Wir sind besonders dankbar, dass der englische Naturmaler und Zeichner Stephen Walton die Zeichnungen für diese Ausgabe angefertigt hat, denn auf dem Zukunftsweg zur Herzenserkenntnis hat grundsätzlich die Kunst eine wesentliche Rolle zu spielen, so soll sie hier den ihr gebührenden Platz einnehmen.
Einleitende Gedanken zur Neuauflage
von Imanuel Klotz
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Goethe, in Faust, «Wald und Höhle»
Das Einmalige des vorliegenden Werkes Bruder Tier besteht darin, dass Karl König die Erscheinungen der Sinneswelt nicht nur mit dem üblichen wissenschaftlichen Blick betrachtet, sondern gleichzeitig mit dem jungen, in der Menschheit allmählich erst erwachenden Herzensdenken, das ihm ein besonderes Anliegen war.1 Schon zu Beginn seiner Studienzeit – die er vor dem Medizinstudium mit Zoologie begann – hatte er sich an der damit in Zusammenhang stehenden Anschauungsweise Goethes orientiert, die in den hier vorliegenden Aufsätzen auch immer wieder erwähnt wird. Ein typisches Symptom für dieses an sich noch zukünftige Herzensdenken ist das Ausreifen des zu behandelnden Themas. König schreibt das Werk in den letzten zehn Jahren seines Lebens als Frucht eines lebenslangen Strebens, dessen Wurzeln bis in seine Jugendjahre reichen, in denen er früh seine Fähigkeit zu schulen versuchte, moderne wissenschaftliche Exaktheit mit gott- und geistergebenem Erkennen zu verbinden. Wir können diesen Weg erahnen, wenn wir nicht nur Königs naturwissenschaftliches Studium als Hintergrund bedenken, sondern uns zudem den geistigen Hintergrund seines Denkens und seine starke Empathiefähigkeit vergegenwärtigen.
Sein schon in der Kindheit sich zeigendes soziales Gewissen, sein unermüdlicher Einsatz als Arzt und Heilpädagoge waren nach außen hin natürlich dem Menschen gewidmet, doch die Liebe zum Tier und das Gefühl des brüderlichen Verbundenseins – durchaus im paulinischen Sinne der Erlösung der Kreatur2 – verließen ihn nie. Eine kleine Episode, die seine Mutter 1966, im jüdischen Altersheim in London lebend, in ihren Memoiren3 festhielt, kann dies anekdotisch verbildlichen:
Einmal kam mein Sohn die ganze Nacht nicht nach Hause; wir dachten, er schläft vielleicht bei den Bergels. In der Früh kam er zerzaust und schmutzig. ‹Ja, wo warst du denn?› Da sagte er: ‹Bei der Polizei.› Der Grund? Er hielt im Stadtpark einen Vortrag, wie schlecht die Tiere hier behandelt werden. Der Schinder kommt und fängt die Hunde ein auf grausame Art … Das war immer ein jämmerliches Heulen. Und so hielt mein Sohn einen Vortrag im Stadtpark darüber, eine große Menschenmenge sammelte sich um ihn, und das war in Wien streng verboten. So kam der Polizist und arretierte ihn von der Stelle weg, er durfte uns nicht einmal anrufen. Das ist der österreichische Polizeistaat im Gegensatz zu England, wo jeder Mensch im Hyde Park sprechen kann, ohne belästigt zu werden.
1902 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren und dort aufgewachsen, beginnt Königs Entwicklung im Judentum, von dem er sich eigenständig bereits als Zwölfjähriger zu lösen beginnt, sich zum Christentum wendet und sich sechzehnjährig in der katholischen Kirche taufen lässt, jedoch bald aus der konfessionellen Bindung herauswächst.
Seine religiöse Innigkeit ist mit der ernsten Suche nach philosophisch und wissenschaftlich erfassbarer Wahrheitsliebe in einem sozialreformierenden Kontext menschlicher Brüderlichkeit verbunden. Die Krönung seines frühen Jugendstrebens erlebt Karl König in seinem neunzehnten Lebensjahr am 4. Mai 1921, im Umkreis des ersten Mondknotens, der Wiederkehr der Geburtskonstellation von Erde, Sonne und Mond:4
Ich habe in den letzten Tagen etwas durchlebt; was noch niemals in mir war. Die Umwelt ist für Stunden von mir gefallen, und ich habe das Innerste erblickt: ich habe erfasst, dass wir teilhaben am ganzen All der Ewigkeit, dass das Ich das All-Eine ist. In diesen Stunden kam mir mein Bewusstsein viel größer und weiter als die Sterne vor. Die Zeit dauerte sehr sehr lange. Mir war, als hätte ich erst in diesen Stunden das Denken erfasst.5
Hiermit deutet Karl König die geistige Pforte an, die er auf dem Weg zu seinen akademischen Studien an der Universität Wien durchschritt. Als Realschüler musste er zunächst das Latinum nachholen. Er hörte währenddessen auch Vorlesungen über Botanik, Zoologie, experimentelle Zoologie und Biologie sowie zwei Semester lang auch Physik, Chemie und höhere Mathematik. Bei all dem pflegte er von Jugend an eine intensive Auseinandersetzung mit der Dichtung und der Musik; liebte insbesondere Beethoven, Bruckner und Mahler, spielte auch sehr gerne Klavier, sodass die Musik ein zentrales Element in seiner Bildung ausmachte und er sogar den Beruf eines Dirigenten in Betracht zog. Aber sein Interesse für das Wesen des Menschen und sein entschiedener Heilerwille, in dem er aber den Menschen nie nur für sich, sondern immer auch im sozialen Zusammenhang sah, führten ihn zum Medizinstudium.
Bei seinem Eintritt in die Universität notierte er in seinem Tagebuch, dass sich die Welt der naturwissenschaftlichen Forschung … vor mir mit unmäßiger Gewalt zu enthüllen begann; mit Gelassenheit ahnte er:
Das materialistische Meer wird auf mich einstürmen. Aber ich will standhalten. Die Welt und das All sind voll von Gott und voll von Engeln und Wundern, voll von Güte und Zorn und voller Willen.
Als er sich dann auf die mathematisch-materialistischen Anschauungen und Forschungen einließ, wie sie im Fach Medizin nötig sind und gefordert werden, begegnete er Goethe, den er bis dahin nur als Dichter kannte und schätzte, nun auch als Naturforscher. Damit wird ihm der Geist des wahrhaft Lebendigen, den er im Bereich des Denkens bereits ergriffen hatte, auch in naturwissenschaftlicher Hinsicht greifbar.
[Goethes] botanische und anthropologisch-morphologische Darstellungen wirkten auf mich wie eine Erlösung. Hier fühlte ich mich unmittelbar angesprochen, das waren die Tore, die zu möglichen Antworten führen werden. Ich begegnete in den Goethe’schen Anschauungen über die Natur etwas, das mein Denken […] belebte. […] Nun erst wurde das Studium der Anatomie, der Embryologie und Histologie zu einem täglichen Quell innigster Freude. Knochen und Muskel offenbarten mir neue Welten. Die Idee der Metamorphose ergriff mich tief, und ich lernte ahnend das Walten der Bildekräfte der Natur kennen. So begann ich auch die Identität, die zwischen diesen Bildekräften und unseren Gedanken besteht, zu erfassen. Draußen in der Natur wirken diese bildenden Kräfte so, dass sie alle organischen Formen entstehen lassen. Drinnen, in der menschlichen Seele aber, sind sie die Bildner unserer Gedanken und Ideen.6
So entsteht Königs Menschenbild zwischen einem geisterfüllten Kosmos und dem natürlichen Leben von Pflanze und Tier auf der Erde. Dabei richtet er seinen Blick auf das Werden des Menschen im Bereich der Embryologie und Evolution. Durch seine damaligen tiefen Fragen kann man sich vielleicht daran erinnert fühlen, wie genau einhundert Jahre zuvor7 solche Fragen in Charles Darwin lebten, der aber bewusst alles Künstlerische ausschloss, verbannte, das davor ebenso eine Rolle in seinem Leben gespielt hatte, um sich ganz der naturwissenschaftlichen Forschung hinzugeben, was er aber im Alter bereute.8
Drei Jahre verbrachte König am Embryologischen Institut. In seinem Tagebuch finden wir folgenden Eintrag:
Ich lernte die Wege der sogenannten exakten Forschung kennen – und – unterrichtete […] Hunderte von Studenten in der Kunst des Mikroskopierens; vor allem aber wurde mir die Entwicklung und Ausgestaltung des menschlichen Embryo gründlich vertraut.9
Das phylogenetische und ontogenetische Grundgesetz beschäftigte ihn und lenkte seinen Blick auf die spirituellen Aspekte der Evolution von Mensch, Erde und Welt. Im gegenwärtigen Tierreich schaute er auf längst vergangene Stufen der Menschwerdung, welche das Tier wie ein zurückgebliebener