Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes. Xiaolong Zhou. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Xiaolong Zhou
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001819
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hoffe ich, diese Lücke zu schließen.

      Obwohl nur wenige Monografien existieren, die die Religionsphilosophien Kants und Schleiermachers unmittelbar vergleichen, gibt es die folgenden Arten von Literatur, die für die Abfassung dieser Untersuchung hilfreich waren: (1) Die Untersuchungen zum Einfluss Kants auf die Entwicklungsgeschichte von Schleiermachers frühen Gedanken – diese Art von Untersuchungen behandelt Schleiermachers Kritik an Kant –, was indirekt dazu beiträgt, die Unterschiede zwischen den Religionsphilosophien beider zu verstehen. In dieser Hinsicht können die Arbeiten von Eilert Herms5 und Günter Meckenstock6 als vorbildlich bezeichnet werden. (2) Die Untersuchungen zur Religionsphilosophie Kants aus der Perspektive des gesamten Konzepts der kantischen Philosophie, etwa die Forschungen von Allen W. Wood,7 Georg Picht,8 Karl-​Heinz Michel9 und Burkhard Nonnenmacher,10 helfen zu verstehen, dass Kants Religionsphilosophie eine wichtige Richtung seiner Epistemologie ist. (3) Die Untersuchungen zur Religionstheorie Schleiermachers aus einer philosophischen und dialektischen Perspektive machen die philosophischen Fragen hinter Schleiermachers Religionsphilosophie deutlich und bieten damit eine grundlegende Plattform für den Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher. Dazu gehören die Schriften von Emil Schürer,11Andreas Arndt, John E. Thiel,12 Hans-​Joachim Birkner13, Christian Albrecht14 u.a.

      Es ist notwendig, kurz die hier angewandte Methode der Interpretation zu erklären. Für die Auslegung der Religionsphilosophie Kants gibt es zwei unterschiedliche Richtungen: Entweder man betrachtet Kants Religionsphilosophie als Anhängsel seiner Moralphilosophie und hält sie für unnötig oder man sieht sie als eine Bemühung, die spekulative und praktische Vernunft, die Natur- und Freiheitsordnung miteinander zu verbinden.15 Dann kann man sie sogar als seinen Kerngedanken betrachten.16 Diese Untersuchung betrachtet Kants Religionsphilosophie als sein Bestreben, Tugend und Glück, Freiheit und Natur, praktische und theoretische Vernunft miteinander zu verbinden, was geradewegs zu Schleiermachers Erbschaftsverhältnis zu Kant in verwandten Fragen führt.

      Außerdem gibt es noch eine Forschungsmethode in Bezug auf Kant, die hier besonders hervorzuheben ist. Diese Methode geht von den kantischen vorkritischen Schriften aus und fügt die vorkritische Gotteslehre mit der Gotteslehre der kritischen Periode zusammen.17 Der Grund liegt darin, dass sich das transzendentale Ideal, welches eines der zentralen Themen in der Dialektik der KrV ist, aus dem Gottesbeweis in zwei vorkritischen Schriften – nämlich: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio und Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes – entwickelt. Jedoch bedeutet diese Entwicklung eine Kritik Kants an seinem eigenen sogenannten „ontotheologischen Beweis“ der vorkritischen Zeit. Ausgehend davon ist es deutlicher zu erkennen, warum Kant die Existenz Gottes nicht direkt aus der Idee vom transzendentalen Ideal ableitet. Die vorliegende Untersuchung folgt dieser Methode.

      Was die Interpretation der Religionsphilosophie Schleiermachers angeht, lege ich den Schwerpunkt auf die Dialektik bzw. auf seine philosophischen Schriften. Es gibt nur wenige Bücher, die Schleiermacher zu seinen Lebzeiten veröffentlicht hat. Davon sind die Reden und die Glaubenslehre die wichtigsten. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Schleiermachers Gedanken auf die christliche Theologie konzentriert waren und sich in seinem Werk kaum metaphysische Schriften wie die Kritik der reinen Vernunft Kants, die Wissenschaftslehre Fichtes und die Logik Hegels finden. Nach dem Tod Schleiermachers (1834) führten Hegels Schüler F. C. Baur und D. F. Strauß in der Tat eine lange Debatte über das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie in Schleiermachers Werk.18 Zu einem gewissen Grad führt diese Debatte auf Schleiermachers eigenes theoretisches Ziel zurück. In der Schrift Kurze Darstellung des theologischen Studiums möchte er die philosophische Theologie aufrichten und „das Wesen der Frömmigkeit und der frommen Gemeinschaften im Zusammenhang mit den übrigen Tätigkeiten des menschlichen Geistes“ (§ 21) verstehen.19 Als Anfang der modernen Schleiermacher-​Forschung versucht Diltheys Leben Schleiermachers (der erste Teil wurde im Jahr 1870 veröffentlicht), die Theologie und Philosophie Schleiermachers im Zusammenhang zu erklären. Diltheys Einfluss macht sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Werk Troeltschs bemerkbar.20 Obwohl nach den 1920er Jahren die Dialektische Theologie und die Hermeneutik die Interpretation Schleiermachers beherrschten und scharfe Kritik an Schleiermacher formuliert haben, legten beide Denkrichtungen immer großen Wert auf das Verhältnis zwischen der Philosophie und der Theologie Schleiermachers.21 In den 1960er Jahren wurde der zweite Teils von Wilhelm Diltheys Schrift Schleiermachers System als Philosophie und Theologie veröffentlicht. Durch die gemeinsamen Bemühungen von Hans-​Joachim Birkner, Eilert Herms,22 Manfred Frank,23 Andreas Arndt,24 Michael Eckert,25 Christian Albrecht usw. wird der Versuch, Schleiermachers Religionsphilosophie und Theologie aus seinem „allgemeinen System der Wissenschaften“ zu verstehen, immer mehr zum Mainstream, und es werden die Dialektik und die Ethik als konzentrierter Ausdruck seines wissenschaftlichen Systems betrachtet.26 Da das Thema dieser Dissertation auf das Problem der Unerkennbarkeit Gottes fokussiert ist, wird hier mehr auf Schleiermachers Dialektik geachtet.

      0.3 Ziel und Kapiteleinteilung

      Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die metaphysischen Grundlagen der kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien zu verdeutlichen und auf dieser Grundlage einen Vergleich durchzuführen. Meines Erachtens müssen diese Grundlagen in der Gotteslehre gesucht werden: Die Möglichkeit, Gott zu erkennen, die Art, wie man ihn erkennt, der Zugang zu Gott, müssen eine zentrale Rolle spielen. Ohne ihre Gotteslehre zu untersuchen und ohne auf diese Grundlage einzugehen, erscheint der Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher nur oberflächlich. Damit verbunden ist ein weiteres Ziel dieser Untersuchung, nämlich die Missverständnisse über ihre Gotteslehre zu widerlegen. In den Forschungen über Kants Moraltheologie fehlt es immer an einer Untersuchung über seine transzendentale Theologie. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Kant nur den aposteriorischen Beweis thematisiert, ohne eine Verbindung zwischen dem transzendentalen Ideal und der Moraltheologie vorzunehmen. Die Missverständnisse über Schleiermachers Religionstheorie sind vielfältig. Das berühmteste davon ist der Vorwurf, seine Religionstheorie sei nur subjektiv und mystisch. Dieses Missverständnis ist bis heute populär in der Heimat des Verfassers dieser Dissertation, in China. Nach diesem Missverständnis scheint Schleiermachers Religionsphilosophie der Religionstheorie von William James zu ähneln. Diese Untersuchung wird beweisen, dass die Suche nach Gott das wichtigste Ziel von Schleiermachers Religionsphilosophie ist. Außerdem möchte ich die Frage diskutieren, ob es möglich ist, eine Religion zu begründen, ohne Gott zu erkennen.

      Im ersten Teil stelle ich die Gotteslehre Kants dar. In diesem Teil wird die Bedeutung der apriorischen Theologie bzw. der Lehre vom transzendentalen Ideal hervorgehoben, die m.E. die Grundlage der kantischen Religionsphilosophie bildet. Außerdem wird die apriorische Theologie mit den aposteriorischen Theologien (dem symbolischen Anthropomorphismus und der Moraltheologie) in Zusammenhang gebracht. In diesem Teil versuche ich zu erklären, wie Kant die Gotteslehre innerhalb der Vernunft darstellt und wie Gott für ihn ein notwendiger Gegenstand der Vernunft ist. In diesem Teil werden in Kapitel 1 zwei verschiedene Weisen, Gott zu denken, thematisiert. Die apriorischen Eigenschaften Gottes sollen durch die Vernunft a priori begriffen werden, während Verstand und Wille nur aposteriorisch, nämlich durch das Verhältnis Gottes zur Zweckmäßigkeit der Welt, Gott zugeschrieben werden. Kapitel 2 zeigt auf, dass die Existenz Gottes nicht dadurch gesichert wird, dass die Methode apriorisch oder aposteriorisch ist. Aufgrund dessen werde ich in Kapitel 3 weiter diskutieren, warum die Moral die Existenz Gottes notwendig postuliert. In diesem Kapitel werden die Ähnlichkeit und der Zusammenhang zwischen der Moraltheologie und dem symbolischen Anthropomorphismus ins Zentrum gestellt.

      Die Aufgabe des zweiten Teils ist die Erörterung der Gotteslehre Schleiermachers. Die Unerkennbarkeit Gottes ist der Leitfaden dieses Teils. Hier möchte ich klarmachen, dass sich diese Art der Unerkennbarkeit Gottes von der kantischen Unerkennbarkeit unterscheidet. Kurz gesagt, verneint Kant die Denkbarkeit Gottes nicht, während Schleiermacher sie vollständig ablehnt. Außerdem wird in diesem Teil auf die Frage eingegangen, ob die radikale Unerkennbarkeit Gottes in der Religionsbegründung Schleiermachers überhaupt möglich ist. Ausgehend davon untersucht Kapitel 4 die Gotteslehre seiner frühen Zeit, in der Kant und Spinoza einen großen Einfluss auf ihn hatten. Die Spinozaschrift und die Reden sollen als Ausbruch