Alle Techniken, die Sie gut finden und mit denen Sie sich auskennen, gehören auf Ihre Liste. Notieren Sie alles, was Sie schon einmal als hilfreich empfunden haben, auch wenn Sie meinen, dass das doch albern sei. Ist es nicht! Niemand anders muss das lesen.
Eine Frau fragte mich einmal allen Ernstes: „Ich rede immer mit mir wie mit einem Hund, ist das nicht verrückt?“ Ich erklärte ihr, dass ich das für äußerst sinnvoll hielte. Wer mit sich selbst spricht, nimmt mit sich Kontakt auf. Sprache ist unser wichtigstes Kontaktmedium. Und Beziehung zu uns selbst ist das, was die Seele gerade jetzt braucht, um Ruhe und Selbstkontrolle zurückzugewinnen. Nebenbei bemerkt haben viele Menschen genau deshalb einen Hund, damit sie einen Vorwand haben, um mit sich selbst sprechen zu dürfen. Und sie sprechen mit ihrem Hund meist netter als mit sich selbst!
Sie können sich auch spezielle Notfallkoffer für ganz verschiedene Gefühlszustände kreieren: für Panik, für Lethargie, für Verwirrung, für Traurigkeit, für negative Stimmen …
Meine Empfehlung:
Schreiben Sie ganz schnell ein paar Dinge auf, die Ihnen vertraut sind und von denen Sie wissen, dass sie Ihnen schon einmal gutgetan haben. Tun Sie es jetzt, jetzt sofort! Dann haben Sie schon etwas Wichtiges unternommen.
Im Anhang finden Sie ein Verzeichnis aller praktischen Maßnahmen, die im Buch vorgestellt werden. Wählen Sie die Selbsthilfemaßnahmen aus, die Ihnen spontan einleuchten und die zu Ihnen passen. Vor allem aber: Finden Sie Ihr eigenes Repertoire an Maßnahmen. Von Angeln über Holz hacken bis Zeitung verbrennen ist alles erlaubt. Hauptsache, es hilft!
Foto Franziska Bauß
Themenkreis 2: Gute Rahmenbedingungen schaffen
Was ist richtig oder falsch? – Stimmige Entscheidungen treffen
Zum Verständnis:
Gerade in der Anfangszeit, wenn Sie sich der Krankheit bewusst geworden sind, stehen viele Entscheidungen an: Klinikaufenthalt – ja oder nein? Medikamente – ja oder nein? Ausruhen oder belasten? Kontakt oder Rückzug? Viele Betroffene berichten mir, dass sie sich überfordert fühlen, irgendwelche Entscheidungen zu treffen, insbesondere, wenn sie sowieso schon ständig hin- und hergerissen sind und sich schwach oder unausgeglichen fühlen. Der Grund: Bei jeder Entscheidung riskiert man, etwas Falsches zu tun, mit der Konsequenz, dass es einem danach noch schlechter gehen könnte, denn leider gibt es keine Garantie, immer das Richtige zu tun. Was ist in dieser Situation hilfreich?
Ein Mann, der schon einige Zeit krankgeschrieben war, berichtete mir, eigentlich habe er nur noch ein einziges tiefes Bedürfnis, nämlich zu Hause zu sein. Er würde am liebsten mit niemandem sprechen, gerade mal das Notwendigste mit seiner Frau und seinen Kindern, und er könne stundenlang einfach nur so in einer ruhigen Ecke sitzen und nichts tun. Er habe keine Lust, Musik zu hören, Medien zu nutzen, zu lesen oder Beschäftigungen nachzugehen, die er sonst immer sehr gerne gehabt habe. Er fragte mich, ob das denn in Ordnung sei oder ob er sich zwingen solle, etwas Bestimmtes zu tun. Seine Wortwahl, dass er eigentlich nur ein tiefes Bedürfnis habe, war im Grunde schon seine klare Entscheidung für Ruhe und Konzentration auf sich selbst. Sie kam ganz von innen. Sein Verstand meldete jedoch Zweifel an.
Gerade dann, wenn Menschen lange Zeit über ihre eigenen Bedürfnisse hinweggegangen sind oder sich nicht erlaubt haben, zu sich selbst zu stehen, fehlen ihnen das Vertrauen und der Mut, ungewohnte Bedürfnisse zuzulassen. Doch gerade das ist der „not-wendige“ Lernprozess bei Krankheit oder jeglichem anderen Leiden. Auch mit ganz kleinen Entscheidungen wie „Gehe ich jetzt raus oder bleibe ich zu Hause?“ kann man lernen, eigene Bedürfnisse zu erkennen. Richtige Entscheidungen erkennt man daran, dass sie sich „nicht anstrengend“ anfühlen. Es ist vielleicht ungewohnt, dem lockeren Gefühl im Körper zu trauen, der Entspannung im Kopf und dem Empfinden „Ja, das ist es!“. Stattdessen wären viele andere Optionen vielleicht vernünftig, empfehlenswert oder gesundheitsfördernd, aber das Gefühl sagt dazu: „Nee, keine Lust!“
Eine Frau gestand mir, dass es ihr fast etwas peinlich sei, dass ihr „die banalsten Beschäftigungen wie die, ein wenig herumzuräumen“, schon vollauf genügen würden. Sie plagte sich sehr mit der Entscheidung, ob sie der Einladung zu einer Familienfeier folgen solle. All die netten Angehörigen hatte sie vor Augen, die ja so viel Verständnis für ihre Situation zeigen würden und den Wunsch hätten, sie dabeizuhaben. Ihr Empfinden war jedoch eindeutig: Eine so große Gesellschaft wäre jetzt nicht das Richtige für sie. Allerdings fürchtete sie, man werde ihr eine Absage übel nehmen.
Tatsächlich können wir es im Leben nicht allen Menschen recht machen. Immer zieht einer den Kürzeren, entweder wir selbst oder die anderen. Da es aber in der Krise vornehmlich darauf ankommt, die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen und ernst zu nehmen, gehen diese vor.
Da die Patientin noch unsicher war, machte ich ihr den Vorschlag, zu testen, welche Option sich stimmiger anfühlte, indem sie sich zuerst auf einen Stuhl mit der Option „Einladung annehmen“ und dann auf einen anderen Stuhl mit der Option „Zu Hause bleiben“ setze. Im ersten Fall verkrampfte sich ihr ganzer Körper. Sich die vielen Menschen vorzustellen machte ihr Kopfschmerzen und alles zog sich in ihr zusammen. Sie kam zu dem Schluss: Ich will zurzeit nicht viel sprechen. Bei der Vorstellung, zu Hause zu bleiben, machte sich ein wohliges Gefühl von Geborgenheit in ihrem Körper breit und sie atmete erleichtert aus. Es erstaunte sie selbst, wie eindeutig die Signale waren. Doch in ihr kam auch Angst vor ihrer eigenen Entscheidung hoch. Ihr „inneres Kind“ fürchtete sich davor, nicht mehr gemocht zu werden. Wir überlegten deshalb eine Formulierung, die niemand vor den Kopf stoßen würde, wie etwa: „Im Moment ist es besser für mich, zu Hause zu bleiben. Wenn ich wieder fit bin, freue ich mich, euch wiederzusehen.“ Statt also nur abzusagen, drückte sie es positiv aus. Auf diese Weise kann man negativen Befürchtungen meist den Wind aus den Segeln nehmen.
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Nicht immer ist die Sachlage so eindeutig, da eine Entscheidung vielleicht noch gar nicht getroffen werden kann. Die Zeit ist einfach noch nicht reif. Vielleicht muss sich ein eindeutiges Gefühl erst entwickeln. Lassen Sie sich deshalb Zeit. Meine Erfahrung ist, dass die Betreffenden Schritt für Schritt Klarheit gewinnen, zur Not mit Unterstützung von außen. Immer geht es um die beste Lösung für die Seele.
Fremder, warum sitzt du hier und starrst vor dich hin?
Der Fremde: Ich bin drei Tage scharf geritten und warte darauf, dass meine Seele mich einholt.
So lautet ein Spruch aus dem Orient. Er beschreibt treffend das Bedürfnis von Seele und Körper nach Ausgleich und Ganzheit. Wie Sie noch sehen werden, ist Ruhe ein zentraler Heilungsfaktor, um die Ganzheit wieder herzustellen. Haben Sie also Geduld und lassen Sie Ihre Entscheidungen reifen.
Meine Empfehlung:
Der Stühletest
Mit dem Stühletest können Sie leicht überprüfen, ob Entscheidungen stimmig sind oder nicht. Stellen Sie zwei oder mehrere Stühle hin, die verschiedene Lösungen repräsentieren. Indem Sie sich auf die jeweiligen Stühle setzen, können Sie genau herausfinden, auf welchem Stuhl es sich am stimmigsten anfühlt. Manchmal ergeben sich auch Teillösungen oder eine Rangfolge von Lösungen. Man kann sich auch ein Zeitfenster vorstellen, in dem eine bestimmte Lösung vorläufig gelten soll.
Leiten Sie die Übung damit ein, dass Sie sich etwas „dumm“ stellen. Das gibt Ihrer Kreativität mehr Raum und Sie entscheiden mehr „aus dem Bauch“. Stimmige Entscheidungen fühlen sich immer entlastend, leicht und richtig an, selbst wenn Sie damit nicht vollends auf Zustimmung Ihrer Umwelt stoßen sollten. Entscheidend sind im Moment aber nicht