1.7
Christiane Wanzeck, Hrsg. (2010). Lexikologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Kap. 1.1–1.3, 2.1–2.2 Wanzeck, C.
Ulrike Haß (2015). „Das Wort in der Lexikografie“. In: Handbuch Wort und Wortschatz. Hrsg. von Ulrike Haß und Petra Storjohann. Berlin, Boston: Walter de Gruyter, S. 492–515 Haß, U.
Lothar Lemnitzer und Heike Zinsmeister (2006). Korpuslinguistik. Eine Einführung. narr studienbücher. Tübingen: Gunter Narr Verlag Lemmnitzer, L.Zinsmeister, H.
Lothar Lemnitzer und Kay-Michael Würzner (2015). „Das Wort in der Sprachtechnologie“. In: Handbuch Wort und Wortschatz. Hrsg. von Ulrike Haß und Petra Storjohann. Berlin, Boston: Walter de Gruyter, S. 297–319 Lemnitzer, L.Würzner, K.-M.
2 Wörter
2.1 Analyseprobleme und -ebenen
Zwar wissen alle Sprachbenutzer, was ein Wort ist, dennoch fällt es schwer, es wissenschaftlich exakt zu bestimmen. Wissenschaftliche Wortbeschreibungen Wortbeschreibungwissenschaftlichmöchten definieren, wie sich das Wort von anderen sprachlichen Einheiten unterscheidet. Sie suchen Charakteristika, die ausschließlich auf das Wort zutreffen.
Ausgehend von de Saussure haben die Strukturalisten zwei Ebenen der Sprache unterschieden, die Laut- und die Bedeutungsseite. Martinet (1968, S. 23) Martinet, A.hat dies im Jahre 1960 folgendermaßen ausgedrückt:
Eine Äußerung wie ich habe Kopfweh oder ein Teil einer Äußerung, der einen Sinn ergibt, wie Kopfweh oder ich, heißt ein sprachliches Z e i c h e n. Jedes sprachliche Zeichen hat ein S i g n i f i k a t (signifié): seine Bedeutung (sens) – oder seinen Wert (valeur) […] und einen S i g n i f i k a n t e n (signifiant), durch den das Zeichen manifestiert wird.
In der Folgezeit wurde diese Vorstellung modifiziert, indem zusätzliche Sprachebenen angenommen wurden. Heute gehen eigentlich alle Grammatikmodelle von Vermittlungsebenen zwischen der Laut- und Bedeutungsseite sprachlicher Gebilde aus. Die Grundzüge einer deutschen Grammatik (Heidolph, Fläming und Motsch, 1981, S. 35) Heidolph, K. E.Flämig, W.Motsch, W.sehen in der Grammatik die „Gesamtheit von Regeln, die die Einheit von Wirklichkeitsabbildung und lautlicher Form in der Äußerung der Sprache begründen, [die das] widersprüchliche und auf komplizierte Weise vermittelte Verhältnis der beiden Seiten [ausdrückt].“ In dieser Beschreibung wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass es keine eindeutige Verbindung (Isomorphie) Isomorphiezwischen Form und Inhalt in der Sprache gibt. Als Beispiel soll auf die Mehrdeutigkeit Mehrdeutigkeitverwiesen werden. So steht das Wort Dame für verschiedene gedankliche Einheiten Dame(Konzepte):
für eine weibliche erwachsene Person (Eine Dame trägt einen Hut.),
für eine Spielkarte (Er legt eine Dame aus.),
für einen Spielstein und ein Spiel (Damespiel)(Wollen wir heute Dame oder Mühle spielen?),
für eine Spielfigur (im Schachspiel) (Die Dame schlägt den Springer.).
Anderseits gibt es für den Begriff weibliche erwachsene Person verschiedene Lautkörper in der deutschen Sprache:
Frau, Weib, Dame, Fräulein …
In den Mehrebenenmodellgrammatischen Mehrebenenmodellen werden in der Regel fünf Ebenen angenommen, die als relativ selbstständige Grammatikkomponenten GrammatikRegeln und Komponentenmit eigenständigen Regeln zu sehen sind. Schematisch zeigt das die Abbildung 2.1.
Abbildung 2.1: Mehrebenenmodell
Diese Abbildung soll andeuten, dass die Zuordnung der Form einer Äußerung (Formativ) zur Inhaltsseite (Bedeutung) über die dazwischenliegende morphologische und syntaktische Ebene erfolgt und außerdem bestimmt wird durch die Verwendungseigenschaften, bei denen die syntaktischen von den pragmatischen zu trennen sind. Die pragmatische Ebene nimmt Einfluss auf alle Ebenen. Die syntaktische Komponente regelt die Verknüpfung zu komplexen Zeichen und die pragmatische Komponente die Situationsangemessenheit. Diese Ebenen bestätigen die von der Norm abweichenden Sätze in (2.0).
(2.0) | a. * Das Auto ging auf der Autobahn spazieren. Verstoß auf semantischer Ebene. b. * Unter einer andere Führung könne er …. (Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006, S. 31) Verstoß auf morphologischer Ebene. c. Weltmeister Andreas Breme: „* Steckt niemals den Sand in den Kopf“. (Der Spiegel, 43/2005 (Hohlspiegel): Aus dem Badischen Tageblatt) Verstoß auf syntaktischer Ebene. d. * Chier gann man gut leijben. Verstoß auf grafischer Ebene. e. * Im Saal saßen 700 Nasen, die eine mitreißende, unkonventionelle teils unbequeme und unterhaltsame Rede hörten. (Der Spiegel, 46/2006 (Hohlspiegel): Aus dem Heuberger Boten) Verstoß auf pragmatischer Ebene. |
Beispiel (2a.) ist semantisch falsch, weil spazieren gehen nicht mit unbelebten Objekten verbunden werden kann. In (2b.) ist andere die falsche Flexionsform. In (2c.) wurde gegen syntaktische Reihenfolgeregeln verstoßen. Beispiel (2d.) weicht in der Lautung bzw. Schreibung von der Norm ab. Und (2e.) wäre in der privaten Kommunikation im Familienkreis angebracht, ist aber in einer offiziellen Situation unangemessen.
Wir gehen ähnlich wie Eisenberg (2013)Eisenberg, P. und Gallmann (1999)Gallmann, P. auch beim Wort von mehreren Ebenen aus und möchten aus linguistischer Sicht sechs Wörter unterscheiden – das semantische, das morphologische, das syntaktische, das phonetische, das grafische und das pragmatische Wort. Da es keine Isomorphie IsomorphieWortebenenzwischen allen Wortebenen geben muss, kommt es vor, dass eine lexikalische Einheit nicht allen sechs Wortdefinitionen genügt, kein prototypisches Wort ist.
Beispielsweise ist der Artikel die in der Wendung die kalte Küche ein orthografisches, aber kein semantisches Wort, weil er, wie nachfolgend noch erklärt wird, nur grammatische Bedeutung hat. Andererseits ist kalte Küche mehrdeutig und stellt in der idiomatisierten (morphologisch-semantisch undurchsichtigen) Wendung ein semantisches Wort, jedoch zwei orthografische und zwei syntaktische Wörter dar. Sprachzeichen
2.2 Das phonetisch-phonologische Wort
Ein ausgesprochenes Wort ist im Deutschen dadurch bestimmt, dass es aus einer zusammenhängenden Kette von Sprachlauten besteht. Wortphonetisch-phonologischesDie gebrauchsbasierte Betrachtung des sprachlichen Wissens nimmt an, dass das „lautliche Wissen […] nicht nur aus abstrakten Segmenten oder Merkmalen, sondern aus konkreten und detaillierten Einheiten“ besteht. Bergmann (2018, S. 10) Bergmann, P.Dies wird durch das leistungsstarke menschliche Gedächtnis möglich. Pinker (2000) Pinker, S.verdeutlicht dies an den unregelmäßigen, starken Verben (wie singen, sang, gesungen), die gelernt und somit eingeprägt werden müssen. Diese Verbindung wird nicht nur in der Morphologie sondern auch in der Aussprache von Wörtern deutlich, beispielsweise bei Ortsnamen. Wir sprechen deshalb auch vom phonetisch-phonologischen Wort, da eine Verbindung von phonetischer, realisierter Substanz und phonologischer, abstrakter Funktion existiert.
Die gesprochenen Wörter können segmentiert werden, die Laute, Silben und Akzente sind die wesentlichen Teile. Dabei sind einige Laute (Phoneme) Phonemeaufgrund ihrer distinktiven (unterscheidenden) Merkmale für die Bedeutungsdifferenzierung von Relevanz. Sie führen dazu, dass sich verschiedene Wörter in ihrem Klang unterscheiden. Beispielsweise ist dies bei den Wörtern in (2.1) der Fall. /H/, /G/, /M/ sind hier bedeutungsdifferenzierend (im Deutschen gibt es etwa 20 Konsonanten- und 16 Vokalphoneme).
(2.1) |
a.
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