2, 23, 8–10: Caecil. com. II 142–157 SRPF3 ← Men. frg. 296 PCG = 333 Körte
2, 23, 11–13: Caecil. com. II 158–162 SRPF3 ← Men. frg. 297 PCG = 334 Körte
2, 23, 14–21: Caecil. com. II 169–172 SRPF3 ← Men. frg. 298 PCG = 335 Körte
Abschließend (IV) wird in 2, 23, 22 noch einmal der Vorzug Menanders mit dem Hinweis hervorgehoben, dass die lateinische Nachbildung für sich betrachtet ihren künstlerischen Wert besitze, im direkten Vergleich mit dem Original aber ästhetisch abfalle.
Gellius geht es in diesem Kapitel um den Vergleich zweier Ganzschriften: Die drei Textbeispiele (loci) sind exemplarisch gewählt und dienen dem Zweck, die künstlerische Unterlegenheit der lateinischen Nachbildung im Ganzen zu belegen.5 Für derartige Vergleiche von Ganzschriften bot die frühe lateinische Übersetzungsliteratur – archaisches Epos und insbes. Tragödie und Komödie – reichlich Material, wobei die fehlende stoffliche Originalität der Texte grundsätzlich keinen Anlass zur Kritik lieferte.6 Auch Gellius setzt in 2, 23 die besonderen Produktionsbedingungen der frühen römischen Komödie als Übersetzungsliteratur als gegeben voraus:
Gellius greift in 2, 23 auf die traditionelle Terminologie zur Kennzeichnung von Übersetzungen – im weiteren antiken Sinne verstanden7 – zurück; vgl. 2, 23, 1 (Comoedias … nostrorum poetarum sumptas ac versas de Graecis …) und 2, 23, 6 (… Menandri … Plocium …, a quo istam comoediam verterat).8 Den Vorgang der Abweichung vom Original bezeichnet er mit dem Terminus mutare (2, 23, 7). Die Intention des „Übersetzers“ gerät in 2, 23, 11–12 in den Blick: Caecilius wird die Absicht unterstellt, bestimmte Züge des Originals übernehmen zu wollen, ohne jedoch die Fähigkeit zur Umsetzung besessen zu haben: … ea Caecilius, ne qua potuit quidem, conatus est enarrare, sed quasi minime probanda praetermisit et alia nescio qua mimica inculcavit et illud Menandri … simplex et verum et delectabile, nescio quopacto omisit. Die Abweichungen vom Original erscheinen in dieser Betrachtung als Symptome eines generellen künstlerischen Mangels. Entsprechend wird in 2, 23, 13 die lateinische Übertragung der zweiten Menanderstelle als „Entstellung“ des Originals (corrupit) gescholten, und auch in 2, 23, 21 ist Menander das Maß aller Dinge: Im Zusammenhang mit der dritten Caeciliusstelle stellt Gellius die Frage, ob der Römer die sinceritas und veritas der Menanderverse erreicht habe (… an adspiraverit Caecilius, consideremus).9 Auch der Schlussgedanke reiht sich hier ein: Der Versuch der Nachahmung sei in den Fällen, wo er mangels Begabung von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist, nicht einmal erlaubt (2, 23, 22: … non puto Caecilium sequi debuisse, quod assequi nequiret). Caecilius wird demnach als ein Beispiel für eine zwar beabsichtigte, aber misslungene Nachahmung vorgestellt. Und schon in der Einleitung wird aemulatio ohne weitere Begründung als die leitende Absicht, die hinter dem Nachahmungsversuch des Caecilius steht, vorausgesetzt (2, 23, 3: ita Graecarum, quas aemulari nequiverunt, facetiis atque luminibus obsolescunt).
In den drei Einzelstellenvergleichen wird detailliert vorgeführt, was Gellius unter aemulatio verstanden wissen möchte.10 Die ästhetischen Kriterien, die zur Anwendung kommen, beziehen sich allesamt auf das poetische Programm der Neuen Komödie: Possenhafte Theatereinlagen (mimica) werden als unpassende Ergänzungen des Caecilius verurteilt, Menanders sprichwörtliche Lebensnähe11 und sein Realismus als Vorzüge des Griechen gegen den Lateiner ausgespielt, Schlichtheit und Gefälligkeit als Maßstäbe dramatischer Gestaltung auch an die lateinische Adaption angelegt.12 Beim zweiten Stellenpaar wird Menanders Fähigkeit der „angemessenen und schicklichen“ Charakterzeichnung gerühmt, die den Erfordernissen der Situation nachkommt und die der „alberne Spaßmacher“ Caecilius verfehlt habe.13 Glaubwürdigkeit und „Wahrheit“, d.h. Lebensnähe (sinceritas und veritas), sind, wie bereits angesprochen, die Leitbegriffe, die auch beim dritten Parallelenpaar die Beurteilungskriterien abgeben und mit denen der „tragische Schwulst“ des Caecilius kontrastiert.14
Die knappe Übersicht über die ästhetischen Analysen zeigt, dass Gellius an Caecilius dieselben Maßstäbe anlegt, die traditionell die Grundlage für die – positive – Beurteilung von Menanders Komödienstil bildeten.15 Aufführungs- und Rezeptionsbedingungen der Palliata geraten dabei an keiner Stelle in den Blick: Caecilius wird wie ein lateinischer Vertreter der griechischen Neuen Komödie beurteilt.16 Damit zwingt Gellius dem Caecilius in seiner Analyse einen Wettstreit unter falschen Voraussetzungen auf: Änderungen der Vorlage werden nicht unter ihren besonderen Bedingungen, sondern als Abweichungen von einer gegebenen und somit gültigen Norm betrachtet. Dem entspricht auch der bei Gellius vorausgesetzte Rezeptionskontext. Die beiden Dramen sind hier nicht mehr als Bühnenstücke, sondern als Gegenstände der gemeinschaftlichen Lektüre präsentiert.17 Auf diese Weise kann Gellius von den zeitgebundenen Erfordernissen, denen der römische Palliatadichter genügen musste, abstrahieren: Die Lesekultur der Noctes Atticae bedingt in diesem Fall eine ahistorische Betrachtungsweise von Literatur, die scheinbar zeitlosen Bewertungskriterien folgt – hier dem in Menanders Stück ideal verwirklichten Komödientypus.
Zwei der synkritischen Kapitel in den Noctes Atticae sind Textsorten gewidmet, deren Behandlung nach Quintilian18 in den Zuständigkeitsbereich des Rhetoriklehrers fallen, nämlich der Historiographie und der Rede (Gell. 2, 27 und 10, 3). Dabei handelt es sich nur im Fall von Gell. 2, 27Gellius2, 27 um den Vergleich eines griechischen (Demosth. steph. 67) mit einem lateinischen (Sall. hist. I frg. 88 Maurenbrecher) Text, und nur hier wird eine direkte Abhängigkeit im Sinne intentionaler aemulatio behauptet.19 Das Urteil ist T. Castricius in den Mund gelegt, einem Rhetoriklehrer, den Gellius in den wenigen Kapiteln, in denen er auftritt, als sittenstrenge Autoritätsperson kennzeichnet.20
Es ist dann auch ein moralischer Gesichtspunkt, den Castricius in seiner synkritischen Bewertung der beiden Stellen vorbringt: Sallust hatte den bei Demosthenes formulierten Gedanken, dass König Philipp von Makedonien – abgesehen von seinen bislang im Krieg erlittenen Blessuren – bereit sei, zur Mehrung seines Ruhmes den Verlust eines jeden Körperteils in Kauf zu nehmen, in der Weise auf Sertorius übertragen, dass er dem Römer noch zusätzlich eine perverse Freude an der Verstümmelung unterstellte: Quin ille dehonestamento corporis maxime laetabatur neque illis anxius, quia reliqua gloriosius retinebat (Gell. 2, 27, 2). Für Philipp war die Verstümmelung nur der notwendige, aber grundsätzlich unerwünschte Preis für die Steigerung seines Ruhms: … πᾶν ὅ τι βουληθείη μέρος ἡ τύχη τοῦ σώματος παρελέσθαι, τοῦτο προϊέμενον, ὥστε τῷ λοιπῷ μετὰ τιμῆς καὶ δόξης ζῆν („… jedes Körperglied, das das Schicksal ihm nehmen wollte, preisgebend, um mit dem, was ihm blieb, in Ehre und Ansehen zu leben.“).
Castricius erkennt einen Gegensatz zwischen der von ihm zugrunde gelegten Definition der laetitia – exultatio quaedam animi gaudio efferventior eventu rerum expetitarum (Gell. 2, 27, 3) – und der Situation des Sertorius: Der Verlust von Körperteilen könne, so ist zu ergänzen, keinesfalls unter die res expetitae fallen, deren Eintritt die Voraussetzung für die exultatio animi darstellt. Aus diesem gleichsam logischen Widerspruch ergibt sich ein moralischer Vorwurf gegen Sertorius, der in den Augen des Castricius das „rechte Maß“, d.h. die von der Natur vorgegebenen Grenzen der laetitia, überschreitet: nonne … ultra naturae humanae modum est dehonestamento corporis laetari?21
Castricius überträgt den moralischen Vorwurf gegen Sertorius nun bezeichnenderweise auf die Ebene des Autors bzw. Redners, wenn er Sallust indirekt eine Unstimmigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der Darstellung – also eine technische, keine moralische Schwäche – vorwirft, indem er einleitend zu dem oben zitierten Schlusssatz des Demosthenespassus urteilt: Quanto illud sinceriusque et humanis magis condicionibus conveniens (Gell. 2, 27, 4). Sincerius kann in diesem Zusammenhang nur auf die historische Glaubwürdigkeit der Charakterzeichnung Philipps durch Demosthenes gehen. Die Stoßrichtung des Vorwurfs bleibt in 2, 27 also in der Schwebe: Der moralische Tadel an einer Figur,