gleicht? – Am ehesten, so will mich immer wieder dünken, gleicht es Bin, der uns nach Peking führt – Peking, das sich nie erreichen läßt.«261
Biographisch gelesen erweist sich Bin oder Die Reise nach Peking als ein weiterer Versuch Frischs, die Forderungen einer bürgerlichen Existenz mit dem Künstlertraum nach dem erfüllten Leben zu vereinigen. Die Sehnsucht ist nicht zu unterdrücken; immer wieder, gesteht der Ehemann seiner Rapunzel, wird er nach Peking aufbrechen, immer wieder wird ihn eine Maja verlocken, doch stets wird er zum ehelichen Herd zurückkehren. Bürgerliche Verhältnisse vorausgesetzt, bleiben Aufbrüche in ein anderes Leben Seitensprünge, Libertinage und Träumerei. Frisch widmete Bin oder Die Reise nach Peking seiner Frau. Das ist nicht zufällig. Unter biographischem Aspekt ist Bin eine Lebensbeichte, der Versuch, sich und seine Lebensnöte der Ehefrau gleichnishaft zu erzählen.262
Im Unterschied zu den vorangegangenen Versuchen sah Frisch in Bin nicht mehr das Schicksal oder die Natur oder den einsamen Kampf mit sich selbst als Ort der Auseinandersetzung und Bewährung. Zum ersten Mal tritt die Abhängigkeit des Ichs von der Gesellschaft ins Zentrum. Das war ein folgenreicher Perspektivenwechsel. Bin ist allerdings, so Hans Mayer, nicht die Utopie einer Gesellschaft, von der aus die eigene kritisiert werden könnte, Bin sei auch keine »satirische Wiederholung der Tageswirklichkeiten im Bilde ihres Gegensatzes«. Bin sei »eine ›empfindsame Reise‹, elegisch, traumhaft, verspielt, zeitweise auch idyllisch … Aber solche Reisen werden nur unternommen, und Bin stellt sich nur ein, wenn es in den ›bürgerlichen Konditionen‹ nicht mehr weitergehen kann.« Weder für den Dichter namens Kilian, der den Zwang des Brotberufs ohne gelegentliche Reise nach Peking nicht erträgt, noch für den Wehrmann, »der bekanntlich noch weniger als irgendein bürgerlicher Mensch jenseits der Chinesischen Mauer herumreisen dürfte«.263
Und nebenbei, in einer »Pinte am Gassenrand«, entdeckt Frisch in Bin auch ein neues poetisches Programm. »Wenn wir nicht wissen, wie die Dinge des Lebens zusammenhängen, so sagen wir immer: zuerst, dann später. Der Ort im Kalender! Ein anderes wäre natürlich der Ort in unserem Herzen, und dort können Dinge, die Jahrtausende auseinanderliegen, zusammengehören, sich gar am nächsten sein, während vielleicht ein Gestern und Heute … einander nie begegnen … Die Zeit, die unser Erleben nach Stunden erfaßt, sie ist eine ordnende Täuschung unseres Verstandes, ein zwanghaftes Bild, dem durchaus keine seelische Wirklichkeit entspricht.« Und er folgert daraus: »Man müßte erzählen können, so wie man wirklich erlebt.« Denn wer das könnte, »hätte noch vieles zu erzählen, denke ich, fast alles«.264
Bin oder Die Reise nach Peking fand großen Anklang in der Presse. Emil Staiger hat mit dem Blick des Freundes und Kenners die literarischen Qualitäten der Erzählung herausgestellt. Aber Staiger betrachtete den Text nur als poetisches Gleichnis für »etwas schlechthin Gültiges«, als Werk des »wahren und imponierenden Max Frisch«.265 Im Rückblick wird deutlich, daß Frisch in Bin erste Versuche zu einem gesellschaftskritischen Schreiben unternommen hatte, Versuche, die er wenig später in seinen ersten Bühnenwerken weiterführte.
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