Bezogen auf eine Vielzahl von englischunterrichtsrelevanten Fragestellungen untersucht Borg in mittlerweile fast 100 Publikationen und Metaanalysen die Beliefs von Englischlehrkräften in verschiedenen globalen Kontexten. Neben diesen umfassenden und einschlägigen Publikationen, die auch schon früh in umfassender Weise weitere Ergebnisse zu Lehrerkognitionsforschung zusammenfassen (z.B. Borg 2003), erarbeitet er selbst „A Framework for Studying Language Teacher Cognition“ (Borg 2006: 271ff.), um hierin seine eigenen Erkenntnisse münden zu lassen und für die verschiedenen, an Lehrerbildung beteiligten Personen und Institutionen nutzbar machen zu können. Er unterteilt einen potentiellen Forschungsansatz in zwei unabhängige Variablen: zum einen in die Teilnehmenden, welche noch in Ausbildung sein können (pre-service) oder schon Unterricht erteilen (in-service), zum anderen in Themen, welche generischer Natur sein können (Unterrichtsplanung, Didaktik, allgemeine Methodik) oder domänenspezifisch (Grammatik, fremdsprachliche Kompetenzen). Inwiefern sich dann Fremdsprachenlehrerkognition und das Beliefs-System konstituiert, stellt Borg mitsamt seinen Elementen und Prozessen mittels einer älteren Abbildung dar, die er aber in späteren Publikation weiter verwendet (s. Abbildung 7). Borg betont wiederholt die zeitlich andauernde Stabilität von Beliefs und Überzeugungen und damit ihre Trägheit und Innovationsresistenz (vgl. Borg 2003/2006). Dies bestätigt – interessanterweise zu Englischlehrkräften im Vorbereitungsdienst – Rossa (2017) in einem Werkstattbericht einer laufenden Studie. Er zeigt, dass deren Beliefs über den 18-monatigen Zeitraum in NRW erwartungsgemäß recht stabil bleiben und die strukturellen Schwierigkeiten des Vorbereitungsdienstes, die in Kapitel 4 noch ausführlich gewürdigt werden, die größten Herausforderungen bereiten. Manche Beliefs werden allerdings auch abgelöst oder um neue ergänzt. Rossa führt als neu adaptierte Beispiele auf: „a more structured approach in designing teaching sequences, breaking learning processes down to smaller steps, and the perceived importance of differentiated instruction” (ebd.: 205), didaktisch-methodische Wissensbestände also, die scheinbar erst mit der Übernahme eigener Klassen relevant zu werden scheinen.
Fremdsprachenlehrerkognition und Beliefs konstituierende Elemente und Prozesse (Borg 2003: 82).
Im Feld der internationalen Forschung zu Reflexivität und Beliefs fällt auf, dass dort im Gegensatz zur deutschen Forschung überwiegend von Identitätskonstrukten ausgegangen wird, die primär im Anschluss und in Tradition von Meads Self zu sehen sind und zudem auf das Herausbilden und eine Bewusstseinsentwicklung von Persönlichkeitsstrukturen durch das Individuum fokussieren (vgl. Mead 1973; für eine Übersicht von Identitätskonstrukten in der Fremdsprachenlehrerbildung international vgl. Miller 2009 und Schultze 2018), während beispielsweise das Forschungsprogramm Subjektive Theorien explizit als Deutungspostulat aufstellt:
Kognitionen der Welt- und Selbstsicht
als komplexes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur,
das auch die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktionen
der Erklärung, Prognose und Technologie erfüllt. (Groeben/Scheele 2010: 153)
Interessanterweise spielt ein offeneres Konstrukt von Identität und ihrer (Aus-) Bildung dann wiederum im Kontext der Entwicklung interkultureller (kommunikativer) Kompetenz im fremdsprachlichen Unterricht – allerdings eher auf Seiten der Lernenden – eine gewichtige Rolle, bei dem individuelle Haltungen, Vorwissen sowie Fremdverstehen mittels der Sprache und Begegnung fremdsprachlich geprägter Kulturen offengelegt und gefördert werden sollen (vgl. Byram 1997, Busse/Göbel 2017). In verschiedenen Reflexionsmodellen ist häufig Identitätsbildung angelegt (vgl. z.B. Abendroth-Timmer 2017), inter- bzw. transkulturelle Kompetenz wiederum hat z.B. Wilden (2013) bei angehenden Fremdsprachenlehrpersonen im Kontext des fremdsprachlichen Literaturunterrichts untersucht, Martinez (2008) beforscht die Subjektiven Theorien, ebenfalls von angehenden Lehrkräften, im Hinblick auf die Konzepte Sprachlernverständnis und Lernerautonomie.
Eine stärker berufsbiographisch orientierte Perspektive nehmen Valadez Vazquez (2014) und Schultze (2018) ein, wenn sie sich Identität als theoretisches und empirisches Konstrukt zunutze machen. Valadez Vazquez (2014) zeigt beispielsweise, „dass berufliche Identitätsprozesse von (angehenden) Spanischlehrenden stark von ihrer subjektiven Zufriedenheit mit dem (späteren) Spanischlehrberuf abhängen“ (ebd.: 416). Wie in ihren Fallrekonstruktionen deutlich wird, ist diese Zufriedenheit sowohl abhängig von der aktuellen Phase, in der die Spanischlehrkräfte sich befinden, aber auch von der Identifikation mit dem Fach sowie dem eigenen Erleben als „sprachkompetent“. Schultze (2018) untersucht auf der Grundlage verschiedener Identitätskonstruktionen (und ihrer kritischen Bewertung), wie sich professionelle Identitäten von angehenden Englischlehrpersonen – in ihrem Beispiel zwei Englisch-Lehramtsstudierende, die als ausführliche Fallrekonstruktionen dargestellt werden – entwickeln und wie diese beruflichen und berufsbiographisch wachsenden Identitäten beispielsweise auch mit den individuellen Sprachlernbiographien zusammenhängen.
Wird der Fremdsprachenlehrer*innenrolle mittels Subjektiver Theorien, Beliefs und Reflexivität besondere Beachtung geschenkt, werden diese Konstrukte selten zum Selbstzweck als zugrundeliegende Ansätze oder zur Erhebung der Innenperspektive der Lehrpersonen verwendet, sondern häufig zielgerichtet als Grundlage für Interventionen und Qualitätsoptimierungen eingesetzt, was der Schwerpunkt des nächsten Kapitels sein soll.
3.1.3 Aktionsforschung und Interventionen
Umfassendere, langfristige Prozesse von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung innerhalb der deutschen, phasigen Lehrerbildung wurden bislang kaum untersucht. Vielmehr sind es bestimmte Interventionen im Studium oder im Schuldienst, die auf ihre Wirkung auf Seiten der Lehramtsstudierenden oder der Lehrkräfte hin betrachtet werden. Häufig anschlussfähig an die Konstrukte Reflexion und Reflexivität kann im Bereich von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung als eine durchaus prominente Interventionsmaßnahme die Aktionsforschung (auch Handlungs- oder Lehrerforschung) gesehen werden, die sich nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch besonders international gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen stark steigender Beliebtheit erfreut.1 Der Ansatz bezeichnet dabei zunächst einmal „eine Arbeitsrichtung …, die Lehrpersonen dazu animiert und dabei unterstützt, ihre Praxis zu erforschen und weiterzuentwickeln“ (Altrichter/Feindt 2014: 285), gleichsam die Förderung des in den Lehrerbildungsstandards für das Fachprofil Neue Fremdsprachen aufgeführten „forschenden Habitus“ (s.o.). Diese Haltung scheint insbesondere virulent durch die Neufokussierung auf die Rolle der Lehrperson im allgemeinpädagogischen – und wenn man so möchte Hattieschen – wie auch fachdidaktischen Sinne einer soziokulturellen Wende, Lehrer*innen dazu ermutigend „active users and producers of theory in their own right, for their own means, and as appropriate for their instructional contexts“ (Johnson 2006: 240) zu werden. Wie Borg (2013) im Anschluss an seine Beliefs-Forschung darstellt, kann er jedoch trotz der großen Befürwortung einer solchen Lehrerhaltung, kaum feststellen, dass Aktionsforschung (Teacher research) tatsächlich (auch international) kohärent und nachhaltig in Lehrer*innenbildung oder der Praxis eingesetzt wird:
Despite much theoretical advocacy as well as practical guidance in the form of research methods manuals for language teachers, it was clear from my reading and work in a range of international contexts that, for most teachers, teacher research remained a foreign concept, or at least and unfeasible one. (ebd.: 1)
Überzeugt vom Ansatz und gleichzeitig im Bewusstsein der Tendenz Aktionsforschungs-feindlicher, bildungspolitischer Rahmungen in den verschiedenen Kontexten, die er erlebt hat, präsentiert er neben einer Metaanalyse der vorliegenden empirischen Studien vier eigene Untersuchungen mit über 1.700 Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern. Obwohl in Teilen der Publikation die Grenze zwischen Aktions- und Unterrichtsforschung zu verwischen scheint – und nebenbei zudem wenig konkrete Ansätze von Aktionsforschung an sich in den Fokus gerückt werden – zielt die Arbeit in Borgscher Tradition tatsächlicher eher auf die Einstellungen der an Fremdsprachenlehrerbildung beteiligten Personen ab, inwiefern diese ihre Praxis beforschen