Merke
Dekolonisationsprozess
Rund 80 neue Staaten haben sich im Zuge des Dekolonisationsprozesses zwischen 1946 und 1986 gegründet. Sie stellen einen Pool an Staaten, um den die USA und die Sowjetunion konkurrieren.
Im Prozess der Dekolonisation führen diese Staaten zum Teil lang anhaltende Dekolonisationskriege gegen die Kolonialmächte, aber es kommt auch zu Kriegen über die regionale Vorherrschaft.
Wo es zu Kriegen kommt, entwickeln sich diese häufig zu Stellvertreterkriegen.
Diese Staaten erlangen ein stärkeres Gewicht in internationalen Organisationen, z.B. die Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten NationenVereinte Nationen.
Entspannungspolitik: Partielle Ost-West-Kooperation (1963–1979)
Die Vielzahl an neuen Staaten stellte für die beiden Großmächte USA und Sowjetunion eine große Herausforderung dar. Die Spaltung zwischen China und der Sowjetunion schuf für die sowjetische Führung Anreize, mit den USA zu kooperieren. Konkret warfen beide Entwicklungen das Problem der Proliferation von Atomwaffen auf. Gerade der Wettbewerb zwischen der Sowjetunion und den USA barg nicht nur die Gefahr der Sicherheitsbedrohung durch die Anwerbung von Alliierten in der eigenen Interessensphäre – wie durch den Fall Kuba repräsentiert –, sondern auch die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung von Atomwaffen. Dafür steht der Fall Chinas. Mit der Annäherung der USA an China unter US-Präsident Nixon ab 1972 entstand weiterer Druck auf die sowjetische Führung, sich gegenüber dem westlichen Bündnis kooperativ zu zeigen.
DieAnreize für blockübergreifende Kooperationse Entwicklungen schufen konkrete Anreize für mehrere Kooperationsinitiativen (vgl. Tabelle 2.10). In den Vereinten NationenVereinten Nationen verhandelten beide Staaten über eine Menschenrechtskonvention, die die grundlegendsten Menschenrechte international verbindlich definieren sollte. Das Ergebnis waren 1968 zwei Pakte, da sich die USA und die Sowjetunion nicht auf einen Pakt einigen konnten: Der eine Pakt definierte bürgerliche und politische Rechte, der andere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (vgl. Einheit 12).
Die USA und die Sowjetunion verhandelten bilateral über eine Reihe von Rüstungsbeschränkungsmaßnahmen. Darüber hinaus gab es wichtige Verhandlungen zwischen der deutschen Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt und den Regierungen der Sowjetunion, der DDR, Polens und der Tschechoslowakei, die auf eine offizielle Anerkennung der Grenzen entsprechend der Regelungen der Alliierten Konferenzen hinausliefen und alle Parteien auf die Norm des Gewaltanwendungsverbots verpflichteten (vgl. Tabelle 2.10).
Jahr | Abkommen | Inhalt |
1963 | Atomarer Teststoppvertrag | erster Vertrag zur atomaren Rüstungsbegrenzung;Verbot des Tests von Atomwaffen |
1968 | NichtverbreitungsvertragNichtverbreitungspolitik, nukleare (NVV) | Festlegung der Staatengruppe, die legal Atomwaffen besitzen darf (USA, Sowjetunion, China, Großbritannien, Frankreich) und der Staatengruppe, für die der Erwerb zu militärischen Zwecken verboten ist;Verbot der Weiterverbreitung von Atomwaffen, Förderung der Atomkraft für zivile Zwecke |
1971 | Berliner Viermächteabkommen | Bestätigung, dass West-Berlin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik ist;aber: Regelung des Transitverkehrs und der Besuche zwischen Ost- und West-Berlinerinnen und Berlinern |
1970–1973 | Ostverträge1970: Moskauer Vertrag1970: BRD-Polen1972: Grundvertrag BRD-DDR1973: Prager Vertrag | Anerkennung des Status Quo in Europa;Anerkennung der Unverletzlichkeit der innerdeutschen Grenze, der deutsch-polnischen Grenze (Oder-Neiße-Linie) und der deutsch-tschechischen Grenze (Münchner Abkommen von 1938 wird für nichtig erklärt);faktische Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik;Gewaltverzicht |
1972 | Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT I)Raketenabwehrvertrag (ABM-Vertrag) | Einfrieren der Zahl der land- und seegestützten Interkontinentalraketen;Begrenzung der Abschussvorrichtungen gegen anfliegende Raketen;Sicherung der Zweitschlagskapazität und damit der wechselseitigen Abschreckung |
1973 | Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag über beiderseitig ausgewogene Truppenreduzierungen (MBFR-Vertrag) | nicht abgeschlossen, da keine Einigung auf tatsächliche Truppenstärke |
1975 | Helsinki-Schlussakte | kollektives Sicherheitssystem für Europa;Helsinki-Effekt auf osteuropäische Dissidenten und Demokratiebewegung |
1978 | SALT II-Vertrag (nicht ratifiziert) |
Entspannungsphase – Blockübergreifende Kooperation
Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZEKonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)) und die 1975 verabschiedete Schlussakte von Helsinki stellten eine weitere bedeutende Kooperationsinitiative dar, die 1965 von der UdSSR ausging, nach dem Austritt Frankreichs aus der Verteidigungsstruktur der NATO 1966 von de Gaulle aufgenommen und schließlich mit der Ostpolitik unter Willy Brandt auf ein breites westeuropäisches Fundament gestellt wurde (Young/Kent 2013). In ihrem Gefolge kam es zur Einrichtung einer Konferenzfolge, die explizit die Entspannung der Ost-West-Beziehungen anstrebte. Die grundlegende Bedeutung der KSZE lag darin, dass alle Beteiligten, vor allem Westdeutschland, die Teilung Deutschlands akzeptierten und die DDR explizit anerkannten; die USA und die Sowjetunion erklärten sich bereit, ihre jeweiligen Einflusssphären wechselseitig zu respektieren, und sie entwickelten vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. Im Rahmen der KSZE wurden nicht nur rüstungsbegrenzende Vereinbarungen getroffen, sondern auch Vereinbarungen über menschenrechtliche und humanitäre Fragen, wie die der Familienzusammenführung (Altrichter/Wentker 2010). Der Helsinki-Effekt wirkte sich überraschenderweise auf die innerstaatlichen Oppositionsbewegungen in Osteuropa aus und Helsinki-Effekt: Mobilisierung von Oppositionellenführte zu deren Mobilisierung gegen die kommunistischen Regierungen. Organisationen nutzten die in dem Abschlussdokument verankerten Normen über politische Versammlungsfreiheit, um sich politische Freiräume in ihren eigenen Staaten zu erkämpfen (Thomas 2001).
Globale Effekte der Dritten Demokratisierungswelle ab 1974
Als im April 1974 in Portugal die diktatorische Regierung von Marcello Caetano durch einen Militärcoup gestürzt wurde, löste dies eine Kettenreaktion in vielen anderen Staaten aus. Bis zum Ende des Ost-West-Konflikts wurden 30 Staaten in Europa, Lateinamerika und Asien von einer globalen DemokratisierungswelleDemokratisierungswelle erfasst (Huntington 1990). Zwar gab es auch Entwicklungen in die umgekehrte Richtung – in Richtung eines autoritären Staates wie in Chile unter Augusto Pinochet zwischen 1973 und 1989 –, aber die Zahl der Demokratien nahm insgesamt stärker zu als die der Autokratien.
Merke
Demokratisierungswellen
In seinem Standardwerk zu demokratischen Transitionen spricht Samuel S. Huntington (1990) von Demokratisierungswellen, denen umgekehrte Wellen der Transition von Demokratien in Autokratien folgen.
Erste Demokratisierungswelle: | 1828–1926 |
Erste umgekehrte Welle: | 1922–1942 |
Zweite, kurze Demokratisierungswelle: | 1943–1962 |
Zweite, umgekehrte Welle: | 1958–1975 |
Dritte Demokratisierungswelle: | seit 1974 |
Zum gleichen Zeitpunkt begann sich auch Spanien nach dem Tod seines seit 1936 regierenden Diktators Francisco Franco zu demokratisieren.