Überhaupt ist kaum je systematisch untersucht worden, wie man zu einem gegebenen Text das Thema finden kann. Es ist anzunehmen, dass hier viel Intuition im Spiel ist, was eine für alle gültige Identifikation eines Textthemas erschweren dürfte.
Dass man in der Theorie und der Praxis der Textbeschreibung kaum je zwischen Satzthema und Textthema unterscheidet, hat außerdem zur Folge, dass auch die Beziehung zwischen dem Thema-Rhema-Aufbau eines Satzes und seiner Beziehung zu einem Textthema noch kaum untersucht ist:Welche semantischen und formalen Beziehungen bestehen zwischen der Thema-Rhema-Gliederung eines Satzes und der thematischen Funktion einer Äußerung im Text? Eine weitere Frage ist, ob wir für alle denkbaren Textsorten Textthemen gleicher Art voraussetzen können: Ist das Thema eines argumentativen Textes von der gleichen Art wie jenes einer Beschreibung? Der Begriff des Textthemas als Textvorgabe erscheint so im Rahmen der Textsemantik zwar sinnvoller und nützlicher als jener vom Thema als Textzusammenfassung. Er ist aber dennoch nicht viel leichter zu systematisieren.
4.6.2 Themenstruktur und HandlungsstrukturHandlungsstruktur
Das Thema als TEXTTHEMA kann als Faktor verstanden werden, der einer Folge von Sätzen Kohärenz verschafft: Ein Textabschnitt ist insofern ein kohärente Folge von Sätzen, als alle diese Sätze der Behandlung dieses einen Themas gelten, eine Antwort auf eine bestimmte Frage liefern oder den Mangel eines vorgegebenen kognitiven Objekts beseitigen helfen. Eine solche kommunikative AufgabeAufgabe, kommunikative ist je nach Situation nicht in einem einzelnen Satz zu lösen, sondern erfordert möglicherweise einen inhaltlich komplexen Text.
Texte, die aus einer Folge von Sätzen bestehen, können in der Regel in Teiltexte unterteilt werden. Daraus entwickelt sich fast automatisch die Konzeption, dass auch in thematischer Hinsicht Texte hierarchisch strukturiert sind: Als Ganzes haben sie ein übergeordnetes Hauptthema, die einzelnen Teiltexte haben untergeordnete Teilthemen. Wie dieser Zusammenhang entsteht, kann unterschiedlich gesehen werden. In einfacher Form kann der Zusammenhang dadurch entstehen, dass sich aus jeder Aussage zu einem Thema wieder eine neue Frage, also ein neues Thema ergeben kann; eine Antwort kann ihrerseits ergänzungsoder erläuterungsbedürftig sein. Für Hellwig nimmt der Autor bei jedem Satz
in Gedanken vorweg, was der Leser an bestimmten Stellen fragen könnte oder müsste, und beantwortet es im Voraus. Größere Sinneinheiten resultieren daraus, dass eine Frage erst endgültig beantwortet ist, wenn auch die Fragen, die die Ausführungen wiederum nach sich ziehen, behandelt worden sind. (Hellwig 1984: 15)
Ähnlich sagt van Kuppevelt (1995): „The contextual induction of a subquestion is […] the result of an UNSATISFACTORY ANSWER to a preceding question.“ Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass ein bestimmter Gegenstand in seine Teilaspekte aufgegliedert werden muss, um behandelt werden zu können; jeder Teilaspekt lässt sich als Teilfrage oder als Teilgegenstand des Gesamtthemas verstehen, der in einem Teiltext zu behandeln ist. Auf der Textebene treffen wir also thematische Beziehungen an, die auch im satzbezogenen Ansatz der thematischen ProgressionProgression, thematische unter den Stichworten THEMENKOMPOSITION und THEMENSPALTUNG erfasst werden (siehe Fußnote 12). In textlinguistischer Sicht haben diese Progressionsformen allerdings den Charakter hierarchischer Beziehungen: Teilaspekte sind dem Gesamtthema untergeordnet, daraus ergeben sich Themenhierarchien.
In manchen Weiterentwicklungen dieser Gedanken wird die Beschreibung von thematischen Strukturen von Texten mit der Idee verknüpft, dass Texte komplexe HandlungenHandlung sind und dass auch auf der Handlungsebene, der illokutiven, funktionalen Ebene Texte hierarchisch gegliedert sind. Wie die thematische Struktur und die Handlungsstruktur sich zueinander verhalten, kann unterschiedlich interpretiert werden. Für Lötscher (1987) ist eine Thematisierung selbst eine initiative kommunikative Teilhandlung, welche Anlass zur Formulierung eines Textes ist. Der Text ist eine reaktive problemlösende Handlung zu dieser Thematisierung. Eine solche Handlung muss gewöhnlich in Teilhandlungen vollzogen werden. Entweder ergibt sich die Aufteilung in Teilhandlungen aus dem übergeordneten Thema oder Teilhandlungen provozieren selbst wieder „mangelhafte Objekte“, die zu untergeordneten Themen werden, die in Teiltexten behandelt werden müssen. Die Einführung eines Themas hat in dieser Sicht immer einen bestimmten Zweck, im Normalfall mit Bezug auf ein anderes Thema. Diese Zweckbestimmung schafft Themenverknüpfungen. Lötscher (1987: 149ff.) gibt etwa folgende Beispiele von THEMENEINFÜHRUNGEN, als TexthandlungTexthandlungHandlungTexthandlungHandlung verstanden:
KONTEXTUNABHÄNGIGE EINFÜHRUNG EINES THEMAS: Ein Thema wird um seiner selbst willen gewählt, als Ausgangspunkt eines Textes oder ohne Bezug zu einem vorangehenden Thema.
THEMENASSOZIATION: Ein Thema hat eine bestimmte Kontiguitätsbeziehung zu einem vorangehenden Thema, wird aber sonst rein assoziativ gewählt. Dies ist vor allem im Small Talk eine häufige Form der Themenverknüpfung. Im folgenden Textausschnitt findet ein fließender Wechsel vom Thema des Geldversteckens zu Versehen beim Kleiderwaschen statt:(4–17) [zwei Frauen sprechen darüber, wie man bei Ferienreisen Geld in Kleidern verstecken kann]A: ich wollt das auch irgendwie so am Bademantel – da im Saum oder so –B: beim Bademantel is s natürlich noch günstigerA: weil das so ein schöner dicker Stoff isC: … wenn Sie den Bademantel dann nicht am Strand vergessen oder damit ins Wasser gehen – so wie meine Mutter ihren Personalausweis mit in die Waschmaschine tut– und meine Freundin behauptet, ich glaub sie hatte die goldnen Manschettenknöpfe von ihrem Mann mit rein getan.
THEMAEINFÜHRUNG ÜBER PROBLEMATISIERUNG: Ein Thema wird eingeführt, weil der vorangehende Satz begründungs- oder erklärungsbedürftig ist:(4–18) Jetzt muss ich die Heizung anstellen. [Problematisierung: Muss ich das wirklich?] [Begründung:] Draußen ist es kalt.
THEMAEINFÜHRUNG ZUR INHALTSERGÄNZUNG: Ein Thema wird eingeführt, um Verständnisvoraussetzungen für eine vorangehende Äußerung zu klären:(4–19) Heute abend gehe ich mit Max ins Kino.Max, das ist ein Kollege vom Büro nebenan.
THEMASPALTUNG: Zu einem eingeführten Thema werden Teilaspekte als Unterthemen eingeführt:(4–20) Wie ist Max als Schüler?In Mathematik und Physik ist er ausgezeichnet.In den Sprachfächern könnte er mehr leisten, als er tut.
TEILZIELSETZUNGEN BEI SUCHHANDLUNGENHandlung: Teilthemen werden im Zusammenhang mit Problemlösungen, Argumentationen oder Planungen eingeführt, beispielsweise als Vorschläge. Meist haben entsprechende Themen inhaltliche Beziehungen. Im nachfolgenden Beispiel werden nacheinander verschiedene Zeitpunkte zur Vereinbarung einer Sitzung thematisiert:(4–21) A: Donnerstag ist bei dir ganz besetzt?B: JaA: MhmB: Halt ab 20 Uhr, dann, abendsC: Und n spätern Termin?D: Donnerstag nich, an einem anderen Tag wär das durchaus drin.B: Mittwoch, wie wärs mit Mittwoch?
INHALTSSTRUKTURELL BEDINGTE THEMENVERKNÜPFUNG: Teilthemen werden entsprechend der Sachstruktur eines behandelten Gegenstands eingeführt, bei Beschreibungen etwa entsprechend der Struktur des zu beschreibenden Gegenstands, bei Darstellungen von Handlungen oder im Speziellen bei Erzählungen entsprechend der chronologischen Reihenfolge und der HandlungsstrukturHandlungsstruktur. Im folgenden Beispiel werden nacheinander verschiedene Teile des Zentralnervensystems thematisiert:(4–22) Die multiple Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Aus noch unbekannten Gründen treten im Rückenmark und Gehirn eine größere Anzahl Entzündungsherde auf, die sklerotische Veränderungen, so genannte Plaques, hinterlassen. Schwerwiegende Konsequenzen ergeben sich daraus, dass die Plaque-Bildung mit einem lokalen Zerfall der Schutzhüllen der Nervenfasern (Myleinhüllen) verbunden ist.
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