Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht
Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht kann in drei verschiedenen Szenarien stattfinden: Sie kann (1) innerhalb einer Lerngruppe erfolgen, dann findet die Kommunikation meistens in Online-Phasen statt. Zudem wird die Interaktion (2) zwischen zwei oder mehr Lerngruppen ermöglicht sowie (3) die sogenannte „class-to-world interaction“1 (Dooly/O’Dowd 2012, 16). Dieses Unterkapitel wird zeigen, dass die zweite Möglichkeit, die sogenannte Telekollaboration, zu den CMC-Szenarien gehört, zu denen derzeit die meiste Forschung stattfindet und die auch aus landeskundlicher Perspektive interessant ist. Forschung zu landeskundlichem Lernen in Diskussionen, die innerhalb einer Lerngruppe stattfinden, ist bislang ein Desiderat, obwohl dieses Szenario populär ist:
Today, in-class online interaction is of course still quite common in FL education. However, this type of activity now generally tends to focus on asynchronous tools such as discussion forums and blogging etc. which are used for reflective discussion in distance education courses or by teachers wishing to promote greater interaction among students of their normal classroom contact hours. (ebd., 17)
Allgemeindidaktische Gründe, die im Folgenden näher beschrieben werden und die dafür sorgen, dass asynchrone Online-Diskussionen auch in anderen Bildungskontexten eingesetzt werden, liegen demnach meistens dem Einsatz des ersten Szenarios zugrunde. Im Folgenden wird zunächst das allgemeindidaktische Potenzials beschrieben, sodann die Gründe für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht dargestellt.
Allgemeindidaktisches Potenzial
Das allgemeindidaktische Potenzial asynchroner Online-Diskussionen wird in der Regel auf der Folie von Face-to-Face-Diskussionen formuliert. Graham (2006, 18) beispielsweise vergleicht unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen, welche Stärken und Schwächen Face-to-Face- und asynchrone Online-Diskussionen allgemein haben, die sich in der Verbindung beider Komponenten, d.h. in Blended Learning, ausgleichen können. Face-to-Face-Diskussionen haben die Stärke der sozialen Komponente: „It is easier to bond and develop a social presence in a face-to-face environment. This makes it easier to develop trust“ (ebd., 8). Zudem könne man in Face-to-Face-Diskussionen spontan Ideen und Assoziationen entwickeln. Diese Vorteile spiegeln wiederum die Schwächen von asynchronen Online-Diskussionen, die aufgrund der Kanalreduktion als unpersönlich empfunden werden können und so zu weniger befriedigenden Diskussionen führen (vgl. ebd., 18).
Nachteilig an Face-to-Face-Diskussionen sei jedoch, zumindest wenn die Gruppe eine bestimmte Anzahl an Teilnehmer/-innen übersteigt, dass sich nicht alle beteiligen können, vor allem nicht, wenn einige Personen die Diskussion dominieren. Dementsprechend gilt natürlich auch für Online-Diskussionen, dass die Überschreitung einer bestimmten Anzahl an Teilnehmer/-innen zu unüberschaubaren und damit nicht ergiebigen Diskussionen führt,1 doch ist davon auszugehen, dass insgesamt mehr Personen an Online-Diskussionen teilnehmen können, vor allem, wenn gleichzeitig mehrere Threads eingerichtet werden.
Ein weiterer Nachteil sei, dass Face-to-Face-Diskussionen in Unterrichtszusammenhängen zeitlich begrenzt sind, so dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen könne (vgl. ebd., 18, O’Dowd 2007, 31). Hier muss angemerkt werden, dass durch die Einbindung von asynchronen Online-Diskussionen in Blended-Learning-Szenarien, in denen beide Komponenten miteinander verzahnt sind, durchaus auch eine zeitliche Begrenzung vorliegt, die dafür sorgen kann, dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen kann. So sei außerdem auf die Ergebnisse von Benbunan-Fich und Hiltz (1999) hingewiesen, die feststellten, dass asynchrone Online-Diskussionen zum Prokrastinieren verführen, dass also die Teilnahme an der Diskussion immer wieder in die Zukunft verschoben wird, was die gewünschte inhaltliche Tiefe negativ beeinträchtigt.
Die Asynchronität führt hingegen dazu, dass alle Lernenden an den Diskussionen teilnehmen können und jeder (der die Technik beherrscht)2 die Möglichkeit besitzt, zu Wort zu kommen, ohne z.B. unterbrochen zu werden: „[T]he social dynamics of CMC have proven to be different from those of face-to-face discussion in regard to turn-taking, interruption, balance, equality, consensus, and decision making“ (Warschauer 1997, 473).
Am wichtigsten ist jedoch, dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben als in Face-to-Face-Diskussionen: „Learners have time to more carefully consider and provide evidence for their claims and provide deeper, more thoughtful reflections“ (Graham 2006, 18).
Die Popularität von asynchronen Online-Diskussionen ist auf dieses Merkmal zurückzuführen, da die Möglichkeit zur Reflexion eine wichtige Rolle für die gemeinsame Wissenskonstruktion spielt. Dass die Lernenden genauer bedenken können – eventuell unter der Zuhilfenahme von weiteren Quellen –, was sie schreiben, dürfte sich positiv auf das Wissen der Beitragenden auswirken, ebenso wie qualitativ hochwertigere Beiträge vorteilhaft sind für den Lernzuwachs der anderen Teilnehmer/-innen. Indem in der Online-Diskussion mehrere Perspektiven und Ideen einander gegenübergestellt werden, kann in der Interaktion multiperspektivisches Wissen konstruiert werden, die Lernenden können neue Perspektiven kennenlernen und ihre Ideen und Perspektiven zur Diskussion stellen und damit testen: „Social interaction and collaboration shapes and tests meaning, thus enriching understanding and knowledge sharing“ (Garrison/Vaughan 2008, 14).
Wichtig ist aber festzuhalten, dass die Möglichkeit zur tieferen Reflexion zunächst nur theoretisch besteht und dass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass dies auch tatsächlich zu inhaltlich hochwertigen Beiträgen der Teilnehmenden führt. Gleichwohl wird jedoch auch die Annahme vertreten, dass die Tatsache, dass die Beiträge über einen längeren Zeitraum schriftlich fixiert und damit auch zu späteren Zeitpunkten noch zugänglich sind, zu einer höheren extrinsischen Motivation der Lernenden führt, gut reflektierte Beiträge zu verfassen.
Forschung zu asynchroner computervermittelter Kommunikation ist vielfältig und nimmt verschiedene Aspekte in den Fokus (vgl. die überblicksartige Darstellung von Johnson 2006), z.B. wird mit Hilfe von Vergleichsgruppen die Lerneffektivität untersucht: Wang (2004) überprüfte das Verhältnis zwischen der Anzahl geposteter Beiträge und den Abschlussnoten von Studierenden und kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die besonders intensiv teilnahmen, auch die besten Noten erhielten.3 Andere Studien, etwa Walker und Arnold (2004), verwenden die positive Evaluation der Lernform durch die Studierenden als einen Indikator für den Lernerfolg, während Johnson (2005) in seiner Untersuchung keine Korrelation zwischen diesen Faktoren feststellen konnte.
Die Forschung widmet sich zudem der Frage, ob in den Diskussionen gemeinsam Wissen konstruiert wird, wobei dies meistens in qualitativen, inhaltsanalytischen Studien untersucht wird (z.B. Moore/Marra 2005, Gunawardena/Lowe/Anderson 1997, Dysthe 2002, Henri 1995). Verschiedene Modelle liegen vor, anhand derer die Ko-Konstruktion von Wissen analysiert wird: Henris Analytical Model of Interactive Behaviour (1995) ist das erste Modell, mit dessen Hilfe Wissenskonstruktion in Online-Diskussionen untersucht werden kann; Ausgangspunkt ist die Idee, dass Lerner durch Interaktion Wissen aufbauen (vgl. auch Kapitel 2.1.2). Auch Dysthe (2002) verwendet Henris Modell und untermauert die Theorie mit Rückgriff auf Bachtins Dialogizitätsbegriff (vgl. Bachtin 1979, 169–180). Sie führt aus, dass sogenannte genuine Interaktion, d.h. wenn die Person, die die Diskussion initiiert, sich auch später nochmals zu Wort meldet, ein besonders hohes Lernpotenzial habe, da dies zeige, dass sich die Lernenden für die Beiträge der anderen interessierten. Das Lernpotenzial wird hier mit Interaktion gleichgesetzt, was, wie ich in Becker (2016b) gezeigt habe, zumindest im Kontext des Fremdsprachenunterrichts nicht unproblematisch ist. Das am häufigsten verwendete Modell ist das Interaction Analysis Model (IAM) von Gunawardena, Lowe und Anderson (1997, 414): Interaktion ist darin eine Voraussetzung für Wissenskonstruktion;