Tanner. Urs Schaub. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Schaub
Издательство: Bookwire
Серия: Simon Tanner ermittelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783857919435
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gerade haben die Bösen ihre Forschungsgelder gestrichen …

      Es gibt zwei Emma Goldfarb! Die eine ist Zahnärztin und bei der anderen steht gar nichts. Welche Nummer wollen Sie?

      Er sollte zwar dringend wieder einmal zum Zahnarzt, aber nicht jetzt. Zudem ist heute Sonntag.

      Können Sie mich gleich mit der verbinden, wo nichts steht?

      Wieder Knistern und Rauschen.

      Er sagt ein artiges Danke ins weite All und wartet.

      Da ist Anna, wer bist du, meldet sich eine Mädchenstimme an seinem Ohr. Damals war Anna ja noch ganz klein.

      Ich bin der Tanner. Bist du alleine zu Hause?

      Das darf ich nie sagen am Telefon, wenn ich alleine zu Hause bin! Hat mir meine Mami gesagt!

      Da hat deine Mami ganz Recht. Gehst du schon zur Schule, Anna? Was Intelligenteres fällt ihm auf Grund seines leeren Magens nicht ein.

      Ja, ich gehe in die zweite Klasse. Wir sind die Bienen und die anderen sind die Mäuse. Ich fahre auch allein mit dem Tram in die Schule und zurück. Einmal war ein ganz lieber Tramchauffeur. Ich hatte nämlich kein Geld mehr. Und Mama hat vergessen, das neue Monatsabi zu kaufen. Ich hatte mir am Morgen ein Glassee gekauft.

      Er wechselt das Ohr.

      Also bin ich vorne zum Mann gegangen und habe ihm gesagt, ich hätte am Morgen aus Versehen ein Glassee gekauft anstatt ein Billiee. Und weißt du, was der Mann gesagt hat?

      Ne, Anna! Keine Ahnung!

      Wetten, sie durfte auch nicht auf den Schulausflug nach Australien …

      Er hat gesagt … und alle haben gelacht in der Tram … wart mal … jetzt ist mir das Brot auf den Boden gefallen … raschel, raschel … Bist du noch da?

      Er ist sicher, sie isst ein Nutella-Brot!

      Der Mann hat gesagt: Kauf dir das nächste Mal aus Versehen ein Billiee und jetzt setz dich, ich muss losfahren.

      Sie prustet lachend ins Telefon und Tanner wechselt erneut das Ohr.

      Das ist aber ein ganz lieber Mann!

      Und für einen Moment glauben beide an das Gute im Menschen. Anna, hat dir deine Mama eine Telefonnummer aufgeschrieben, wo man sie anrufen kann?

      Und bitte, gib mir was von deinem Brot ab.

      Ja, das hat sie.

      Wieder beißt sie in ihr Brot.

      Würdest du mir bitte die Nummer sagen?

      Genüsslich kauend sagt sie die Nummer und zur Sicherheit bittet er sie, die Nummer zu wiederholen.

      Vielen Dank, Anna, das war ein sehr schönes Gespräch. Vielleicht sehen wir uns mal. Aus Versehen! Ciao!

      Sie prustet wieder los und bevor sie ihn bittet, ihr per Telefon die Hausaufgaben fürs Rechnen zu lösen, unterbricht er die Verbindung.

      Staatsanwaltschaft Zürich. Goldfarb am Apparat!

      Aha … Frau Staatsanwältin macht am Sonntag Überstunden! Das ist die fröhliche Stimme von Emma, die er nun seit mindestens vier Jahren nicht mehr gehört hat.

      Sie ist eine dieser nicht ganz schlanken Frauen, in deren Armen man sofort vergisst, dass man unbedingt, immer schon, eine ganz schlanke Freundin wollte. Gleich wird ihre gute Laune ein jähes Ende finden …

      Emma, du wirst es nicht glauben, hier ist der Tanner. Ich bin zurück aus Marokko und ich weiß, gleich wirst du sehr wütend sein. Und du wirst mit allem, was du mir sagen wirst, auf der ganzen Linie Recht haben, mehr als Recht, und ich bitte dich demütig um Vergebung, aber ich brauche dringend deine Hilfe!

      Jetzt muss er Atem holen.

      Das kann nicht sein! Bist du es wirklich, Simon?

      Ein klitzekleines bisschen Freude glaubt er in ihrer Stimme zu hören, und schon packt ihn der Übermut.

      Ne, ich bin bloß ein Namensvetter. Ich sitze auf einer Bank am See, die von der Ornithologischen Gesellschaft spendiert wurde. Ich bin hicks … ein Penner, hicks … meine Weinflasche ist nur noch halb voll und ups … ich bitte rülps … Entschuldigung! … um eine milde Gabe.

      Jetzt ist erst mal Stille im Äther und Tanner befürchtet schon, sie habe aufgelegt.

      Du bist ein Arschloch! Lass mich in Frieden! Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben! Ist das klar?

      Jetzt ist die Reihe an ihm zu schweigen.

      Hast du etwa mit Anna telefoniert? Ja, natürlich! Woher hast du sonst die Nummer bekommen. Sie schnaubt wütend ins Telefon. Deine Anna fand mich, glaube ich, sehr nett. Wir hatten ein sehr schönes Telefongespräch. Auch hat sie mir ein kleines Geheimnis anvertraut.

      Der Köder ist ausgeworfen.

      So, so! Ein Geheimnis hat sie dir erzählt. Das war ja schon immer deine Stärke, den Frauen Geheimnisse aus der Nase zu ziehen.

      Warum nennst du nicht auch noch andere Körperöffnungen, Emmalein? Gerade noch rechtzeitig kann er diese Bemerkung runterschlucken.

      In Marokko hat's wohl nicht so funktioniert, gell, Tanner. Da hast du ja ein schönes Debakel veranstaltet, wie man hört.

      Im Flug abgeschossen! Das konnte sie schon immer gut, deswegen ist sie ja Staatsanwältin geworden.

      Okay, Emma, du hast gewonnen. Ich liege am Boden. Die Möwen hier am See zählen mich schon aus.

      Wieder Schweigen.

      Was hat dir Anna erzählt?

      Also doch angebissen …

      Das erzähle ich dir auf meiner ornithologischen Couch, wenn du dich aufs Pferd schwingst und hierher galoppierst. Bitte! Ich brauche dringend deine Hilfe. Und um was es geht, das kann ich dir nicht am Telefon sagen. Bitte! Heute ist ja Sonntag!

      Schweigen.

      Ich weiß wirklich nicht, warum ich das tue. Wo genau bist du denn?

      Tanner gibt ihr die Koordinaten seiner Parkbank durch, legt sich der Länge nach hin und lässt sein Gesicht von der Frühlingssonne bescheinen.

      Über sich sieht er am blauen Himmel die Kondensstreifen zweier hoch fliegender Flugzeuge. Die Flugzeuge selber sind kaum zu erkennen. Zwei Stecknadelköpfe, die aufeinander zurasen.

      Ob die Piloten einander sehen? Ob die Prima Ballerina schon in der Luft ist? Zwei äußerlich verschiedenere Frauen, abgesehen vom Altersunterschied, als sie und Emma kann man sich kaum denken. Die Tänzerin mit ihrer durchtrainierten Schlankheit und die Rubensfrau, mit ihrer temperamentvollen Weichheit. Einen scharfen Verstand haben sie beide. Und überhaupt, so im Direktvergleich, haben beide viel Gemeinsames. Beide haben klare Prinzipien … ganz im Gegenteil zu dir, Tanner … und können diese, wenn es sein muss, vehement und lustvoll verteidigen. Beide stehen mit ihren Beinen auf dem Boden der Realität, die eine halt mit etwas schlankeren Beinen.

      Debakel hat sie meine Arbeit in Marokko genannt! Die Wahrheit ist es ja, aber muss man das so direkt aussprechen, sagt er zum Himmel über sich.

      Den Himmel von Marokko, den vermisst er. Die unglaubliche Weite. Die Farben. Die Gerüche im Basar. Die kühlen, farbigen Bodenfliesen in seinem Haus in Rabat.

      Die Einladung der marokkanischen Regierung, beim Aufbau eines Büros für internationale polizeiliche Zusammenarbeit mitzuwirken, war damals zu verlockend für ihn gewesen. Er hatte von seiner Arbeit in der Abteilung für internationale Zusammenarbeit gegen Geldwäsche und Drogen die Nase voll.

      Er war es leid, gegen die Übermacht der Großbanken, mit all ihren Verflechtungen des Großkapitals und der Politik, ständig den Kürzeren zu ziehen, zumal er sich mit seiner Sturheit in vielen Kreisen unbeliebt gemacht hatte. Deswegen hat er, ohne lange zu überlegen, die Chance ergriffen, um dem ganzen Mief zu entfliehen. Viele haben ihm sicher nicht nachgeweint.

      Ob