Die Gegenstrophe eröffnet mit Vers 1101 ein erneuter Anruf, mit dem Philoktet diesmal konkret seine eigene Person (ὢ ἐγώ) thematisiert: Er selbst, elend (verdoppeltes τλάμων) und von Mühsal geradezu misshandelt (μόχθῳ λωβατός), werde nun zu Grunde gehen (ὀλοῦμαι). Drei Partizipien geben Gründe und Begleitumstände dieser vernichtenden Selbsteinschätzung an: die Wohnsituation (ναίων) in völliger Einsamkeit, die problematische Nahrungsversorgung (οὐ φορβὰν προσφέρων) sowie der Verlust der eigenen Waffen (οὐ … ἴσχων). Dem gerade in den beiden letzten, verneinten Partizipien verbalisierten Mangel setzt Philoktet mit ἀλλά (v. 1111) seine Sicht der Vorgeschichte entgegen: Undeutliche und verborgene Worte eines betrügerischen Verstandes hätten sich eingeschlichen (ὑπέδυ). Philoktet schließt mit einer Verfluchung: Er wolle denjenigen, der das ersonnen habe, die gleiche Zeit seine eigenen Schmerzen erleiden sehen.
Die mit einiger Sicherheit gegen Odysseus gerichtete Invektive (vgl. die folgende Strophe) veranlasst den Chor zu einer unmittelbaren Richtigstellung: Was den Philoktet hier in Besitz genommen habe (ἔσχʼ v. 1119),5 sei das Geschick von δαίμονες, keine List von Seiten des Chors (ὑπὸ χειρὸς ἐμᾶς). Mit Verfluchungen anderer solle er sich daher zurückhalten; denn dem Chor liege daran (ἐμοὶ τοῦτο μέλει), dass Philoktet die gegenseitige Freundschaft nicht von sich stoße.
Offensichtlich haben die Schiffsleute den Protagonisten zumindest leicht missverstanden: Die deutliche Betonung der eigenen Unschuld an Philoktets Leid (vgl. die betonte Hervorhebung der eigenen Person im Possessivpronomen ἐμᾶς v. 1119 sowie das Personalpronomen ἐμοί v. 1121) macht die eingenommene Abwehrhaltung augenscheinlich; dass Philoktet bei seiner Verwünschung konkret Odysseus vor Augen gehabt haben könnte, spielt für den Chor zunächst keine Rolle. Schwerer wiegt für die Schiffsleute der implizite Vorwurf, den die Junktur δολερᾶς φρενός v. 1112 möglicherweise beinhaltete; dementsprechend bildet die entschiedene Zurückweisung eines Betruges (δόλος v. 1117) den wörtlichen Anknüpfungspunkt zur Vorrede des Protagonisten. Der so aufgenommene Begriff δόλος wird scharf von πότμος δαιμόνων unterschieden und findet so seinen Platz in der bereits in den Versen 1095ff. etablierten Terminologie. War dort Philoktet als βαρύποτμος angesprochen worden, der unter Einfluss eines besseren Daimon (λωίονος δαίμονος) anders entschieden hätte, so ist diese Motivik an unserer Stelle zur Junktur πότμος δαιμόνων verschmolzen, die in Abgrenzung zu δόλος erneut besonderes Gewicht erhält. Anders gesagt: Die zweite Wortmeldung des Chors stellt eine Konkretisierung und Verdichtung seiner ersten Aussagen dar, wobei der aus Philoktets Beitrag übernommene Begriff δόλος als virulenter Gegenpol innerhalb der Bewertung die deutliche Selbstverortung des Chors im Geschehen evoziert.
Ein wirklicher Dialog kommt allerdings auch an dieser Stelle nicht zustande, die Gesprächspartner reden vielmehr aneinander vorbei. Philoktet fährt in Vers 1123 erneut in seiner Klage fort, ohne konkret auf den Einwurf des Chors einzugehen,6 wobei er thematisch da einsetzt, wo er vor der Einschaltung des Chors stehen geblieben war: bei Odysseus als dem für sein Leid Verantwortlichen.
Das in Vers 1123 direkt nach der Klageinterjektion οἴμοι μοι eingefügte καί macht den direkten Anschluss an die vorherigen Äußerungen Philoktets greifbar: Subjekt der folgenden Periode ist der in den Versen 1113ff. in den Blick geratene Urheber von Philoktets Leid und damit Odysseus, dessen Name allerdings nicht genannt wird – und auch nicht genannt werden muss. Dieser, so die Imagination, sitzt nun auf der Fläche des Meers und verlacht Philoktet, während er mit dem Bogen des Helden geradezu dessen Nahrungsversorgung (τροφά) in den Händen schwingt. Ein Anruf der Waffe verleiht der Verzweiflung des Protagonisten besonderen Nachdruck (v. 1128ff.): Der Bogen selbst sehe – wenn er Verstand habe –, dass ihn der jammervolle Gefährte des Herakles im Folgenden nicht mehr benutzen werde; vielmehr werde er nun einem listenreichen (πολυμήχανος v. 1135) Mann übergeben und könne dabei mitansehen, wie dieser verhasste Unhold eine Unzahl an betrügerischen und schändlichen Taten aufblühen lasse (ἀνατέλλοντα), die er gegen Philoktet ersonnen habe.
Der Protagonist ist auch an dieser Stelle ganz auf seine eigene Ausdeutung des Geschehens konzentriert: In einem schlaglichtartigen Bild stellt er sich Odysseus vor Augen und lenkt daraufhin den Blick ganz explizit auf den nunmehr endgültig verlorenen Bogen. Die Ansprache der Höhle aus der ersten Strophe als einer unbelebten und doch für das Geschehen eminent wichtigen Entität wird dadurch noch gesteigert: Der Bogen, die zentrale Lebensversicherung Philoktets und essentielles Requisit des Dramas, wird hier nicht nur angeredet, sondern geradezu beseelt und als Handlungs- bzw. Perspektivträger wahrgenommen. Der Besitzerwechsel der Waffe ermöglicht so einen erneuten intensiven Blick auf Odysseus und dessen schändliches Tun. An die Herkunft der Waffe erinnert die Selbstbezeichnung Philoktets als Ἡράκλειον (v. 1131), „Gefährte des Herakles“. Damit klingt neben der bereits entfalteten Nahrungsthematik kurz eine weitere Bedeutungsebene des Bogens an, wie sie bereits in der Anfallsszene eingeflochten war (v. 799ff.) und auch im Monolog des Protagonisten v. 943 angedeutet wurde: Die Waffe als Geschenk des Herakles ist fassbarer Beweis der engen Bindung zwischen diesem mittlerweile vergöttlichten Helden7 und dem Protagonisten. Gegen jedes Recht hat sich Odysseus, so die implizite Konsequenz, in diese vertrauensvolle Beziehung eingemischt und wird im Folgenden den geraubten Bogen zum stummen Augenzeugen seiner verwerflichen Handlungen machen.
Die in Vers 1140 folgende Bemerkung des Chors versucht, der vernichtenden Kritik Philoktets an Odysseus eine andere Perspektive entgegenzusetzen. Den Anfang macht dabei eine gnomische Feststellung (v. 1140–1142):8 Es sei Aufgabe eines Mannes, sein eigenes Rechtsverständnis (τὸ μὲν ὃν δίκαιον) vorzubringen; allerdings müsse er sich davor hüten, damit neidvollen Schmerz hervorzurufen. Der Bezug des folgenden, konkret die Situation ins Auge fassenden κεῖνος (v. 1143) scheint nach Philoktets vorangegangenen Ausführungen deutlich: Odysseus müsste gemeint sein. Jener habe, so der Chor, als Einzelner auf Anweisung (ταχθείς) vieler gehandelt und damit seinen Freunden gemeinsame Hilfe (κοινὰν ἀγωράν) geleistet.
KAMERBEEK9 macht allerdings mit Blick auf den Bezug von κεῖνος auf eine durch den überlieferten Text bedingte Feinheit aufmerksam: Lesen wir in Vers 1144 das überlieferte Demonstrativpronomen im gen. sg. masc. τοῦδʼ,10 so sind mit κεῖνος (v. 1143) und der Form von ὅδε (v.1144) verschiedene Personen gemeint. Der eigentlich Handelnde (κεῖνος) wäre dann Neoptolemos, der auf Geheiß des Odysseus (τοῦδʼ ἐφημοσύνᾳ) seinen Auftrag auszuführen suchte. Was zunächst wie eine textkritische Quisquilie wirkt, wäre für die Gesprächssituation dennoch symptomatisch. Nicht nur, dass der Chor an unserer Stelle ganz und gar loyal gegenüber der Obrigkeit das Vorgehen gegen Philoktet in den Zusammenhang von Beauftragung und Dienst einordnet und so der emotionalen und zutiefst persönlichen Redepartie Philoktets ein abgeklärteres, den größeren Zusammenhang betrachtendes Moment entgegengestellt. Mit der feinen Differenzierung zwischen Odysseus und Neoptolemos verwehrt sich der Chor gegen eine Generalkritik des Protagonisten. Die gedankliche Hinwendung zu Neoptolemos (der zum Chor ohnehin in engerer Beziehung steht als Odysseus) zeugt dabei nicht etwa von einem Missverständnis des Chors gegenüber Philoktets Aussagen – im Gegenteil: Gerade auf dieser Basis könnte sich ein Gespräch über Auftrag und Verantwortung entwickeln. Nichts davon geschieht: Auch dieser Einwurf des Chors verhallt, ohne bei Philoktet eine wirkliche Reaktion hervorzurufen.11
Mit einem erneuten Anruf der ihn umgebenden Natur leitet der Protagonist die zweite Gegenstrophe ein: Sowohl Vögel als auch die einheimischen Landtiere werden von nun an nicht mehr fluchtartig aus ihren Behausungen eilen, da Philoktet seine bisherige Stärke (ἀλκά) nicht mehr in Händen halte; eine wehmütige Selbstansprache v. 1152 rundet das Bild des verzweifelten Helden. Daraufhin wendet sich