Bild 1.2 zeigt die Abhängigkeit der reziproken Dichte – dem spezifischen Volumen – vom Kohlenstoffgehalt /Lem59/. Diese Darstellung von Lement basiert auf röntgenographischen Messungen der Gitterkonstanten und enthält im Original eine Vielzahl weiterer Abschätzungen. An dieser Stelle wurde die Zahl der dargestellten Phasen bewusst begrenzt. So benötigt der Austenit das geringste Volumen pro Masseneinheit, er weist die höchste Dichte auf. Phasengemische aus Ferrit und Zementit und der Martensit benötigen mehr Volumen. Mit wachsendem Kohlenstoffgehalt steigt das spezifische Volumen für alle genannten Phasen näherungsweise linear an. Die Differenz zwischen den Geraden für Ferrit + Zementit und Martensit vergrößert sich dabei deutlich mit wachsendem C-Gehalt. Entsprechendes gilt für die Volumenänderung eines Bauteiles nach der martensitischen Härtung, das im Ausgangszustand aus Ferrit und Zementit bestand. Mit Hilfe von Bild 1.2 oder unter Verwendung der in /Lem59/ angegebenen Formeln können die resultierenden Volumenänderungen abgeschätzt werden.
Der Einfluss des Gefügezustands auf das spezifische Volumen von Kohlenstoffstählen /Lem59/
Die Ursache für dieses Verhalten ist in der Atomanordnung im jeweiligen Elementargitter zu sehen. So sind die vier Atome/Elementarzelle im kubisch-flächenzentrierten Gitter des Austenits entsprechend dichter gepackt als die zwei Atome/Elementarzelle im kubisch-raumzentrierten Gitter.
1.2.1.1 Volumenänderungen durch Umwandlungen
Die im Detail ablaufenden Vorgänge bei der Erwärmung und Abkühlung können mit diesen Überlegungen natürlich nicht erfasst werden. Dafür ist der Einsatz eines Dilatometers hilfreich. Bild 1.3 zeigt einen vollständigen Wärmebehandlungszyklus für eine Probe aus 20MnCr5, die im Ausgangszustand FP-geglüht war. Die Umwandlung in Austenit zeigt die aus der Verringerung des spezifischen Volumens zu erwartende Verkürzung, während die Umwandlung zu Martensit mit einer Volumenvergrößerung einhergeht resultierende Längenänderung am Ende des Zyklus ist vergleichsweise gering, aber positiv und entspricht damit den in Bild 1.2 aufgezeigten Verhältnissen bei einem Kohlenstoffgehalt von 0,2 %.
Die Rückumwandlung von Austenit zu Martensit bringt drastisch größere Maßänderungen mit sich. Beispielhaft ist die Volumenänderung in Form einer Längenänderung in der in Bild 1.3 dargestellten Dilatometerkurve für einen 20MnCr5 zu sehen. Wertet man diese Kurve bei 50 °C aus, so stellt man in diesem Beispiel eine Längenzunahme von 0,9 % des martensitischen Gefüges verglichen zum ferritisch-perlitischen Ausgangszustand fest. Erkennbar sind auch die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Ferrit-Perlit und Austenit.
Längenänderungen beim Blindhärten des 20MnCr5 /Lüb12/
1.2.1.2 Volumenänderungen durch Ausscheidungen
Ausscheidungen verursachen kleinere Maßänderungen, die aber im Dilatometer noch gut nachweisbar sind. Bild 1.4 zeigt dies am Beispiel der Carbidausscheidungen beim ersten Anlassen des Stahls X155CrVMo12-1. Die Abweichung vom linearen Ausdehnungsverhalten bei ca. 260 °C ist auf diesen Vorgang zurückzuführen. Weiterhin sind die Bildung von kubischem Martensit und die erneute Martensitbildung am Ende der Abkühlung von Anlasstemperatur erkennbar.
Längenänderungen beim ersten Anlassen des X155CrVMo12–1 nach einer Austenitisierung bei 1050 °C und Ölabschreckung /Lüb12/
1.2.2 Verformungen
Zur Verzugsentstehung beitragende Verformungen lassen sich in plastische und elastische Verformungen unterteilen. Die für die Maß- und Formänderungen infolge Wärmebehandlung relevanten elastischen Verformungen entstehen bei der Wärmebehandlung selbst und werden durch die Eigenspannungen des Bauteils hervorgerufen (s. Bild 1.1).
Jede Veränderung des am fertigen Bauteil vorliegenden Eigenspannungszustandes führt dann über plastische Verformungen unvermeidbar zu Änderungen in den elastischen Verformungen und damit zu Maß- und Formänderungen. Dies kann bspw. durch thermische oder mechanische Lasten im Einsatz des Bauteils erfolgen. Auch ein mechanischer Eingriff in das Spannungsgleichgewicht z.B. durch lokale Abtragprozesse führt zu Verformungen.
Zur Erzeugung von plastischen Verformungen sind Spannungen notwendig. Diese können mehrere Ursachen haben. Einerseits können es Wärme- und Umwandlungsspannungen sein, wie sie bei vielen Wärmebehandlungsprozessen aufgrund von thermischen bzw. thermischen und chemischen Gradienten entstehen. Diese werden im Detail im Abschnitt 1.3 diskutiert.
Andererseits können Lastspannungen zu Maß- und Formänderungen führen. Hier sei bspw. der Einsatz von Abschreckfixturen genannt, die zur gezielten Erzeugung von Richtkräften beim Abschrecken von bestimmten Bauteilgruppen wie bspw. Synchronringen, Schiebemuffen, Kupplungskörpern und Tellerrädern, eingesetzt werden /Hee99/. Aber auch durch Verspannen einer Gruppe von Führungsleisten werden Lastspannungen erzeugt, die die Einzelteile eines solchen Pakets in Form halten /Hub92/.
Nicht vergessen werden darf, dass das Eigengewicht des Bauteils als Lastspannung wirkt. Speziell für dünnwandige Teile können hier bei mangelnder mechanischer Unterstützung oder aber in Kombination mit Reibung zwischen Bauteil und Auflage, besonders bei mehrlagiger Chargierung, Lastspannungen in kritischer Höhe entstehen.
Letztendlich wirken Eigenspannungen, die aus den Prozessen vor der Wärmebehandlung stammen, genauso wie die oben erwähnten Eigenspannungen nach der Wärmebehandlung. Der Unterschied liegt darin, dass bei einer Wärmebehandlung die Temperaturen zwangsläufig höher sind als im Einsatz. Entsprechend können daraus deutlich größere Maß- und Formänderungen entstehen. Details zu diesem und dem vorangegangenen Aspekt werden in /Sur12/ am Beispiel der Produktion von Wälzlagerringen vorgestellt.
Aus den Spannungen können aber letztlich nur dann Maß- und Formänderungen resultieren, wenn sie zu plastischen Verformungen führen. Dies kann durch eine Überschreitung der Streckgrenze geschehen, durch Umwandlungsplastizität oder durch Kriechprozesse (Bild 1.1). Für jeden dieser Effekte ist die Ursache der Spannung unerheblich.
1.2.2.1 Plastische Deformationen durch Streckgrenzenüberschreitung
Beim erstgenannten Mechanismus bedarf es einer Mindestspannung, die größer als die lokale Streckgrenze ist. Diese Größe ist u.a. abhängig von der Temperatur (Bild 1.5, links). Bei niedrigen Temperaturen können vergleichsweise große Spannungen elastisch ertragen werden. Mit steigender Temperatur sinkt dieser Widerstand gegen eine plastische Deformation aber immer weiter ab, bis er bei üblichen Haltetemperaturen nur noch wenige zig MPa beträgt. Zudem tritt bei diesen Temperaturen nur noch eine geringe Verfestigung auf, so dass geringe Überschreitungen der Streckgrenze zu großen plastischen Deformationen führen können: 65 MPa reichen bei 700 °C aus, um eine plastische Deformation von 0,2 % zu erzeugen (Bild 1.5, rechts).
Temperaturabhängigkeit der Streckgrenze des 100Cr6 im GKZ-geglühten Ausgangszustand (links) und zugehörige Spannungs-Dehnungskurven bei 20 und 700 °C gemessen mit einer Dehnrate von 40×10-4 1/s (rechts) /Lüb12/.
1.2.2.2 Plastische Deformationen durch Umwandlungsplastizität
Im Gegensatz zum gerade besprochenen Mechanismus benötigt die Umwandlungsplastizität keine Mindestspannung für plastische Deformationen. Das umwandlungsplastische Dehnungsinkrement ist proportional zum Spannungsdeviator (im einachsigen Lastfall proportional zur wirkenden Spannung) und tritt immer