(3) Durch die Analogie können wir jetzt feststellen, dass die Intelligenz eine Eigenschaft von Gott ist, oder dass es eine höchste Vernunft und Intelligenz gibt. Allerdings wollen wir die höchste Intelligenz ausführlicher diskutieren. Ähnlich wie die Intelligenz der Biber, die nur ein Analogon der Intelligenz der Menschen ist, so ist die menschliche Intelligenz niemals identisch mit der Intelligenz Gottes. In kantischer Terminologie wird die höchste Intelligenz Gottes als intellectus archetypus betrachtet: „Eben dieselbe Idee ist also für uns gesetzgebend, und so ist es sehr natürlich, eine ihr correspondirende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle systematische Einheit der Natur als dem Gegenstande unserer Vernunft abzuleiten sei.“8 Die Differenz des intellecti archetypi zu unserer Intelligenz wird in der Vorlesung über Rationaltheologie deutlich veranschaulicht:
„Nun giebt es aber in der ganzen Welt kein Ding, was reine Realität hätte, sondern alle Dinge, die uns durch die Erfahrung können gegeben werden, sind partim realia, partim negativa […] Gott aber können solche Negationen nicht beigeleget werden, daher muß ich zuerst via negationis verfahren, d.h. ich muß alles Sinnliche, was meinen Vorstellungen von dieser oder jener Realität inhäriert, sorgfältig absondern, alles Unvollkommene, alles Negative weglassen, und das reine Reale, was übrig bleibt, Gott beilegen […] Auf solche Art werde ich zwar via negationis die Qualität der göttlichen Prädikate bestimmen können, d.h. welche Prädikate ich aus der Erfahrung, nach Absonderung aller Negation, auf meinen Begriff von Gott anwenden kann, aber dadurch würde ich noch gar nicht die Quantität dieser Realität in Gott erkennen lernen […] Daher muß ich nun, wenn ich in einer von den Eigenschaften der Dinge, die mir durch die Erfahrung gegeben sind, irgend eine Realität angetroffen habe, dieses Reale Gott im höchsten Grade, in unendlicher Bedeutung, beilegen. Das nennet man per viam eminentiae verfahren.“9
Da diese Eigenschaft, nämlich die Intelligenz, aus der Erfahrung und der Sinnenwelt stammt, ist sie nicht völlige Realität, weil die sinnlichen Dinge partim realia, partim negativa sind. Deswegen ist es nötig, alles Unvollkommene und alles Negative wegzulassen. Hier geht Kant zwei verschiedene Wege: die via negationis und die via eminentiae. Die via eminentiae bezeichnet den quantitativ höchsten Grad von den Eigenschaften Gottes, die via negationis sondert die negativen Elemente der aus der Erfahrung erhaltenen Prädikate ab. Danach kann bestimmt werden, dass Gott als intellectus archetypus sich qualitativ und quantitativ von unserer endlichen und abgeleiteten Intelligenz unterscheidet. Dazu ist zu bemerken, dass dies eine entscheidende Maßnahme ist, die Kant ergriffen hat, um zu vermeiden, in einen groben Anthropomorphismus zu geraten.
Zu Abschnitt 1.3 kann zusammenfassend gesagt werden: Obwohl Kant seinen physikotheologischen Beweis aufgegeben hat, bedeutet dies nur, dass Physikotheologie nicht imstande ist, die Existenz Gottes zu beweisen, doch wird die Gottesidee dennoch regulativ gebraucht. Durch eine aposteriorische Methode bzw. die Analogie wird Gott als die höchste Intelligenz bestimmt, d.h. die Eigenschaft der Intelligenz kommt Gott zu.
1.4 Die Ideen Gottes als das Substratum für die Materie und Form der Welt
In den Abschnitten 1.2 und 1.3 habe ich schon gezeigt, dass Kant von der transzendentalen und aposteriorischen Methode aus jeweils versucht hat, Gott zu erkennen bzw. die Eigenschaften Gottes zu bestimmen. Die transzendentale Methode betrachtet Gott als die höchste Intelligenz, die aposteriorische Methode als das ens realissimum. Jetzt werde ich das Verhältnis zwischen den beiden Ideen Gottes betrachten im Hinblick darauf, ob es doch eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen gibt. Es kommt mir hier darauf an, zu betonen, dass das ens realissimum Gott als Substratum der Materie der Welt bezeichnet, und dass die höchste Intelligenz Gott als Substratum der Form der Welt charakterisiert.
Im sechsten Abschnitt des Theologie-Hauptstückes, wird die Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises ausgeführt. Hier gibt es einen Absatz, der für die Fragestellung dieser Dissertation sehr wichtig ist. Er lautet wie folgt:
„Nach diesem Schlusse müßte die Zweckmäßigkeit und Wohlgereimtheit so vieler Naturanstalten bloß die Zufälligkeit der Form, aber nicht der Materie […] beweisen […] Der Beweis könnte also höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt wäre, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, darthun […] Wollten wir die Zufälligkeit der Materie selbst beweisen, so müßten wir zu einem transzendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen.“1
Kant postuliert in dieser Passage, dass der physikotheologische Beweis durch die Zweckmäßigkeit und Wohlgereimtheit der Welt bloß die Zufälligkeit der Form beweist. D.h. die Form kommt aus Gott, aber der Beweis kann nicht zeigen, dass die Materie der Welt von Gott kommt. Wenn man nicht beweisen kann, dass die Materie der Welt von Gott kommt, ist Gott nur der Architekt der Welt und somit der Materie der Welt unterworfen. Somit wird die Allgenugsamkeit Gottes stark eingeschränkt.2 Um zu beweisen, dass die Materie der Welt aus Gott kommt, „müßten wir zu einem transzendentalen Argument unsere Zuflucht nehmen“, doch leider ist das für den physikotheologischen Beweis a posteriori unmöglich. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass wir durch ein transzendentales Argument Gott als das ens realissimum bezeichnet haben. Deswegen besteht die Möglichkeit, dass die Materie der Welt aus Gott als ens realissimum kommt. Ich werde nun diese Hypothese beweisen.
In der Vorlesung über Rationaltheologie gibt es einen ähnlichen Paragraphen: „Dadurch verlieret Gott an seiner Majestät als Weltschöpfer nichts […] so ist auch diese Einrichtung in der Natur, nach welcher eine Anstalt nothwendig ist, aus seinem Wesen abzuleiten, aber nicht aus seinem Willen; denn sonst wäre er bloß Architekt der Welt, und nicht Weltschöpfer. Nur das Zufällige in den Dingen kann aus dem göttlichen Willen und aus willkürlichen Anordnungen desselben hergeleitet werden. Nun lieget aber alles Zufällige in der Form der Dinge; folglich kann man nur die Form der Dinge aus dem göttlichen Willen ableiten […] Denn die Materie, im welcher das Reale selbst lieget, leiten wir aus dem göttlichen Wesen her […] “3 Was Kant hier sagen möchte, ist, dass nur die Zufälligkeit oder die Form der Dinge aus dem göttlichen Willen und aus den willkürlichen Anordnungen desselben hergeleitet wird, die Materie jedoch aus dem göttlichen Wesen. Obwohl sich Kants Behauptung hier vom obigen Zitat unterscheidet, haben beide Zitate eine gemeinsame Bedeutung: Wenn Gott nur der Ursprung aller Formen der Dinge ist, kann er nur als Architekt der Welt betrachtet werden. Nur wenn er auch die Quelle der Materie der Welt ist, kann er als Schöpfer der Welt betrachtet werden, und die Form, die aus seinem Willen kommt, wird nicht durch die Materie eingeschränkt.
Daraus ergibt sich, dass sich Gott als ens realissimum oder ens originarium, das man durch die transzendentale Methode erkennt, auf die Materie der Welt bezieht. Im Gegensatz dazu bedeutet Gott als der göttliche Wille oder die höchste Intelligenz, die durch Analogie bestimmt wird, die Quelle der Form der Welt. Im Folgenden möchte ich dazu folgende Fragen stellen: (1) Was für eine Materie ist die hier genannte? (2) Warum ist Gott das Substratum der Materie? (3) Was bedeutet die Form der Welt?
(1) Zuerst möchte ich zeigen, dass Gott als ens realissimum eng mit der Materie verbunden ist. Wir haben in Abschnitt 1.2 den Ableitungsprozess des entis realissimi rekonstruiert. In diesem Prozess weist Kant auf das Folgende hin: „wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle mögliche Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum nichts anders, als die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahren Verneinungen sind alsdann nichts als Schranken, welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das unbeschränkte (das All) zum Grunde läge“4. Kant glaubt, dass dieses transzendentale Substratum „den ganzen Vorrat des Stoffes“ enthält. Daraus können wir erkennen, dass das Substratum eine enge Beziehung zum Stoff hat. Tatsächlich ist der Begriff der Materie im gesamten Prozess der Argumentation der zentrale Kern: z. B. enthält