Der Band versammelt Beiträge von Theatermacher_innen und von Forscher_innen verschiedener Disziplinen aus Europa, Afrika, Nordamerika und Asien. Er setzt sich aus ausgewählten und zu längeren Beiträgen ausgearbeiteten Vorträgen sowie einer Podiumsdiskussion der gleichnamigen internationalen Konferenz zusammen, die zwischen 14. und 16.4.2016 in Innsbruck stattgefunden hat. Die Konferenz wurde von Koku G. Nonoa im Rahmen des Forschungsfelds „Dynamik der Ordung(en)“ vom Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ der Universität Innsbruck initiiert und gemeinsam mit Michaela Senn und Johanna Zorn organisiert. Der Band präsentiert aber auch darüber hinausgehende Beiträge, die Themenfelder und Fragestellungen abdecken, die im Rahmen der Konferenz nicht oder nur am Rande thematisiert werden konnten. Anliegen ist es, die transdisziplinäre Forschung als einen integrativen Forschungsansatz für den Sammelband fruchtbar zu machen, um so den gegenseitigen akademischen und praktischen Transfer von Wissen über Theaterforschung und -praxis hervorzuheben und die Kluft zwischen Wissen und Praxis in Bezug auf Theater zu überwinden.
Die Beiträge orientieren sich an den von Hans-Thies Lehmann und Günther Heeg entwickelten Begrifflichkeiten. Sie diskutieren beide Konzepte kritisch, erweitern diese durch alternative Ansätze und verweisen damit auf die Produktivität, die beide Begrifflichkeiten in Kombination mit Theorien und Methoden anderer Disziplinen entwickeln können. Der Band präsentiert ein umfangreiches Spektrum an Theorien und Methoden, wobei die Theorie- und Methodendiskussion stets anhand konkreter Analysen veranschaulicht und erprobt wird. Obwohl der Fokus des Bandes auf Arbeiten liegt, die in Europa (v.a. in Deutschland) produziert oder gezeigt wurden, erweitert der Band dieses Spektrum um Arbeiten, die in anderen kulturellen Kontexten erarbeitet und vorgeführt wurden, und lädt damit hoffentlich auch zu einer Neuperspektivierung der europäischen und außereuropäischen Theaterlandschaft ein.
Der Band gliedert sich in vier Bereiche: „Konzepte, Paradigmen, Theorien“, „Performative Praktiken und Postkoloniale Lektüren“, „Entgrenzung und Überschreitung“, „Kollektivität und (Post-)Migration“.
Der erste Abschnitt „Konzepte, Paradigmen, Theorien“ präsentiert sowohl theoretische Reflexionen der Konzepte „Postdramatisches Theater“ und „Transkulturelles Theater“, stellt aber auch darüber hinausgehende theoretische Konzepte und Methoden vor, um das transkulturelle Potential zeitgenössischer Theaterformen zu beschreiben. Dieser Teil wird mit einer international besetzten Podiumsdiskussion beschlossen, die das historische Konzept des „Welttheaters“ im Kontext des postdramatischen und transkulturellen Theaters diskutiert. Die Aufsätze des zweiten Themenbereichs stellen anhand einer theoretisch reflektierten Projektbeschreibung sowie mit Hilfe konkreter Inszenierungsanalysen Spielformen vor, die das Fremde im Eigenen durch die Reflexion performativer Praktiken und durch postkoloniale Lektüren sichtbar machen. In den Blick genommen werden Arbeiten, die im europäischen und außereuropäischen Raum realisiert wurden. Der dritte Teil beschäftigt sich mit höchst unterschiedlichen Strategien der Entgrenzung und Überschreitung des Theaters. Der Fokus liegt auf Arbeiten Christoph Schlingensiefs, dessen bereits in den frühen 1990er Jahren beginnende Arbeit an der Überschreitung und Entgrenzung des Theaters nach wie vor singulär im deutschsprachigen Raum ist. Darüber hinaus werden textuelle Strategien in den Blick genommen, die über nationale Grenzziehungen hinausgehen. Der vierte und letzte Bereich hinterfragt Inszenierungsformen von „Kollektivität und (Post-)Migration“ im Verhältnis zum postdramatischen Theater. Ein Schwerpunkt liegt auch in diesem Bereich auf der Analyse konkreter Theaterarbeiten, darüber hinaus wird mit dem „Theater der Vorahmung“ ein Konzept reflektiert, das in unserer von Diskussionen um Migration, Identität und Zugehörigkeit geprägten Gegenwart ein anderes Modell des Welt-Werdens im Raum des Theaters vorstellt.
Wir bedanken uns bei allen, die diese Buchpublikation unterstützt und damit erst möglich gemacht haben. Allen voran bei Erin Johnston-Weiss und Eva Triebl, die bei der Transkription der Podiumsdiskussion und beim Lektorat der englischsprachigen Beiträge mitgearbeitet haben. Darüber hinaus beim Land Tirol, der Universität Innsbruck vertreten durch das Vizerektorat für Forschung, die Philologisch-Kulturwissenschaftliche Faktultät und den Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ für die finanzielle Unterstützung des Projekts. Nicht zuletzt gilt ein großes Dankeschön dem Herausgeber dieser Reihe, Christopher Balme, und Kathrin Heyng, unserer Lektorin beim Narr Francke Attempto Verlag, die uns während des Entstehungsprozesses des Buches mit hilfreichen Tipps und Anregungen zur Seite gestanden sind.
Ann Arbor, Innsbruck, Juli 2018
Preface
Teresa Kovacs (University of Michigan) & Koku G. Nonoa (University of Innsbruck)
The present volume is based on the question of how suitable for the foundation of transcultural theatre studies the paradigm of postdramatic theatre is. Moreover, the volume is interested in how useful it can be for analytically describing theatrical works which consciously cross national, cultural and disciplinary boundaries and which test alternative models for creating a sense of community. This volume takes as its point of departure an observation by Hans-Thies Lehmann, who stated in his 1999 published study Postdramatisches Theater (Postdramatic Theatre) that postdramatic theatre forms and practices of production are not so much interested in representation, but in creating an experience of the real. This is reflected in the often provocative, body-centered presence of artists and the immediacy of the joint experience of actor and audience.11
Lehmann’s focus on theatrical and performative practices allows us to consider performance and implementation without placing too much emphasis on a particular text and thus, in turn, on a theatre of national languages, which must always be translated in order to be comprehensible in other cultural spaces.
Postdramatic theatre addresses theatrical and performative practices of heterogeneous cultural contexts without organizing them hierarchically. In this way, it negates not only simplistic and simplifying distinctions between one’s “own” and “foreign”, but also closed concepts of tradition and its adoption, creating more complex relations. Lehmann himself proposes a “more strongly transculturally oriented perspective.” He stresses that “the dramatic theatre of Europe” was a “special development”, which is why he considers “the relativisation of the specifically European model of theatre by transculturally oriented research as highly important.”12 Thus the present volume suggests thinking of postdramatic theatre as a transcultural theatre in the sense of Günther Heeg.13 The contributions to this volume take up this narrow conceptualization of the postdramatic and transcultural and develop methods and analytical procedures for contemporary forms of theatre and production.
The reflexion of the postdramatic from the transcultural perspective and vice versa makes it possible to more concretely grasp both concepts and reveals the large variety of analytical possibilities created by a dialogue between the two concepts. While it is hard to imagine contemporary theatre studies without the concept of postdramatic theatre, the concept of transcultural theatre has been significantly less frequently addressed in the existing literature. What both concepts share, however, is the imprecision of their respective definitions.
“Transcultural Theatre” is often used synonymously with related concepts such as inter- and multicultural theatre. The concept of postdramatic theatre, in turn, has taken on a paradoxical life of its own in the German-speaking world; it has not only become a synonym for director’s theatre and postmodernity due to their common tendencies towards categorization according to art traditions, but it is also discussed in simplified terms as “theatre against the text” or as a dramatic genre supporting neoliberalism.14
This is why it seems relevant to begin this volume, which seeks to promote the Postdramatic for the transcultural analysis of contemporary and international works, with yet another historical contextualisation: