20
Die Wahrheitspflicht bei Abgabe von Steuererklärungen wird ergänzt durch die Korrekturpflicht nach § 153 Abs. 1 AO.[22] Erkennt der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, so ist er verpflichtet, dies bei dem für ihn zuständigen Finanzamt unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.
21
Der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO kommt im unternehmerischen Bereich eine wichtige, in den letzten Jahren stetig gestiegene, Bedeutung zu.[23] Aus dieser Verpflichtung ergeben sich erhebliche Anforderungen, die bei der Ausgestaltung eines wirksamen Tax Compliance Management Systems zu beachten sind.[24] Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass Verstöße gegen eine entstandene Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO als Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) bzw. als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 AO) zu ahnden sein können[25] und dass als „Berichtigung nach § 153 AO“ bezeichnete Korrekturerklärungen regelmäßig an die Straf- und Bußgeldsachenstellen zur Prüfung weitergeleitet werden.[26]
22
Wurde eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben, trifft den Steuerpflichtigen eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Voraussetzungen für die Berichtigungspflicht nach § 153 AO sind im Einzelnen:
– | Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung, |
– | kausale Steuerverkürzung (dabei reicht aus, dass es „dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann“), |
– | nachträgliches Erkennen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, d.h. nach Abgabe der Steuererklärung; ein bloßes „Erkennenkönnen“ oder „Erkennenmüssen“ reicht nicht aus, wie Tz. 2.4 AEAO zu § 153 AO ausdrücklich klarstellt, |
– | vor Ablauf der Festsetzungsfrist. |
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Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Steuerpflichtige zur unverzüglichen (d.h. ohne schuldhaftes Zögern[27]) Anzeige der Unrichtigkeit der Erklärung verpflichtet. Wann eine Anzeige noch unverzüglich in diesem Sinne erfolgt, hängt jeweils von allen Umständen des Einzelfalls ab. Nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO trifft die Verpflichtung auch den Rechtsnachfolger, also insbesondere die Erben (relevant in Einzelunternehmen) und z.B. bei Umwandlungsvorgängen.
24
Sowohl im Rahmen der bei Abgabe von Steuererklärungen geltenden Wahrheitspflicht als auch bei der Frage, ob eine abgegebene Steuererklärung gem. § 153 Abs. 1 AO zu korrigieren ist, ist von zentraler Bedeutung, wann eine Erklärung „unrichtig“ ist. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die den Steuerpflichtigen treffende Wahrheitspflicht (vgl. § 150 Abs. 2 S. 1 AO) sich nur auf Tatsachen, nicht jedoch auf rechtliche Schlussfolgerungen erstreckt. Die Steuererklärungen sehen grundsätzlich selbst keine Sachverhaltsangaben vor, sondern verlangen Zahlenangaben, die ihrerseits das Ergebnis einer steuerrechtlichen Beurteilung sind, bei der vom Steuerpflichtigen zwischen rechtlich erheblichen und rechtlich unerheblichen Tatsachen unterschieden werden muss.[28] Gleichwohl wird die Tatsachenbasis immer zugleich von der zugrunde gelegten Rechtsauffassung mit bestimmt.[29]
25
Grundsätzlich darf der Steuerpflichtige seiner Steuererklärung jede vertretbare Rechtsauffassung zugrunde legen.[30] Insbesondere ist er darin frei, eine von der Rechtsprechung und/oder herrschenden Verwaltungsauffassung abweichende Meinung zu vertreten.[31] Jedoch besteht nach der Rechtsprechung des BGH zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist.[32] Dies ist nach Auffassung des BGH insbesondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. Der Steuerpflichtige darf der Finanzbehörde keine Tatsachen verschweigen, die nach dem Empfängerhorizont der Finanzbehörde entscheidungserheblich sind.[33] Maßgeblicher Empfängerhorizont der Finanzbehörde ist die Verwaltungsauffassung, die in Verwaltungsvorschriften und im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird, also die nach außen erkennbare Verwaltungsauffassung.[34] Daran orientiert muss der Steuerpflichtige die tatsächlichen Angaben machen, die für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind oder von Bedeutung sein können.[35]
26
Maßgeblich ist der Empfängerhorizont bei Abgabe der Erklärung. Eine Änderung in der Rechtsprechung und/oder Verwaltungsauffassung macht deshalb eine ursprünglich richtige Steuererklärung nicht unrichtig.[36]
2. Steuerentrichtungspflichten
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Zu den steuerlichen Pflichten gehören ferner die Steuerentrichtungspflichten. Steuern sind grundsätzlich mit Fälligkeit zu entrichten, wobei den Fälligkeitszeitpunkt wiederum die Einzelsteuergesetze bestimmen (§ 220 AO). Bei Festsetzungssteuern enthalten die Steuerbescheide grundsätzlich ein mit einer Zahlungsfrist (i.d.R. ein Monat nach Bekanntgabe) verbundenes Leistungsgebot (§ 254 AO). Anmeldesteuern, wie die Umsatzsteuer oder die Lohnsteuer setzen ein solches nicht voraus. Umsatzsteuervorauszahlungen werden am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig (§ 18 Abs. 1 S. 4 UStG).
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Mit Überschreiten des Fälligkeitszeitpunkts sind nach § 240 Abs. 1 AO Säumniszuschläge i.H.v. 1 % je angefangenen rückständigen Monat festzusetzen. Unabhängig von der Frage der Verantwortung für den in der Nichtentrichtung liegenden Pflichtverstoß[37] werden diese gegen den Steuerpflichtigen als Schuldner der Steuer festgesetzt.
29
Rechtsbehelfe (Einspruch oder Klage) haben keinen Suspensiveffekt, d.h. die Fälligkeit bleibt von der Einlegung eines Rechtsbehelfs unbetroffen (§ 361 Abs. 1 S. 1 AO, § 69 Abs. 1 S. 1 FGO). Die Steuerentrichtungspflicht wird jedoch durch Gewährung der Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 3 FGO oder einer Stundung nach § 222 AO bzw. von Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) suspendiert. Kann eine festgesetzte Steuerforderung nicht zum gesetzlichen oder per Leistungsgebot bestimmten Fälligkeitszeitpunkt geleistet werden, kann es geboten sein, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung oder (ggf. hilfsweise) Stundung zu stellen.[38]
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Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, deren Verletzung gem. § 15a Abs. 4 InsO strafbewehrt ist. Steuerschulden können sowohl den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) als auch den der Überschuldung (§ 19 InsO auslösen.[39] Eine (auf Antrag) gewährte Aussetzung der Vollziehung oder Stundung führt dazu, dass die ausgesetzten oder gestundeten Steuern bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit nicht in Ansatz zu bringen sind.[40] Insoweit ist jedoch zu beachten, dass der bloße Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, Stundung oder Vollstreckungsaufschub weder den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) noch der Überschuldung (§ 19 InsO) beseitigt. Dies geschieht erst durch die positive Entscheidung der Finanzverwaltung bzw. des Finanzgerichts.[41]
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Zu den Voraussetzungen einer Haftung