GEO WISSEN Nr. 40 „Das Geheimnis der Sprache“ – Seite 56–57 „Dornenreich und Kinderleicht“; Grafik: © illuteam.de
Sprachfördernder Unterricht ist auf der Grundlage von fachlich fundierten Modellen zu planen und mit Blick auf aktuelle Erkenntnisse in der Sprachwissenschaft zu reflektieren. Als Teil des Arbeitsbereichs Sprache und Sprachgebrauch untersuchen der nationalen Bildungsstandards ist der Umgang mit Grammatik bzw. die Berücksichtigung von Grammatikmodellen fester Bestandteil des Unterrichts. So steht in den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarunterricht (KMK 2004, 9), dass die Schülerinnen und Schüler „über ein Grundwissen an grammatischen Strukturen, [über] einen Grundbestand an Begriffen und Verfahren zum Untersuchen von Sprache“ verfügen. Schülerinnen und Schüler sollen darüber hinaus „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen entdecken“ (KMK 2004, 13) und „grundlegende sprachliche Strukturen und Begriffe erkennen und verwenden“ (KMK 2004, 13).
Welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Arbeitsbereichs Sprache und Sprachgebrauch untersuchen erwerben sollen, erfahren Sie genauer in Kapitel 04.
3.1 Zu den Beschreibungsmodellen der Grammatik
Sprache ist die Infrastruktur im Land des Denkens
(Rainer Kohlmayer (aus aviso 2/2016, 28))
In diesem Zitat ist die Aussage inkludiert, dass wir über eine Infrastruktur im Gehirn verfügen, die mit Sprache und Denken zu tun hat. Sicher ist, dass wir im Laufe des Spracherwerbs Strukturen aufgebaut haben, die uns – als kompetente Sprecher – die Produktion und Rezeption korrekter, situationsangemessener sprachlicher Äußerungen ermöglichen. Diese Struktur lässt sich als interne Grammatik bezeichnen oder als implizite Fähigkeit. Wie genau dies im Gehirn modelliert ist, entzieht sich bis heute unseren Kenntnissen, wenngleich inzwischen die beteiligten Gehirnareale feststehen. Seit Jahrtausenden versucht man jedoch, diesen internen Regeln durch externe Beschreibungen – durch explizite Grammatiken – näher zu kommen, ohne bisher zu einer Sprachbeschreibung gelangt zu sein, die alle internen Regeln des Sprach(en)gefüges eines Individuums umfassend darstellen kann.
Damit kommen wir zu einem alltagssprachlichen Verständnis von Grammatik als eine auf einer Grammatiktheorie (und davon gibt es zahlreiche) basierenden Sammlung von Grammatikregeln, die in Regelwerken – z.B. der DUDEN-GRAMMATIK (2016) – dargestellt sind. Wichtig ist jedoch, sich bewusst zu sein, dass diese Regelsammlungen nur Versuche sind, unsere interne, im Gehirn abgelegte Grammatik näherungsweise zu beschreiben. Um einer Denkweise vorzubeugen, dass eine modellhafte Beschreibung mit der internen Grammatik identisch ist – d.h. der Wirklichkeit entspricht – sollen im Folgenden knapp einige unterschiedliche Beschreibungsmodelle vorgestellt und dabei die Modelle näher betrachtet werden, die entweder derzeit in der universitären Deutschlehrerausbildung am weitesten verbreitet sind und für den unterrichtlichen Einsatz als geeignet erscheinen oder vielleicht zukünftig weitere Verbreitung finden werden. Für die überblicksartige Darstellung sind Grammatikmodelle ausgewählt, die nach Granzow-Emden (2013, 40) folgende Forderung erfüllen: „Sie müssen als Modelle die Wirklichkeit angemessen abbilden.“
Bevor wir uns einzelnen Modellen widmen, soll abschließend zu diesen wenigen Vorüberlegungen ebenfalls durch ein Zitat von Granzow-Emden (2013, 38) der Unterschied zwischen Original (interner Grammatik) und Modell (externer Grammatik) prägnant dargestellt werden:
Modelle erfüllen nie die gleiche Funktion wie das Original – ein Flugzeugmodell muss weder fliegen noch Personen befördern können. Auch eine Grammatik als Modell der Sprache hat niemals den Anspruch, genau das zu leisten, was das Original – also die Sprache selbst – leistet. Modelle können sich unterscheiden – je nachdem, welchen Benutzerkreis sie im Auge haben, und Modelle stehen immer in der Gefahr, die Wirklichkeit falsch wiederzugeben.
3.2 Grammatikmodelle
Bei der Anordnung der folgenden Grammatikmodelle beginnen wir mit jenen, die uns aus der Perspektive der Lehrkraft oder der Studierenden am dringlichsten erscheinen, weil sie sowohl Teil des schulischen als auch häufig des universitären Unterrichts sind. Weitere einflussreiche Modelle schließen sich an, vor allem auch, um – wie oben bereits angesprochen – dem Eindruck entgegenzuwirken, dass es die eine immer passende Beschreibung gäbe. Dem ist nicht so. Alle Modelle haben ihre Stärken und Schwächen und sind nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Man könnte überspitzt sagen, dass sie nur eine sehr unscharfe Kopie des mentalen Originals darstellen. So wie eine Landschaftsfotografie mal schärfer, mal weniger scharf die Wirklichkeit abbildet, aber nicht die Wirklichkeit, also die Landschaft selbst ist.
Wenn Sie sich für ein Modell als Handwerkszeug für Ihre Grammatikbeschreibung entschieden haben (oder Ihnen eine Dozentin oder Seminarlehrer diese Entscheidung abgenommen hat), dann geht die Arbeit für Sie erst los. Für eine gründliche Einarbeitung in die Thematik empfehlen wir Ihnen einen ausführlichen Blick in die angegebene Literatur. Da es nicht das eine perfekte Buch gibt, die „eierlegende Wollmilchsau“ der Grammatikbeschreibung erst noch geschrieben werden muss (falls dies jemals möglich sein wird), empfehlen wir nachdrücklich, sich in mehrere Publikationen einzulesen. Mit weniger geht es nicht, um die nötige Professionalität als Deutschlehrkraft zu erreichen.
Um dieses Kapitel konzise zu halten, werden wir uns bei den folgenden Modellen ausschließlich dem Satzbau zuwenden. Einerseits lassen sich die einzelnen Grammatikbeschreibungen hier gut vergleichen, andererseits ist die Auseinandersetzung mit dem Satzbau z.B. in Form von Satzglieduntersuchungen seit den Forschungen von Hans Glinz in den 1950er Jahren bis heute fester Bestandteil des Deutschunterrichts.
3.2.1 Traditionelle Schulgrammatik
Ein Blick in aktuelle Deutschlehrwerke für den Erst- und Zweitsprachunterricht zeigt die anhaltende Dominanz eines Grammatikmodells, das nicht explizit für das Deutsche entwickelt, sondern aus der Beschreibung der lateinischen Sprache adaptiert wurde. Doch nicht nur schulische Lehrwerke halten daran fest. Auch die bis heute als wichtiges Nachschlagewerk häufig an den Universitäten und an Schulen benutzte Duden-Grammatik ist als in dieser Traditionslinie stehend zu begreifen – zumindest was die Terminologie betrifft, auch wenn sie die Bindung der einzelnen Bausteine eines Satzes (die Satzglieder) durch das Verb gesteuert betrachtet und diesbezüglich in der Theorie der weiter unten besprochenen Valenz- und Dependenzgrammatik (im Folgenden VDG) verortet ist. Damit schlägt die Duden-Grammatik eine Brücke zu der unten dargestellten VDG.
Zentral für die traditionelle Schulgrammatik ist einerseits die Terminologie für die einzelnen Bausteine eines Satzes (Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbiale), andererseits die zentrale Rolle des Subjekts, das in einem Kongruenzverhältnis zum Verb (bzw. zum finiten Verb) steht. Kongruenz bedeutet, dass das Subjekt mit dem Verb in Person und Numerus übereinstimmt, wie folgende Beispiele illustrieren:
Mike spielt mit seinen Puppen.
Anette und Senem spielen Fußball.
Kongruenz bezeichnet beispielsweise das Kongruieren, d.h. die Übereinstimmung des Subjekts mit dem Prädikat. Das Prädikat kongruiert mit dem Subjekt in Person (1., 2., 3. Person) und Numerus (Singular und Plural).
Die Termini Objekt, Subjekt und Prädikat fanden ihren Weg aus Beschreibungen der lateinischen Sprache in Beschreibungen des Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert (Pfeifer 1993; Elsen 2014). Bis heute sind diese Termini in schulorientierten Grammatiktheorien präsent. Die wichtigsten zentralen Bausteine des Satzes (Satzglieder) sind in der traditionellen Grammatik Subjekt, Prädikat, Akkusativobjekt, Dativobjekt, Genitivobjekt, Präpositionalobjekt, Adverbiale. Die häufig als Nachschlagewerk verwendete Duden-Grammatik bedient sich dieser Bezeichnungen, auch wenn sie die VDG als Erklärungsmodell zugrunde legt. Andere