Bilder - Schilder - Sprache. Ilona Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ilona Schulze
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301479
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bestehen.

      Im Gegensatz dazu reicht schon eine abweichende Gestaltung des Erdgeschosses mit besonderen Fensterformen (Schaufenster), die sich durch eine größere Glasfläche und eine entsprechend abweichende Integration in die Fassade auszeichnen, um eine andere Erwartungshaltung zu wecken, da diese Fensterstrukturen auf eine ökonomische Nutzung bzw. Teilnutzung des Gebäudes schließen lassen. Die Art der Wegegestaltung kann zusätzlich Hinweise auf die Nutzung eines Raums geben. Eine fehlende Trennung zwischen Gehwegen und Straßen evtl. einschließlich entsprechender Bepflanzung kann z.B. ein Hinweis auf eine Fußgängerzone sein, was wiederum auf eine ökonomische Struktur verweist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Präsenz von Geschäften, Gastronomiebetrieben und möglicherweise Vertretern der Unterhaltungsbranche (Kino, Theater) geprägt ist.

      Bild 4:

      Fußgängerzone München.

      Verbunden mit der Wahrnehmung des umgebenden Raums ist demnach eine Hypothese über dessen Nutzung und demzufolge über das Angebot von Informationssystemen (Signs), die den vorgefundenen Raum in seiner konkreten Nutzung erläutern. Zusammen mit den architektonischen Gegebenheiten bilden die Signs so die Struktur eines Raums und machen diesen zu einem eigenständigen ‚Exemplar‘ einer allgemeineren, übergeordneten Struktur, sind also eine konkrete Ausprägung eines ‚Genres‘ (vgl. Bawarshi und Reiff (2010: 78): „[G]enres dynamically embody a community‘s ways of knowing, being, and acting”).

      Die genannten Informationssysteme repräsentieren zwei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen konventionalisierte Formen von Sprache im Verbund mit weiteren semiotischen Systemen im öffentlichen Raum. Dies betrifft zunächst nur am Rande die in der LL-Forschung übliche Unterscheidung zwischen public und private signs, bzw. top-down und bottom up, die eine Unterscheidung im wesentlichen nach dem Sign-Produzenten vornimmt und grob gesagt institutionelle Produzenten (Regierungen, öffentliche Verwaltungen aller Ebenen und deren Einrichtungen etc.) und private Produzenten im Sinne von natürlichen Personen sowie Unternehmen als juristische Personen zivilen Rechts trennt.

      In Bezug auf die Strukturierung des öffentlichen Raums spielt diese Trennung insofern eine Rolle, als dass die Signs der jeweiligen Produzenten eine unterschiedliche spezifische Funktion im öffentlichen Raum innehaben und somit auch auf die Rollen der hinter den Signs stehenden Produzenten für die Genese und Konstruktion des Raums verweisen. Gerade im Hinblick auf die Public Signs fällt auf, dass ihre Visibilität häufig im infrastrukturellen Bereich liegt und sich auf die Weiterleitung bzw. den Transport von Personen (Busse, U- und S-Bahnen, Straßenschilder etc.) im öffentlichen Raum sowie dessen weiterer Ausgestaltung (pflanzen und pflegen von Bäumen, Blumen, Aufstellen von Bänken etc.) bezieht. Im Gegensatz hierzu verweisen Private Signs in überdurchschnittlichem Maße auf ökonomisches Geschehen und zielen auf eine direkte Ansprache und Bindung des Passanten.

      Bei einer allgemeineren Betrachtung können beiden Signtypen jeweils unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden. Public Signs sind im Wesentlichen strukturierend und informierend, womit sich ihre Bedeutung auf die denotative Ebene beschränkt. Private Signs teilen diese Eigenschaften, haben aber zusätzlich eine stark konnotative Ebene, die diese Signs emotional auflädt5. Diese konnotative, emotive Ebene in Privat Signs liegt in der erweiterten Funktionalität dieses Signtyps begründet.

      Er umfasst häufig Firmennamen (Labels) und Werbeslogans, die verkaufsfördernd und kundenbindend wirken sollen (Friedrich & Schweppenhäuser 2010). Signs mit Firmennamen sollen vor allem das sorgsam aufgebaute Firmenimage transportieren und haben damit über bzw. an einem konkreten Objekt sowohl eine deiktische und damit informative als auch konnotative und emotive Funktion, da sie letztendlich die kondensierte Version des Narrativs sind, das das Unternehmen in Form seines Images aufgebaut hat.

      Werbeslogans zu bestimmten Anlässen oder passend zu einer bestimmten Saison wirken stärker noch als das Firmenimage emotional, da sie auf den Wunsch der Zielgruppe nach Realisierung bestimmter Lifestyle-Vorgaben abzielen, wie z.B. Mode, Make-up, Accessoires, Mobilität. Unterstützung erhalten die klassischen semiotischen Verfahren durch die Kombination mit ausgestellten und sorgsam arrangierten Produkten, die als ‚verlängerter Arm‘ des jeweiligen Labels mit dem Versprechen aufgeladen sind, das jeweilige Lebensgefühl bzw. die Emotionen, die dem Label entgegengebracht werden, auf sich selbst zu übertragen (Bateman 2008, 2014).

      Aus dieser Konstellation ergibt sich die eingangs bereits erwähnte verlagerte und damit indirekte Kommunikation zwischen den Akteuren im öffentlichen Raum. Ein weiteres prägendes Merkmal dieser Kommunikation ist ihre Ortsgebundenheit durch ihre Präsenz auf Signs, die i.d.R. längerfristig vorhanden sind und am Anbringungsort verbleiben.6 Insofern tragen auch die Signs zur Konstruktion des öffentlichen Raumes bei, weil sie konstitutiv sind für die funktionale Bewertung dieses Raumes, Handlungsoptionen und –vorgaben machen und die Interaktion zwischen den einzelnen Akteuren ermöglichen, dabei aber aufgrund ihrer eigenen Immobilität die Präsenz des Rezipienten zwingend voraussetzen7.

      Domke (2014: 66) bettet diese Konstruktionsleistung der Signs in die „Herstellung des Raums durch soziale, interaktive, sprachliche Praktiken“ ein, während Papen (2012) die doppelte, oben angesprochene Konzeption von Raum als Bedingung und Ergebnis sozialer Prozesse betont. Diese Bewertungen umfassen damit eine bisher nur implizit angesprochene Eigenschaft des Raums: seine Diskursivität (vgl. auch Jaworski & Thurlow 2010: 12).

      Der öffentliche Raum ist geprägt von und wird geformt durch unterschiedliche, parallel stattfindende Diskurse. Diese sind monodirektional in dem Sinne, dass sich nur die Signproduzenten an die Nutzer des Raumes wenden, welche ihrerseits nicht direkt in den Diskurs eintreten können. Zu fragen bleibt, in welchem Umfang die durch die Diskurse bzw. Diskursteile initiierten Handlungsformen als Replik interpretierbar sind.

      Die weiter oben vorgenommene Unterscheidung der Funktionen von Public Signs und Private Signs spiegelt sich auch in der Diskursivität wieder. Der oben als großteilig strukturierend und informierend beschriebene Charakter der Public Signs ist häufig imperativ, da sie in der Regel über Ge- bzw. Verbote informieren und auch über diese strukturierend wirken. Ge- und Verbote in Public Signs gestalten die Makrostruktur des öffentlich Raumes aus, da sie vorgeben, welcher Akteur sich wo und ggf. wann aufhalten darf, wie er sich wo fortbewegen darf und kann etc. Dabei ergibt sich ein Übergangsbereich zu den Privat Signs. Diese sind bis auf wenige Ausnahmen ökonomischer Struktur, aber Hinweisschilder zu Öffnungszeiten beispielsweise spiegeln den Einfluss des rechtlichen Rahmens8.

      Darüber hinaus sind Private Signs in ihrer Struktur komplexer, da sie nicht nur einfache Informationen darüber bieten, wer wo wann was anbietet, sondern diese Informationen in mehrfach geschichteten Narrativen präsentieren. Private Signs vermitteln im Idealfall das Image bzw. Selbstbild des Unternehmens sowohl über das reine Firmenschild als auch über die präsentierten Objekte, welche über Stil, Materialien etc. das Image des Unternehmens präsentieren. Diese nicht-sprachlichen Elemente sind im Sinne einer Semiotic Landscape ebenfalls als Signs zu bewerten, da sie ebenso wie verschriftete Sprache einerseits zur Konstruktion des öffentlichen Raumes beitragen und andererseits in einer engen Beziehung zu den sprachlichen Elementen stehen und zusammen mit diesen erst ein gesamtes, in sich stimmiges Bild ergeben (ausführlich hierzu: Kapitel 2.3 und Analysekapitel).

      Aus diesem Gesamtbild leitet der Wahrnehmende im Falle eines unbekannten Signproduzenten (hier gemeint als unbekanntes Unternehmen o.ä.) eine Hypothese über den Produzenten ab bzw. findet im Falle eines ihm bekannten Produzenten eine Bestätigung seiner Erwartungen. Während der Hypothesenbildung spielt wiederum die Sehschulung eine große Rolle, da bestimmte Kombinationen aus Farben, Fonts, Produkten für bestimmte Branchen, Warengruppen, Zielgruppen etc. stehen. Darüberhinaus kommt den sprachlichen Elementen eine bedeutende Funktion zu, die über die konkrete Einzelsprache hinausgeht und die sich sowohl auf den Inhalt als auch das verwendete Register bezieht und die die nicht-sprachlichen Elemente ergänzt.

      Bedingt durch ihre Narrativität haben Private Signs eine größere Reichweite als Public