Für das Verständnis der DH-Ansätze im Forschungsprozess und ihr Zusammenspiel ist es wichtig, einige Grundprinzipien ‚des Digitalen‘ im Blick zu behalten. Rechnergestützte Arbeiten sind nicht zuletzt deshalb so umfassend, weil die Einfachheit der Herstellung, die Leichtigkeit der Bereitstellung und Verbreitung, die unmittelbare Anschlussfähigkeit und Nachnutzbarkeit auch in anderen Kontexten und damit ihre Vernetzung zur Natur digitaler Daten gehören. Daten spielen auf allen Ebenen eine zentrale Rolle, wechseln diese Ebenen aber auch und verbinden sie damit: die bibliografische Information ist das Rückgrat der Digitalisierung eines Objekts, dessen digitale Repräsentation mit Kontextwissen angereichert wird, das Gegenstand analytischer Auswertung ist, die Voraussetzung einer Interpretation ist, die in einer digitalen Publikation präsentiert wird, deren Daten Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen sind.
3 DH und die Fächer: Problemlagen
DH markiert einen Bereich, der sich um die Entwicklung von digitalen Lösungen für die geisteswissenschaftliche Forschung kümmert. Er entfaltet dabei aber auch eine gewisse Eigendynamik, in der das Verhältnis von DH zu H problematisch erscheinen kann. Aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte, besonders aber den Debatten der letzten Jahre heraus, lassen sich einige immer wiederkehrende Diskussionspunkte identifizieren.
Das Abgrenzungsproblem:
Menschen definieren sich durch das, was sie tun. Die Digital Humanities sind ein Feld, das sich in seiner Spezialisierung, in seiner Konzentration auf Methoden und Technologien und in seinem Interesse an einer fachübergreifenden Metaebene von den speziellen Problemlagen in den Einzelfächern entfernt. Deren Forschungsfragen geben zwar meistens den Anstoß für DH-Entwicklungen, letztlich interessiert sich DH aber für eigene Themen und definiert sich als eigenständige Disziplin gerade nicht über die fachspezifischen Interessen der Geisteswissenschaften. Spezialfächer wie Computerlinguistik oder ‚Digital History‘ stecken in einer doppelten Legitimationsfalle: Auf der einen Seite werden sie gefragt, warum sie sich nicht unter dem Dach einer umfassenden DH einrichten, die ihnen aber oft als zu breit, zu vage und zu wenig konkret erscheint.11 Auf der anderen Seite müssen sie erklären, warum sie etwas substanziell Anderes sein sollen als die Fächer, aus denen sie hervorgegangen sind und deren Forschungsgegenstände und –interessen sie doch teilen. Da sie es aber zugleich mit konkreten Fachfragen (aus dem Gegenstandsbereich der Ausgangsdisziplinen) zu tun haben und in deren Beantwortung recht erfolgreich sind, scheinen sich diese Fächer oft ganz gut in ihren Nischen einrichten zu können.
Der größte Widerstand gegen eine sich verselbstständigende Disziplin DH kommt aus den etablierten Fächern. Hier wird zwar die Notwendigkeit digitaler Verfahren inzwischen weitgehend akzeptiert, den DH wird ein Fachcharakter aber abgesprochen, weil ‚die Entwicklung von Lösungen‘, ‚die Reflexion der Transformation‘ oder ‚die Digitalität der Forschung‘ nicht als ein eigener Forschungsgegenstand anerkannt wird. Den DH wird die Rolle eines Dienstleisters, bestenfalls einer Hilfswissenschaft zugeschrieben, die den Fachwissenschaften zuarbeiten sollen. Erwartet wird, dass die DH einfache und reife Lösungen entwickeln, die von den Geisteswissenschaften unmittelbar genutzt und in ihre alltägliche Forschungspraxis integriert werden können. Damit habe DH seine Aufgabe erfüllt und werde nicht mehr gebraucht. Die oft vorgetragene These zu Wesen und Zukunft der DH lautet: Da die Wissenschaften ihre Methoden ohnehin beständig fortentwickeln und sie in absehbarer Zeit ohnehin vollständig digital arbeiten würden, sei DH ein Übergangsphänomen, das bald wieder verschwinden werde.12
Menschen definieren sich auch durch ihre Biografien. Die Ablehnung von DH als eigenständiges Fach fällt auch deshalb leicht, weil die Vertreter einer jungen Disziplin alle aus einer etablierten Disziplin stammen: „Du bist ein Digital Humanist? Nein, Du hast Geschichte studiert und damit bist Du Historiker!“ Damit wäre dann aber grundsätzlich jede Entwicklung des Fächerspektrums in den Wissenschaften ausgeschlossen. Das Abgrenzungsproblem scheint mir durch das oben vorgestellte Angebot des 3-Sphären-Modells insofern entschärft, als dass die Entweder-Oder-Frage der Disziplinarität durch eine Sowohl-Als-Auch-Beschreibung verschiedener Aktivitäts- und damit Identifikationsfelder beantwortet werden kann.
Das Entkoppelungsphänomen:
DH ist aus Fachfragen der Geisteswissenschaften herausgewachsen und hat den Auftrag, hier geeignete Lösungen und Werkzeuge zu entwickeln. Dabei gehen die DH aber zunehmend eigene Wege und verfolgen ihre eigenen Fragen. Die fachwissenschaftlichen Agenden sind dann eher Auslöser, Sprungbrett und Testfall. Die treibende Kraft der DH, auch und vor allem hinsichtlich ihrer finanziellen Ressourcen, sind kooperative Forschungsprojekte, in denen beide Seiten zusammenarbeiten. Auch wenn hier der Regelfall gar keine gleichgewichtige Zusammenarbeit ist, sondern die DH als kleinerer Partner nur für bestimmte Anteile, nämlich die ‚digitalen Komponenten‘ zuständig ist, muss sie in diesem Bereich den Stand der Kunst einhalten und – weil es sich um Forschung handelt – darüber hinausgehen. Wenn die Vertreter von DH sich als Wissenschaftlerinnen ernst nehmen, dann müssen sie bei allem, was sie tun, auch nach der Innovation im DH-Sinne fragen. Kooperationsprojekte sichern die Verbindung von Geisteswissenschaften und DH, verhindern aber nicht die weitergehende Spezialisierung der DH. In der Zusammenarbeit mit Kollegen aus der (eigentlichen) Informatik besteht das Problem, dass diese sich im Grunde nur für die Entwicklung neuer Algorithmen, für neue formale Lösungen interessieren, bei denen die Fachfragen nur als ‚proof of concept‘ dienen. Dies ist bei der Zusammenarbeit mit DH-Spezialisten nicht ganz so konsequent zu beobachten, in der Tendenz aber ähnlich. DH leistet sehr wohl Grundlagenarbeit für die Geisteswissenschaften und hat als ‚angewandte Informatik‘ ein Interesse an Systemen, die dauerhaft in der Praxis funktionieren. Auch hier geht der Blick aber auf die jeweilige Forschungsfront und die Themen, die gerade besonders aktuell und spannend sind. In den Geisteswissenschaften kann dadurch der Eindruck entstehen, bei Kooperationsprojekten zurückzubleiben: Zur Laufzeit gilt das besondere Interesse der DH-Seite eher spezialistischen Herausforderungen und mit dem Ende der Förderung zieht sie zum nächsten Vorhaben weiter, während die Fachforscher mit ihren ‚halb durchgebohrten dicken Brettern‘ allein gelassen werden.13
Das Kommunikationsproblem:
Die Unmöglichkeit der Kommunikation zwischen den ‚zwei Welten‘ ist legendär. Informatik und Geisteswissenschaften sind so unterschiedlich ausgebildet und leben in so unterschiedlichen Sphären, dass sie nicht über eine gemeinsame Sprache verfügen. Gemeinsame 3-Jahres-Projekte, in denen man zwei Jahre brauchte, um die jeweils andere Seite zu verstehen, so dass