselbe Bestimmung notifiziert haben. Da den Vertragsstaaten nach Abs 3 Buchst a) ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt wird, Abs 1 und damit letztlich Art 4 insgesamt nicht anzuwenden, muss Abs 4 S 3 eng ausgelegt werden. Die Regelung kann nur auf unter das Übereinkommen fallende Steuerabkommen anwendbar sein, wenn keine Vertragspartei einen wirksamen Vorbehalt nach Abs 3 Buchst a) – d) angemeldet hat und auch kein Vorbehalt nach Abs 3 Buchst e greift, aber trotzdem nicht durch alle Vertragsstaaten eine Notifikation der Bestimmung nach Abs 4 S 2 vorliegt. Dies könnte zum einen der Fall sein, wenn ein DBA bislang keine Bestimmung zur Doppelansässigkeit nicht natürlicher Personen enthält oder wenn alle oder einzelne Vertragsparteien es unterlassen haben, die zu ändernden Bestimmungen eines DBA nach Abs 4 S 2 zu notifizieren. Die Bestimmung verhindert damit, dass Vertragsstaaten durch das Nichtnotifizieren von einzelnen Bestimmungen zur Doppelansässigkeit die Anwendung des Art 4 MLI für diese unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen vermeiden können.[65]
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Enthält ein unter das Übereinkommen fallendes Steuerabkommen bislang also keine Regelung zur Doppelansässigkeit nicht natürlicher Personen, so wird es nach Abs 4 S 3 um die Regelung in Abs 1, unabhängig von einer Notifikation, ergänzt, sofern keine Vorbehalte der Vertragsstaaten dagegen sprechen. Mit Abs 1 unvereinbar iSd Abs 4 S 3 sollte grds jede nicht mit Abs 1 wortgleiche Regelung zur Bestimmung der Ansässigkeit bei nicht natürlichen Personen sein, die ansonsten als doppelt ansässig gelten würden, sodass diese Regelung auch ohne Notifikation, sofern keine Vorbehalte nach Abs 3 dagegensprechen, durch Abs 1 ersetzt wird. Damit entfallen, mit Ausnahme von Regelungen zur Ansässigkeit bei zweifach eingetragenen Unternehmensstrukturen, auch jegliche Sonderregelungen zur Bestimmung der Ansässigkeit von nicht natürlichen Personen, die ansonsten als doppelansässig gelten würden.
IV. Umsetzung in Deutschland
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Bereits vor Unterzeichnung des MLI durch Deutschland war dem Vernehmen nach bekannt, dass das BMF die Regelungen zu hybriden Gestaltungen, also auch Art 4, nicht für dt DBA übernehmen will.[66] Entsprechend wurde bei der Unterzeichnung des MLI durch Deutschland am 7.6.2017 der Vorbehalt nach Abs 3 Buchst a geltend gemacht.[67] Art 4 findet also keine Anwendung auf die unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen Deutschlands. Die Ansässigkeitsbestimmungen für nicht natürliche Personen in den von Deutschland abgeschlossenen DBA bleiben folglich unverändert. Dies ist vor dem Hintergrund der überschießenden Wirkung von Art 4 und der in vielen Fällen für doppelt ansässige nicht natürliche Personen zu befürchtenden Nachteile der Rechtsunsicherheit, des Mehraufwands für ein Verständigungsverfahren und eines möglichen Verlusts der Abkommensberechtigung zu begrüßen.[68]
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Eine Regelung die mit Abs 1 übereinstimmt, weist kein einziges von Deutschland abgeschlossenes DBA auf. Eine Regelung, die weitestgehend Abs 1, modifiziert durch Abs 3 Buchst e) entspricht, enthalten jeweils in Art 4 Abs 3 zB das DBA Japan 2015, das DBA Türkei 2011, das DBA USA 2008, das DBA Mexiko 2008, und das DBA Kanada 2001. Ein Verständigungsverfahren für nicht natürliche Personen, die ansonsten als doppelansässig gelten, sieht zB auch das Protokoll zum DBA 2010 mit Bulgarien vor.[69] Die Mehrzahl der dt DBA enthält allerdings eine Art 4 Abs 3 OECD-MA entsprechende Regelung, nach der über die Ansässigkeit doppelt ansässiger nicht natürlicher Personen der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung entscheidet.[70] Die Vorschrift stimmt zudem fast wörtlich bzw ohne inhaltliche Abweichungen mit der deutschen Vertragsverhandlungsgrundlage für DBA v 17.4.2013 überein.[71]
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Nicht auszuschließen ist natürlich, dass Deutschland in Zukunft seinen Vorbehalt zur Anwendung des Art 4 wieder aufheben wird. Derzeit gibt es dafür allerdings keine Anzeichen. Von den 35 Staaten, mit denen nach der ersten Ratifikationsrunde am 7.6.2017 und den weiteren Ratifikationen bis zum 11.7.2017 aus dt Sicht vom MLI erfasste DBA bestehen, behalten sich 19 Staaten wie Deutschland vor Art 4 auf keine ihrer DBA anzuwenden:[72]
Erfasste DBA aus dt Sicht |
Anwendung
Art 4
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