Die eigentliche und umfassende Analyse der gesammelten Daten erfolgt in Kapitel 5, welches mit einer ausführlichen Beschreibung der allgemeinen Daten des Untersuchungsraumes einsetzt. Es beginnt mit einer Analyse der Sign-Produzenten im Hinblick auf Gruppierung (Akteure) und Quantitäten sowohl für den Gesamtuntersuchungsraum als auch für beide Teiluntersuchungsräume (Fußgängerzone, OEZ). Im Anschluss daran und inhaltlich den Kapiteln 2 und 3 folgend wird zunächst eine Analyse der dokumentierten Signs im Sinne der Linguistic Landscape-Forschung vorgenommen. In einem ersten Schritt werden das Gesamtkorpus sowie die Anzahl der dokumentierten Signs in Beziehung zu den Akteuren gesetzt (jeweiliger Anteil der Akteure an den Signs und dem Korpus), um diese Ergebnisse um die Dimension Sprachen zu erweitern. Es erfolgt zunächst die Identifikation der verwendeten Sprachen sowie die Feststellung ihres Anteils am Gesamtkorpus und am fremdsprachlichen Korpus.
Diese Daten werden dann mit den Akteuren als Sign-Produzenten sowie den Untersuchungsräumen in Beziehung gesetzt, um eine umfassende Beschreibung der Präsenz sprachlicher Daten im Untersuchungsraum leisten zu können. Diese sprachlichen Daten wiederum werden angeschlossen an eine Untersuchung von Schildformen, verwendeten Farben (Schrift und Schild) sowie weiteren grafischen Elementen, die die Gesamtaussage und das Erscheinungsbild eines Signs beeinflussen bzw. zu ihr bzw. ihm beitragen können. Diese Gesamtergebnisse werden als Abschluss dieses Analyseteils systematisch für die einzelnen Akteure dargestellt und die typischen vorgefundenen Sign-Strukturen beschrieben.
Als weiterer Analyseschritt erfolgt die Integration der vielfältigen bildlichen Elemente, wie sie in Form von Schaufenstern und Architektur im öffentlichen Raum gegeben sind. Dabei steht die Analyse der sich aus den Strukturen des öffentlichen Raumes ergebenden multimodalen Aggregate im Zentrum des Interesses. Die Funktion von Signs als strukturierendes und in dieser Form mit der Architektur bzw. bestimmten architektonischen Merkmalen interagierendes Element wird dabei ebenso untersucht wie das Zusammenspiel von Sprache und Bild im Bereich von Schaufenstern. Hier wird der Fokus auf die an Beispielen erläuterte Rekonstruktion von Aneignungswegen solcher komplexer Aggregate, sowie die Beschreibung der formalen Beziehungen zwischen bildlichen und sprachlichen Elementen gelegt. Die Systematisierung der Einzelergebnisse dieses zweiten Analyseabschnittes und die Beschreibung der sich aus diesen ergebenden, Akteur-spezifischen Interaktions- und Präsentationsstrukturen bilden den Abschluss der Analyse. Alle Analyseschritte greifen konsequent auf die in Kapitel 2 und 3 getroffen Aussagen und Beschreibungen von Entstehungskontexten zurück und binden die Analyseergebnisse an diese an, so dass sich, ausgehend von den konkreten Daten der Studie, allgemeinere Aussagen ableiten lassen.
Das abschießende Kapitel 6 fasst die Einzelergebnisse der Analyseschritte zusammen und stellt sie in den Kontext sowohl der Linguistic Landscape-Forschung als auch der Bildlinguistik und deren Perspektiven. Darüberhinaus werden die Funktionen von Sprache, Bild und Schild als eigenständige Größen für die Konstruktion des öffentlichen Raumes beschrieben. Dabei gilt jedes Element als eigenständiges, mehrschichtiges Indexal, das für jede Schicht über eine eigene, funktionsabhängige Reichweite verfügt.
2 Linguistic Landscapes
2.1 Eine Standortbestimmung
Mit ihrem Aufsatz „Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality. An Empirical Study“ legten Landry & Bourhis (1997) den Grundstein für die wissenschaftliche Betrachtung von Linguistic Landscapes, die sich in den folgenden Jahren als Teilbereich der Soziolinguistik etablieren konnte. Landry & Bourhis definierten Linguistic Landscapes als „[t]he language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings“ (1997: 25) und nahmen damit einen Perspektivenwechsel vor, weg von der Erforschung gesprochener oder – allgemeiner gesagt – ‚praktizierter‘ Sprache hin zur Frage nach der Aussagekraft von schriftlich fixierten sprachlichen Äußerungen (signs) im öffentlichen Raum.
Eine der Grundannahmen der Linguistic Landscape-Forschung, die schon bei Landry & Bourhis (1997) angelegt ist, besteht darin, dass die Wahrnehmung von geschriebener Sprache im öffentlichen Raum Aussagen über den Status und den Verwendungsskopus einer gegebenen Sprache in einer Gesellschaft ermöglicht. Basis zahlreicher Linguistic Landscape Studien ist also die Annahme einer grundsätzlich asymmetrischen Beziehung von Sprechern unterschiedlicher Sprachen in einer Gesellschaft, die sich in der Verwendung ebendieser Sprachen im öffentlichen Raum widerspiegelt. Cenoz & Gorter (2006) und Puzey (2012) gehen dabei allerdings von einer positiv verstärkenden Wirkung der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum aus, da eine vermehrte Wahrnehmung dieser Sprachen ihren Status erhöhen kann, was in der Folge zu einem Prestigezuwachs führt, der wiederum in einer erhöhten Verwendung der Sprache resultieren kann.
Auf dieser Basis widmet sich der Großteil der Linguistic Landscape-Studien Manifestationen von Mehrsprachigkeit und fokussiert dabei stark auf bestimmte Themenbereiche, bei denen sich nicht nur ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Sprachen dokumentieren, sondern gleichzeitig der ökonomische oder politische ‚Wert‘ bestimmter Sprache beobachten lässt. Dies gilt in Bezug auf Linguistic Landscapes besonders für Bereiche wie den Tourismus (Moriarty (2012, 2014) zum Irischen, Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau (2015) zum Katalanischen auf Mallorca, Reershemius (2011) zur Funktion des Plattdeutschen im Tourismus, Leeman & Modan (2009, 2010) zum Chinesischen in der Chinatown von Washington D.C.) und für Auswirkungen von sprachpolitischer Maßnahmen bzw. eines Sprachmanagements1 einschließlich Revitalisierungsbemühungen (Blackwood (2010, 2013) zu französischen Regionalsprachen, Tufi (2013) zum Verhältnis von Italienisch und Slowenisch in der LL von Triest, zu ausgewählten Minderheitensprachen in den Niederlanden Edelmann (2014), grundlegend Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada).
Als Problem dieser Studien erweist sich bei genauerer Betrachtung aber ein bisher nicht geklärtes methodisches Problem der Linguistic Landscape-Forschung. Zunächst wird nicht ausreichend unterschieden zwischen den unterschiedlichen Gruppen von „Minderheiten“ (autochthone vs. allochthone Minderheiten). Diese zunächst scheinbar nicht vertretbare Unterscheidung von Minderheitengruppen gewinnt an Bedeutung, wenn die hohe Mobilität moderner Gesellschaften und die damit einhergehende Migration berücksichtigt wird, die bei klassischen Migrantengruppen dazu führt, dass die Zahl unterschiedlicher Herkunftsgruppen in zahlreichen Staaten immer größer wird und einzelne (allochthone) Herkunftsgruppen in ihrer Binnenstruktur alles andere als homogen sind, da ihre Mitglieder unterschiedlich lange im Zielland leben, über unterschiedliche Sprachkenntnisse und Bildung verfügen, unterschiedlich stark integriert sind etc.
Vertovec (2007) zeigt in seinem Aufsatz zur „super-diversity“ am Beispiel Londons, dass die traditionelle Konzeption von Migrantengruppen als homogenen Großgruppen in modernen Gesellschaften überholt ist: „Meanwhile multiculturalism continues to be conceived of mainly in terms of the African-Caribbean and South Asian communities of British citizens.“ (S. 1027).
Regionale (autochthone) „Minderheiten“ mit historischer Präsenz in ihrem Siedlungsgebiet können zwar sprachlich und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden werden, weisen aber eben gerade aufgrund ihrer langen lokalen Geschichte andere Muster auf als klassische Migrantengruppen. Insofern muss eine Linguistic Landscape-Studie diese Unterscheidung dringend vornehmen, wenn wie z.B. bei Edelmann (2014) die Präsenz des Friesischen als Sprache einer autochthonen Minderheit mit Sprachen von Gruppen verglichen wird, die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in den Niederlanden präsent sind und klassischen Migrantengruppen entsprechen. Darüberhinaus zeigt Blommaert (2013), dass eine weitgehende Unsichtbarkeit von Sprachen oder schlichte Formen von Signs nicht notwendigerweise auf eine Marginalisierung, sondern auch auf eine sich erst etablierende, kleine Gruppe mit geringer finanzieller Ausstattung hinweisen kann.
Auch die Frage der Ausprägung von Schriftlichkeit (Spolsky 2009b: 29-30) oder der Wunsch nach öffentlicher Präsenz einer Gruppe spielen eine große Rolle in der Bewertung der Frequenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum. So gilt z.B. für das von Edelmann (2014) untersuchte Friesische, dass es