Das Modell der konsequenten Führung
Lassen Sie mich mit ein paar Sätzen zu meiner Zeit bei der Bundeswehr beginnen, denn dort sammelte ich meine ersten eigenen Erfahrungen als Vorgesetzter. Ehrlich gesagt fühlte ich mich mit meinen Aufgaben damals oft hilflos. Die Kluft zwischen der »autoritären« Bundeswehrführung und meinem intuitiven Menschenverstand war einfach sehr groß. Mit Fragen wie »Wie mache ich es richtig?« oder auch »Werde ich allen gerecht?« stand ich mir selbst im Weg.
Doch eines war mir damals schon klar: Ich muss die mir anvertrauten Menschen mitnehmen und ich darf selbst dabei nicht auf der Strecke bleiben. Auch später als Unternehmer fühlte ich mich immer mal wieder dieser Hilflosigkeit ausgeliefert, denn es gab unzählige Situationen, in denen ich nicht wusste, wie ich mit meinen Mitarbeitenden umgehen sollte. Mir schossen dann Fragen durch den Kopf wie:
Ist das jetzt ernst gemeint?
Wieso werde ich nicht verstanden?
Warum tut er jetzt nicht das, was logisch wäre?
Warum denkt er denn jetzt nicht mit?
Wie im Kindergarten hier!
Warum zur Hölle ist denn alles von mir abhängig?
Ohne mich läuft hier gar nichts!
Noch heute erlebe ich Situationen, in denen mir solche Fragen auf der Zunge liegen und in denen ich auch mal überreagiere. Jedoch bin ich mir inzwischen meiner Überreaktionen bewusst. Ich kommuniziere sehr offen, und meine Angestellten kennen mich mittlerweile und können besser mit meinen Eigenheiten umgehen. Alle gemeinsam nehmen wir Dinge weniger persönlich. Im Laufe meines Berufslebens sind die Fragezeichen immer weniger geworden. Nicht zuletzt, weil ich mich intensiv mit Psychologie, Hirnforschung und diversen verwandten Bereichen beschäftigte. Denn diese spielen für das große Thema der konsequenten Führung eine wichtige Rolle.
Aus dem Zusammenspiel meiner theoretischen Auseinandersetzung und meiner persönlichen Erfahrungen habe ich ein Führungsmodell entwickelt. Führung ist hier jedoch nicht mit Mitarbeiterführung gleichzusetzen. Ich selbst verstehe es eher als ein Lebensmodell. Es gibt mir in allen Bereichen und Situationen eine enorme Leichtigkeit und Energie. Und deshalb möchte ich es mit anderen Unternehmerpersönlichkeiten teilen. Ich möchte es mit Ihnen teilen. Das Führungsmodell bleibt unabhängig vom Individuum im Kern immer gleich und ist trotzdem maximal offen. Zur Anwendung gibt es garantiert keine Einschränkungen, allerdings möchte ich nicht verschweigen, dass es Nebenwirkungen gibt. Und diese können mitunter auch durchaus heftig ausfallen.
Was bedeutet Konsequenz überhaupt?
Ich spreche in diesem Buch von Konsequenz. Dieser Begriff ist für mich Kern meines Handelns und Sie werden in steter Regelmäßigkeit in den folgenden Kapiteln auf ihn stoßen. Daher lohnt es sich, sich vorab einmal Gedanken über dessen grundlegende Bedeutung zu machen.
Konsequenz stammt vom lateinischen consequi, auf Deutsch: folgen, erreichen. Nehmen wir die Erläuterung aus dem Duden dazu, ist die Konsequenz zum einen die Folgerichtigkeit und Schlüssigkeit, aber eben auch die Unbeirrbarkeit und feste Entschlossenheit. Er enthält also vier Bedeutungsfacetten.
Facette 1: FolgerichtigkeitFolgerichtigkeit ist die richtige Folge von etwas. Wovon? Was war vorher? Wer entscheidet über richtig und falsch? Welches sind die objektiven Messkriterien? Gibt es überhaupt welche? Folgerichtigkeit wird oft mit Logik gleichgesetzt. Aber reicht Logik allein aus, um das Leben leichter zu machen? Rational geprägte Menschen rufen jetzt: »Klar!«. Emotional geprägte Menschen würden das wohl verneinen.
Facette 2: SchlüssigkeitSchlüssigkeit. Schlüssel. Ein Schlüssel schließt ein Schloss auf und zu. Meist nur eines, es sei denn, wir haben einen Generalschlüssel. Klingt unwahrscheinlich? Stimmt! Aber wie wäre es, wenn wir so einen Schlüssel hätten? Vielleicht gelingt es uns ja, die Anzahl der notwendigen Schlüssel so weit zu reduzieren, dass es immerhin nur zwei bis drei sind.
Facette 3: UnbeirrbarkeitUnbeirrbarkeit. Wow, was für ein Wort! Die Vorsilbe »un« ist jedoch negativ besetzt: unmöglich, unlauter, unklar, unglaublich etc. Sie bezeichnet immer etwas, das nicht ist. Die Silbe »irr« ist ebenfalls negativ besetzt und lässt uns an einen Irrtum denken. Ich bin unbeirrbar? Heißt das, ich bin durch gar nichts zu beirren? Bedeutet das, ich passe mich auf keinen Fall an? Bin ich dann noch reflektiert? Kann ich mich dann überhaupt weiterentwickeln?
Facette 4: Feste EntschlossenheitFeste Entschlossenheit – da geht mir das Herz auf. Mit »fest« verbinde ich Stabilität. Entschlossen sein wirkt auf mich zielorientiert, aber auch mit einer Prise Unbeirrbarkeit. Wie interpretieren Sie »feste Entschlossenheit«? Fassen wir zusammen: Folgerichtigkeit, Schlüssigkeit, Unbeirrbarkeit und feste Entschlossenheit sind vier Facetten von Konsequenz.
Konsequenz muss bewusst sein
Bevor wir nun tiefer einsteigen, stelle ich Ihnen noch ein Modell vor, das auf den Entwicklungspsychologen Noel Burch zurückgeht und beschreibt, wie die Entwicklung von Kompetenzen abläuft. Ich nutze es sehr gerne für meine Arbeit, und weil sich damit mein Weg umso besser nachvollziehen lässt, stelle ich es auch zentral in diesem Buch heraus. Tatsächlich veranschaulicht es bereits 99 Prozent aller Herausforderungen, die in einem Unternehmen auftreten können. Burch beschreibt die situative Kompetenzentwicklung in vier Reifegraden. Die erste Stufe ist die unbewusste Inkompetenz. Ich beschreibe sie gerne spaßeshalber mit: »Ich weiß nicht, dass ich dumm bin!« – das trifft ziemlich den Kern des Ganzen. Auf diesem Reifegrad verstehen wir nicht, worum es geht, oder wissen nicht, wie wir etwas bewirken sollen. Eigene Defizite erkennen wir nicht. Eigenartigerweise halten sich die meisten Menschen mit diesem Reifegrad für kompetent und handeln häufig intuitiv falsch.
Erhalten wir bei diesem Reifegrad ausreichend ernstzunehmendes Feedback, erreichen wir die zweite Stufe, die bewusste Inkompetenz. Das ist natürlich verheerend, denn übersetzt bedeutet es: »Ich weiß, dass ich dumm bin!« – das tut weh. Hier verstehen oder wissen wir nicht, wie wir etwas erreichen können. Wir kennen zwar unsere Defizite und wie diese sich auswirken, aber einen Ausweg sehen wir nicht. Menschen mit diesem Reifegrad handeln möglicherweise intuitiv richtig, sind jedoch nicht in der Lage, ihr Handeln zu analysieren.
Sobald wir uns unserer Inkompetenz bewusst sind, wollen wir diesen Reifegrad verlassen – wer will schon wissen, dass er dumm ist? An dieser Stelle scheiden sich die Geister: Viele Menschen fühlen sich mit dem ersten Reifegrad sehr wohl, weil sie sich dann vor der Wahrheit verstecken können. Sie neigen dazu, wieder in die unbewusste Inkompetenz zurückzufallen, eine klassische Verdrängungsstrategie. Andere dagegen entscheiden sich für das Lernen. Dafür, sich weiterzuentwickeln und die eigenen Kompetenzen auszubauen.
Wer das schafft, erreicht den dritten Reifegrad: die bewusste Kompetenz oder auch »Ich weiß, was ich kann«. Sind wir hier angelangt, fragen wir uns, wie wir vorher mit der Situation klarkommen konnten. Bei diesem Reifegrad verstehen oder wissen wir, wie wir die Dinge anpacken müssen, um unser Ziel zu erreichen. Authentisch, selbstbewusst und gleichzeitig kooperativ zu zeigen, was man kann und weiß, ist nicht so einfach. Es verlangt Konzentration und die Fähigkeit, sich und das eigene Vorgehen zu analysieren und zu reflektieren.
Wir haben so viel praktische Erfahrung mit unseren Fähigkeiten, dass sie uns irgendwann in Fleisch und Blut übergehen und jederzeit