Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Kocher
Издательство: Bookwire
Серия: Studies in English Language Teaching /Augsburger Studien zur Englischdidaktik
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301691
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deren Bildungsmotivation und Zukunftschancen zu erhöhen sowie letztendlich den von vielerlei Seiten geäußerten Anspruch des „lebenslangen Lernens“ einlösen zu können. Dies betrifft selbstverständlich auch die Fremdsprachen. Meine Hypothese lautet, dass der Storyline Approach eine Lösung anbieten könnte, um obige Ziele zu realisieren.

      In den folgenden Kapiteln werden zunächst einige Vorläufer und Ansätze bzw. Strömungen des konstruktivistischen Denkens erläutert, die als Basis für konstruktivistische Modelle in Theorie und Praxis – wie beispielsweise den Storyline Approach – gelten. Auch hier wird es sich lediglich um eine begrenzte Synopse handeln, da nicht alle Facetten und Details des Konstruktivismus näher beleuchtet werden können und vermutlich auch nicht (mehr) müssen. Anschließend werden darauf aufbauend die Implikationen konstruktivistischen Denkens für die Praxis und die damit verbundenen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre reflektiert. Wo es sich anbietet, wird direkt an Ort und Stelle kurz auf die Bedeutung einzelner Ansätze für das (Fremdsprachen-)Lernen nach dem Storyline-Modell verwiesen, bevor zum Schluss erörtert wird, inwiefern Storyline ein konstruktivistischer Ansatz ist. Zur konkreten Umsetzung in Schule und Hochschule sollen meine Untersuchungen in Teil B einen Beitrag leisten.

      3.2 Die Ursprünge des Konstruktivismus

      Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? (Watzlawick 2002, 10)

      Auch wenn heute häufig der Eindruck entsteht, dass der Konstruktivismus ein Paradigma darstellt, das auf neusten Erkenntnissen basiert, muss klargestellt werden, dass konstruktivistisches Denken – je nachdem, wie eng man den Maßstab setzt – bereits eine sehr lange Tradition hat. Hierbei handelt es sich auch nicht etwa um eine einzelne Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie, sondern um eine Denkströmung innerhalb eines äußerst interdisziplinären Forschungsfelds mit ganz unterschiedlichen Modellen, Ansätzen und Standpunkten. Die gemeinsame erkenntnistheoretische Grundannahme besteht jedoch darin, dass die Wirklichkeit des Menschen nicht als objektives Abbild der Realität, sondern als seine eigene, höchst individuelle und aktive Konstruktion aufgefasst wird. Somit distanziert sich der Konstruktivismus von den Positionen des Realismus und „vor allem von ontologischen und metaphysischen Wahrheitsansprüchen“ (Siebert 2005, 11).

      Um die mittlerweile äußerst zahlreichen und gleichzeitig sehr unterschiedlichen konstruktivistischen Ansätze verstehen und einordnen zu können, muss man die Wurzeln kennen, die den „Baum der Erkenntnis“ (Maturana/Varela 1987) mit seinen weitreichenden Ästen speisen. Auf die unzähligen „Zweige“ und „Blätter“ des besagten Baumes kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nur begrenzt eingegangen werden, zumal es mir wichtiger scheint, den „Baum“ als Ganzes zu betrachten, als dessen eine „Frucht“ (im Nachhinein gesehen) der Storyline Approach gesehen werden kann.1

      3.2.1 Geistesgeschichtliche Einordnung des Konstruktivismus

      Die Diskussion zwischen Vertretern des Realismus und Idealismus hat in der Philosophie eine lange Geschichte, wobei es schwierig zu sein scheint, die genauen Ursprünge des konstruktivistischen Gedankenguts aufzudecken.1 Ernst von Glasersfeld (1996) bezeichnet die griechischen Skeptiker (Schule des Pyrrhon von Elis, 360-270 v.Chr.) als die ersten Philosophen, die gegen das realistische Dogma, das unter anderem von Aristoteles (384-322 v.Chr.) vertreten wurde, rebellierten. Falko von Ameln (2004) dagegen verweist auf René Descartes (1596-1650), mit dem „die Reflexion auf die eigene Erkenntnisfähigkeit zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte“ auftrat (Ebd., 11). In einer zu Descartes allerdings gegenläufigen Tendenz führten die englischen Empiristen John Locke (1632-1704), George Berkeley (1685-1753) und David Hume (1711-1776) die so genannte cartesianische Reflexion auf das Subjekt fort (von Ameln 2004, 12). Insbesondere Locke betrachtete dabei den Geist eines Neugeborenen als tabula rasa, wohingegen Descartes davon ausging, dass die „von Gott dem Menschen eingegebenen ‘angeborenen Ideen’“ und bestimmte begriffliche Vorstellungen bei der Geburt bereits vorhanden seien (Müller 1996a, 32). Der anglikanische Bischof Berkeley vertrat mit seinen metaphysisch-konstruktivistischen Vorstellungen, dass Sein in nichts anderem besteht, „als Gegenstand des Wahrnehmens und damit Wahrgenommenes zu sein (esse est percipi)“ (von Ameln 2004, 10), eine extreme Position der Idealisten und leugnete – im Gegensatz zu Locke und Hume – explizit die dingliche Realität.

      Während Ernst von Glasersfeld (1996) und Klaus Müller (1996a) in Giambattista Vico (1668-1744) den ersten Konstruktivisten im engeren Sinne sehen, da dieser die Ansicht vertrat, dass die Welt nicht ontologisch „wahr“ sei, sondern dass durch Wahrnehmung, Handeln und Erfahrung „unser rationales Wissen von uns selbst konstruiert wird“ (von Glasersfeld 1996, 76) und der Mensch schließlich nur das sicher wissen kann, was er selbst geschaffen hat, betrachtet Falko von Ameln (2004) stattdessen Immanuel Kant (1724-1804) als denjenigen Philosophen, der zum ersten Mal explizit konstruktivistische Positionen detailliert formuliert hat. Kant versuchte, zwischen dem zu realistischen Positionen tendierenden Empirismus und dem idealistischen Rationalismus mit einer neuen Theorie der menschlichen Erkenntnistätigkeit zu vermitteln, die – auf den Punkt gebracht – besagt, dass das Individuum mit Hilfe von Verstand und Vernunft theoretisch und praktisch aktiv die Welt gestaltet (von Ameln 2004, 15).2 Müller (1996a) dagegen behauptet, dass Vico schon circa 70 Jahre vor Kant „eine sachlichere, nicht ins Metaphysische reichende Epistemologie“ angeboten hatte, „indem er den Handlungsbegriff einführte, der bei Kant nur eine marginale Rolle (...) spielt“ (Ebd., 31). Der konstruktivistische Begriff der Viabilität beruft sich angeblich ebenfalls auf Vicos Einsichten (Ebd.), und seine Erkenntnistheorie kommt der genetischen Epistemologie von Jean Piaget recht nahe (von Glasersfeld 1996). Kants Vorstellungen wurden später von Jean Piaget konkretisiert (von Ameln 2004; Buggle 2001).

      Edmund Husserl (1859-1938) schließlich richtete sich mit seiner Phänomenologie gegen den aufkommenden „Psychologismus“ in der Erkenntnistheorie. Seine philosophische Denkrichtung vertrat die konstruktivistische Position, dass „Realität nichts Selbständiges darstellt, sondern nur als Produkt des Bewusstseins auftritt, das seine Phänomene erschafft. (...) Die vermeintliche Sicherheit der Existenz der Außenwelt wird (...) – gleichsam in Wiederholung des cartesianischen Zweifels – als fraglich und unbewiesen betrachtet“ (von Ameln 2004, 16).

      Der amerikanische Philosoph William James (1842-1910), der zudem als Begründer der amerikanischen Psychologie gilt (Müller 1996a, 32), entwickelte – auch unter dem Einfluss der Evolutionstheorie von Charles Darwin – die Vorstellung, „dass die menschliche Erkenntnisweise im Verlauf der Zeit einer passiven Selektion auf der Grundlage ihrer Tragfähigkeit für praktisches Handeln unterlag“ (von Ameln 2004, 17). Damit kam die biologische Funktion der Erkenntnistätigkeit ins Spiel, die in Kants Vorstellungen fehlte. James war Vertreter des amerikanischen Pragmatismus, dessen Maxime lautet: „Wahr ist, was sich durch seine praktischen Konsequenzen bewährt“ (Müller 1996a, 32). Diese „Nützlichkeitstheorie der Wahrheit“ (Ebd.) fragt nicht nach den Ursprüngen und dem Wesen der Dinge, sondern ist sehr materialistisch angelegt: „Denken und handeln werden in pragmatischer Weise als zielgerichtet oder funktional bestimmt“ (Ebd.).

      Dynamismus, Pluralismus sowie Relativismus gelten als Kernpunkte der Denkrichtung von William James, der die Vorstellung eines Universums durch die Idee eines so genannten Multiversums ersetzt, welches aus konkurrierenden Wirklichkeitskonstrukten (Sub-Universa) besteht, „die von Menschen aktiv gestaltet, gelebt und geglaubt werden“ (Ebd., 33). Diese Auffassung beeinflusste später die Handlungstheorie von Mead und den Symbolischen Interaktionismus. Müller (1996a) sieht zudem Parallelen zur späteren evolutionären Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz. James’ Vorstellung einer biologischen Funktion der Erkenntnistätigkeit im Sinne der Arterhaltung ähnelt auch dem Viabilitätskonzept des Konstruktivismus.

      John Dewey (1859-1952) geht in Übereinstimmung mit dem Pragmatismus davon aus, dass sich der Wert einer Aktivität vor allem über ihren praktischen Nutzen für das Subjekt zeigt. Erkenntnis wird nicht als rein passiv gesehen, sondern liegt „primär im Handeln im Dienste einer praktischen Problemlösung“ (von Ameln 2004, 17). Sprich: Wissen wird im Handeln aufgebaut und „interaktiv durch ein untersuchendes, neugieriges, experimentierendes Verhalten konstruiert“ (Reich 2012, 71). Lernen wird somit als ein