Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Wasserbäch
Издательство: Bookwire
Серия: Biblio 17
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300168
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Agons festgelegt. Zudem soll das Wesen der klassischen Komik anhand dieses theoretischen Konzepts bestimmt und die lebensweltliche Reaktion des Lachens im funktionsgeschichtlichen Kontext von la cour et la ville eruiert werden. Diese strukturalistische Herangehensweise wird sodann mit einer anthropologischen Perspektivierung vertieft und komplettiert. Hierzu bedarf es einer detaillierten Analyse der komischen Helden mittels der Ideen zeitgenössischer französischer Moralisten, da ich davon ausgehe, dass der entfesselte amour-propre dieser Protagonisten als Urheber der konfliktreichen Intrigen bestimmt werden kann, ergo das zentrale komische Moment generiert, das sich in Form einer Normdivergenz in der Handlungswelt manifestiert. Das Etappenziel dieser Studie ist schließlich die Bestimmung der Komik in den Ballettkomödien anhand sozialanthropologischer Hintergründe und deren Verquickung mit der generischen Struktur der Ballettkomödie. Diese Ausführungen fügen sich unter nachstehender Prämisse in den Leitgedanken der Studie ein: Wenn die comédie-ballet für ideologische Zwecke eingesetzt wurde, dann müssen im Dramentext gewisse Strukturen insbesondere in der Konstitution der Komik – dem zentralen Phänomen dieser Ballettkomödien – auffindbar sein, welche die Instrumentalisierung der Ballettkomödien zur Machtostentation und -konsolidierung sicherstellen.

      Auf diesen gewonnenen Erkenntnissen aufbauend wird eine gattungsspezifische Komikästhetik anhand des Dualismus von Ästhetik und Ethos unter Berücksichtigung artistisch-performativer, satirischer als auch anthropologischer Aspekte herausgearbeitet, womit die Überlegungen zur Machtästhetik fortgesetzt werden. Funktion und Wirkungsweise der Komik werden unter der Hypothese betrachtet, dass Molières Komik ein ästhetisches Konstrukt klassischer Ganzheit im Spannungsverhältnis von niederer und hoher Kunst widerspiegelt, von reinem Divertissement und tiefsinniger Belehrung – wie die divergenten Haltungen in der Molière-Forschung immer wieder erkennen lassen.

      Zum Schluss der Studie werden die Überlegungen zur Komikästhetik in den Ballettkomödien fortgeführt, indem sie in den Kontext absolutistischer Kulturpolitik gesetzt werden. Die Ausführungen orientieren sich hierbei an Michel Foucaults Analytik der Macht10 wie auch an den Forschungsarbeiten zu den absolutistischen Repräsentationstechniken von Jean-Marie Apostolidès11, Peter Burke12 und Louis Marin13 und eruieren die machtpolitische Bedeutung im gattungspoetologischen Spektrum der Ballettkomödien. Diese Abschlussbetrachtung liefert letztlich ein Verständnis zur Machtästhetik in den Ballettkomödien.

      1 Elemente einer Gattungspoetik der Ballettkomödie

      1.1 Auftakt und Selbstverständnis einer neuen Gattung

      Das 17. Jahrhundert gilt als das goldene Zeitalter des Theaters und des Balletts in Frankreich. Diese Blütezeit erklärt sich mit der gesellschaftlichen und politischen Funktion, die diesen Unterhaltungsmedien zuteilwird. Es ist sicherlich kein Zufall, dass mit dem Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. im Jahre 1661 nicht nur ein politischer, sondern auch ein gattungstypologischer Umbruch zu verzeichnen ist. Molière läutet am 17. August desselben Jahres im Park des Château de Vaux-le-Vicomte mit Les Fâcheux die Geburtsstunde einer neuen Theaterära ein. Paul Pellissons Prolog zu besagter Ballettkomödie apostrophiert in panegyrischem Gestus die Exklusivität dieser Komposition „[pour] le plus grand Roi du Monde“ (LF, 151):

      Faut-il en sa faveur, que la Terre ou que l’Eau

      Produisent à vos yeux un spectacle nouveau?

      Qu’il parle, ou qu’il souhaite: Il n’est rien d’impossible:

      Lui-même n’est-il pas un miracle visible?

      […]

      Je vous montre l’exemple, il s’agit de lui plaire,

      Quittez pour quelque temps votre forme ordinaire,

      Et paraissons ensemble aux yeux des spectateurs,

      Pour ce nouveau Théâtre, autant de vrais Acteurs.1

      (LF, 151f.)

      Diese programmatische Ouvertüre seiner neuen Kulturschöpfung inszeniert Molière archetypisch sowohl mit der Figur des Satyrn, der literaturgeschichtlich als Kulturbringer und Erfinder der Musik gilt, als auch mit der Figur der Najade, die nicht nur als Fruchtbarkeitsgöttin, sondern vor allem aufgrund ihrer prophetischen Kräfte geschätzt wird. Molière sollte diese prophetische Gabe im Sinne seiner artistischen Ausrichtung ebenfalls vergönnt sein. Er wird mit der prunkvollen Inszenierung seiner Ballettkomödie dem Zeitgeist des plaire wie auch dem königlichen Anspruch eines exklusiven Grand Divertissement gerecht, denn bis zu seinem Tode im Jahr 1673 sollte dieser spectacle nouveau zu den beliebtesten Kulturereignissen am französischen Hof werden und maßgeblich die absolutistische Kulturpolitik prägen.2

      Doch worin besteht die poetologische und gattungstypologische Neuheit dieser inszenierten Kunstform? Einen zunächst pragmatischen Hinweis scheint der Avertissement zu Les Fâcheux zu geben, in welchem Molière erläutert, wie aus einer Not heraus, die Idee einer Kombination von Komödie und Ballett entstand:

      Le dessein était de donner un Ballet aussi; et comme il n’y avait qu’un petit nombre choisi de Danseurs excellents, on fut contraint de séparer les Entrées de ce Ballet, et l’avis fut de les jeter dans les Entractes de la Comédie, afin que ces intervalles donnassent temps aux mêmes Baladins de revenir sous d’autres habits. (LF, 150)

      Das schlichte Dazwischenreihen des Balletts stellt den Künstler nicht zufrieden; er erkennt schon frühzeitig, dass die Zusammenfügung verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen nur gelingen kann, wenn der Verlauf der Komödie nicht gestört wird und Ballett und Komödie miteinander verschmelzen: „De sorte que pour ne point rompre aussi le fil de la Pièce, par ces manières d’intermèdes, on s’avisa de les coudre au sujet du mieux que l’on put, et de ne faire qu’une seule chose du Ballet, et de la Comédie.“ (LF, 150)

      Die Herausforderung dieses Arrangements besteht darin, sowohl die Dramen- als auch die Sujetstruktur so anzulegen, dass die zwischen den Akten sich ereignenden Intermezzi oder ornements – wie sie Molière zunächst nennt –3 möglichst eng mit der Komödie verbunden werden können, womit ihnen selbst ein Aktionsmoment zugesprochen wird. Obschon die Intermedien für die dramatischen Vorgänge nicht immer zwingend von Belang sind, sind sie dramaturgisch dadurch zu rechtfertigen, dass sie die Komödienhandlung wirkungsvoll vertiefen und akzentuieren.

      Eine weitere ästhetische Anforderung resultiert aus dem inhärenten Anspruch, die drei Künste sowie deren Sprachen im Sinne eines Gesamtkunstwerks zu harmonisieren. Es handelt sich hierbei nicht nur um die Synchronisierung der Dialogsprache der gespielten Komödie mit der Sprache des Tanzes, sondern auch um die Integration musikalischer Ausdrucksweisen, die häufig Teile der Komödie samt Intermezzi instrumentell unterlegen. Die hohe Einbettung künstlerischer Darstellungen in Form von Gedichtrezitativen, von Gesang- und Tanzepisoden sowie lazzi in die Mikrodramenstruktur4 der Komödie hebt die Ballettkomödie zusätzlich von herkömmlichen Komödien ab. Dieser Sachverhalt lässt erkennen, dass die Mikrostruktur die Makrostruktur des Genres widerspiegelt. Es ist von einer mise-en-abyme-Struktur der Ballettkomödie zu sprechen: Die comédie-ballet definiert sich durch sich selbst.

      Die Heterogenität dieser Kunstwerke zeigt sich ebenso in der Problematik ihrer Bezeichnung, in ihrer Klassifikation, die schon zu Molières Zeiten Schwierigkeiten bereitete. So sind zunächst folgende Werkbetitelungen gewählt worden: comédie, comédie mêlée de danses et de musique, comédie mêlée avec une espèce de comédie en musique et ballet, comédie mêlée de musique et d’entrées de ballet, comédie galante mêlée de musique et d’entrées de ballet, ballet et comédie. Unter dem Terminus comédie-ballet lässt Molière nur das Lustspiel Le Bourgeois gentilhomme erscheinen, das in den Literaturkritiken als die Vollendung dieses Komödientypus Beifall findet und dessen Namenskompositum die Einheit der beiden Kunstformen zu erkennen gibt. Der Begriff sollte jedoch erst im frühen 18. Jahrhundert in der von Marc-Antoine Jolly zusammengestellten Werkedition adaptiert und definitiv für diesen Komödientypus festgelegt werden.5 Es dauert ein weiteres Jahrhundert bis der Begriff in den Dictionnaire de l’Académie française Eingang findet. Die Ballettkomödie wird 1832–1835 in