Drei der hier insgesamt vier behandelten Handschriften können dem Umfeld einer aristokratischen Familie zugeordnet werden, nämlich Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a sowie Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3. Die älteste der Handschriften, Cod. Holm. D4, wurde von Gustav Algotsson (Sture) in Auftrag gegeben und im Skriptorium des Klosters VadstenaVadstena in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigt, vermutlich um 1420.1 Der eben erwähnte Gustav Algotsson war in der zweiten Ehe mit Märta Ulfsdotter (Sparre von Hjulsta und Ängsö) verheiratet, die wiederum die nach ihr benannte Handschrift Cod. Holm. D4a, Fru Märtas bok oder Codex Verelianus, besaß. Der Schreiber der besagten Handschrift gehörte ebenfalls in den Familienkreis der Ulfssons: Märtas Bruder, Sigge Ulfsson. Bengt R. Jonsson äußerte die Hypothese, dass Frau Märta Ulfsdotter auch schon den Cod. Holm. D4 besaß, nach dem Tod ihres Mannes Gustav Algotsson im Jahre 1448 aber keinen Zugang mehr zu der Handschrift hatte, so dass sie nach dem Vorbild der Handschrift D4 sich eine neue Handschrift anfertigen ließ, den Cod. Holm D4a.2 Die genealogische Linie führt in die nächste Generation: Gustav Algotsson und Märta Ulfsdotter hatten zwei Töchter, Birgitta und Elin Gustavsdotter (Sture). Nach dem Tod der Mutter wird Birgitta die Handschrift D4a geerbt haben, während Elin sich eine eigene Handschrift, die D3, anfertigen ließ. Elin war in ihrer ersten Ehe mit Knut Stensson (Bielke), dem jüngeren Halbbruder des schwedischen Königs Karl KnutssonKarl Knutsson, verheiratet. Dieser starb 1451 und wurde in Vadstena beerdigt. Ihre zweite Ehe führte Elin mit Erik Axelsson (Tott). Nur ergänzend sei hier angemerkt, dass die Brüder Oluf, Erik und Ivar Axelsson (Tott) zwischen 1450–1490 einen entscheidenden und dominierenden Machtfaktor in der dänischen und schwedischen Politik und in der gesamten Unionspolitik darstellten.3 Ein Teil der Texte der Handschrift D3 sind direkte Abschriften aus D4a, während für andere Texte keine direkte Beziehung identifiziert werden konnte. Was die Tradierung der drei Handschriften anbelangt, so kann man konstatieren, „att dessa handskrifter traderats huvudsakligen genom kvinnliga släktled“.4
Die Rekonstruktion der genealogischen Verhältnisse der Eigentümer und Eigentümerinnen der Handschriften dient der Einordnung in den politischen und sozialen Kontext ihrer Entstehungszeit der Kalmarer UnionKalmarer Union. In Bezug auf D3 und dessen Eigentümerin Elin Gustavsdotter merkt Bengt R. Jonsson an: „Eljest var Elin säkerligen i högsta grad politiskt medveten och engagerad; hon kunde följa skeendet från bästa parkettplats“.5 Es ist daher als wahrscheinlich anzunehmen, dass neben den persönlichen Interessen der Auftraggeber und Kopisten an verschiedenen, historischen, höfischen und profanen Inhalten auch die politischen Begebenheiten für die Zusammenstellung der Texte innerhalb der vier schwedischen Handschriften ausschlaggebend waren. Inwiefern Karl Magnus, sowohl als einzelne Geschichte vom fränkischen Kaiser als auch in Interaktion mit anderen ihn umgebenden Texten der vier SammelhandschriftenSammelhandschrift, eine politische oder soziale Botschaft für die schwedische Aristokratie des 15. Jahrhunderts vermittelte, soll durch dessen Kontextualisierung deutlich gemacht werden.
3.5. Karl Magnus Krønike und das Børglum-Kloster
BørglumAuch die dänische Überlieferung der kompilierten chansons de gestechansons de geste um Karl den Großen ist in einer SammelhandschriftSammelhandschrift aus dem 15. Jahrhundert enthalten. Die Datierung der Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 (Kungliga Biblioteket, Stockholm) auf das Jahr 1480 mit der Ortsangabe ‚BørglumBørglum‘ lässt für dieses Kapitel einen historischen und soziokulturellen Hintergrund einer anderen Art rekonstruieren, als dies bei den schwedischen Handschriften der Fall war. Obwohl die Entstehungszeit dieser Handschrift ebenfalls in die Zeit der Kalmarer UnionKalmarer Union fällt, kann der Zusammenhang mit der zeitgenössischen politischen Situation kaum durch die Textauswahl belegt werden: Zu heterogen sind die Inhalte der Handschrift, die im folgenden Kapitel näher vorgestellt werden. Neben den historischen Begebenheiten, die im vorangehenden Kapitel erläutert wurden, kann die Handschrift Vu 82 durch die Ortsangabe, zumindest was den mittelalterlichen Teil der Handschrift betrifft, dem geistlichen Hintergrund des monastischen Milieus der PrämonstratenserPrämonstratenser auf Jütland zugeordnet werden.
Der Ort der Fertigstellung der Handschrift, nämlich das nordjütische Kloster BørglumBørglum, war ursprünglich ein königliches Gut. Auch wenn das Quellenmaterial zur Geschichte der weißen Chorherren, i.e. der PrämonstratenserPrämonstratenser, in Skandinavien recht fragmentarisch ist, lässt sich nachweisen, dass der Anfang der weißen Chorherren von Prémontré in Skandinavien in die Zeit Eskils als Erzbischof von Lund (1138–1177) fällt.1 Wann das erste eigentliche Kloster gestiftet wurde, ist nicht bekannt. In der Forschung geht man davon aus, dass der Ort Børglum im Jahre 1086 noch königlicher Besitz war.Børglum2 Spätestens 1139 wurde beim Provinzialkonzil in Lund der Bischofssitz endgültig nach Børglum verlegt, wo Bischof Sylvester ein neues religiös-administratives Zentrum für sein Bistum errichten wollte. Eine Klosterstiftung vom Mutterkloster Steinfeld in der Eifel wird für die Zeit um 1150 angenommen, die erste Kontaktaufnahme mit Steinfeld in der Eifel muss aber bereits in den Jahren 1139–1142 stattgefunden haben.Børglum3 Neben den Hoheitsrechten, die das Verhältnis zwischen dem Mutter- und Tochterkloster im Ordenswesen auszeichnen, sind es vor allem reisende Ordensmitglieder, die einen direkten Austausch zwischen den Klöstern herstellten: Nyberg geht davon aus, dass man Kanoniker aus Steinfeld nach Dänemark entsandte, während die Studenten aus Dänemark, die dem Orden beitraten, zu Ausbildungszwecken in die Eifel reisten.4 Wie das Mutterkloster Steinfeld verpflichtete sich seit 1177 auch Børglum, Prémontré als Hauptkloster und Norm der klösterlichen Lebensweise anzuerkennen und das dortige Generalkapitel zu besuchen, wo der Prämonstratenserorden von Norbert von Xanten im Jahre 1120 gegründet wurde.5
Das einsame dänische Kloster wurde Domkapitel für den Bischof der Insel Vendsyssel, dem heute nördlichsten Teil Jütlands, welcher im Mittelalter ohne Landverbindung durch den Limfjord vom Festland getrennt war. Es gilt als Mutterkloster der beiden norwegischen Abteien des Ordens, des Olavsklosters in Tønsberg und Marieskog in Dragsmark. Die Stiftung des letzteren um 1230 geht auf den norwegischen König Hákon Hákonarson (1217–1263) zurück. Die Entstehung einer Schwestern- oder Kanonissengemeinschaft in BørglumBørglum um 1160 kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Durch die geographische Lage der Klöster, nämlich ihre Nähe zur Nordsee, wurde die Kommunikation unter den Klöstern erleichtert sowie die Entwicklung ähnlicher ökonomischer Strukturen begünstigt, was den Handel und Export von Überhangware anging.Børglum6 Auch waren diese drei Abteien Ausgangspunkt des westlich gewandten Schiffsverkehrs, während diejenigen in Schonen (Tommarp, Öved, Lund und Vä, später nach Bäckaskog verlegt) an der dänischen Expansion über die Ostsee Anteil hatten.7
Bis 1536, also bis zur Reformation, als alle Bischofsgüter des Königs Christian III. beschlagnahmt wurden, war das Kloster BørglumBørglum im Besitz des Prämonstratenserordens. Man kann davon ausgehen, dass die Klosterbibliothek sowie die vorhandenen Inventarverzeichnisse der Enteignung und Säkularisierung zum Opfer fielen. Die Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 ist als einziges Zeugnis der literarischen Produktion in Børglum erhalten geblieben.
3.6. Historia de profectione Danorum in Hierosolymam
Doch auch wenn die materielle Überlieferungslage sich auf eine einzige erhaltene Handschrift beschränkt, so existiert neben der Karl Magnus Krønike ein weiteres literarisches Zeugnis der literarischen Produktionstätigkeit in BørglumBørglum: Die Historia de profectione Danorum in Hierosolymam handelt von einem dänisch-norwegischen Kreuzzug nach Jerusalem im Jahre 1191, aufgezeichnet einige Jahre später, offensichtlich noch vor 1202.Børglum1 Die Handschrift norwegischer Provenienz ist nicht erhalten, es existiert jedoch eine Abschrift des Altphilologen Johann Kirchmann aus dem Jahre 1625, als er diese in einer Lübecker Bibliothek entdeckt hatte.2 Über die genaue Herkunft der verlorenen Handschrift können keine Angaben gemacht werden. Inhaltlich bestand sie aus vier Teilen:
1 Josephus: De bello Judaico
2 Theodoricus Monachus: Commentarius de vetustis regibus norwagicis
3 Abt