Das Gesetz des Wassers. Urs Schaub. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Schaub
Издательство: Bookwire
Серия: Simon Tanner ermittelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783857919459
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bestellt einen grünen Tee und lässt sich von Michiko in die Wohnung führen. Das Zimmer, in das sie ihn bringt, ist angenehm karg eingerichtet. In der Mitte ein großes Bett aus Messing. Ein kleiner Schrank, ein kleiner Sessel mit einem Clubtisch, darauf eine Schale mit Bonbons. Neben dem Bett steht eine Bodenvase aus Kristallglas mit einem großen Strauß frischer Iris. Alles ist sehr sauber und nett, wie man das hier in diesem Land eben erwartet. Noch dazu im Schlaraffenland. Nur dass hier nichts kostenlos ist. Einzig die Lampe, die ein weiches Rotlicht ausstrahlt, ist ein Zugeständnis an das Milieu. Michiko bedeutet ihm wortlos, sich zu setzen. Dann verschwindet sie aus dem Zimmer, wahrscheinlich um den Tee zu holen.

      Ob er sich jetzt schon ausziehen soll? Er beschließt zu warten, bis Michiko wiederkommt. Tatsächlich ist es in der Wohnung angenehm kühl, ganz so wie es der türkische Taxifahrer prophezeit hat. Gerade als er sich zu fragen beginnt, was er hier eigentlich tut, öffnet sich die Tür. Michiko serviert ihm anmutig den Tee, lässt souverän ihren Kimono fallen und sagt, dass sie sich jetzt duschen werde. Ob er auch wolle?

      Tanner schüttelt den Kopf. Michiko öffnet eine kleine Tapetentür, die Tanner vorher gar nicht aufgefallen ist. Dahinter befindet sich die Dusche. Michiko schließt die Tür nicht und lässt Tanner ungeniert dabei zuschauen, wie sie sich duscht und sorgfältig einseift. Ihre langen Haare hat sie mit einem schnellen Griff hochgesteckt. Tanner guckt stumm.

      Gefalle ich Ihnen? Sie sind so schweigsam.

      Doch, natürlich, Sie gefallen mir ausgezeichnet, verzeihen Sie, ich bin von der Hitze etwas …

      Sie lacht.

      Natürlich gefällt sie ihm. Sie hat einen perfekten Körper. Ihre Brüste sind für die Klischeevorstellung von einer Japanerin ziemlich groß und wahrscheinlich nicht natürlich gewachsen, aber immerhin haben sie eine Größe, die mit dem Rest ihres makellosen Körpers gerade noch harmoniert. Bei Tanner stellt sich aber langsam das nämliche Gefühl ein, das er schon bei Harumi hatte und das ihn immer beklommen machte. Ein Körper, der in seiner Perfektion eine Art Unnahbarkeit ausstrahlt, die fast schmerzhaft ist. Ein Körper, dessen Linien und Formen man tagelang anschauen kann, aber immer wird er sich entziehen. Es sind Körper, die durch ihre Schönheit eine unsichtbare, aber perfekte Barriere aufbauen. Körper, die eigentlich nicht erotisch sind, die nicht zum Anfassen einladen oder dazu, sich in ihnen zu verlieren. Einzig ihr kleiner, schwarzer Pelz spricht in seiner frechen Struppigkeit eine andere Sprache. Und auch ihr Lachen bricht für Augenblicke ihre perfekte Körperinszenierung. Tanner ist gespannt auf das, was auf ihn zukommt. Michiko hat sich unterdessen trockengerieben und setzt sich unbekümmert um Tanners Gedankengänge auf seinen Schoß, nimmt seine Hand und legt sie sanft, aber bestimmt auf eine ihrer Brüste. Tatsächlich Silikon. Tanner spürt deutlich, wo Natur und Kunst aufeinander treffen. Er seufzt. Sie nimmt es für aufkeimende Lust.

      Langsam, langsam. Zuerst müssen wir über das Geschäftliche reden. Was willst du?

      Bevor Michiko zu Ende gesprochen hat, ertönt in der Wohnung ein fürchterlicher Schrei, der sie in ihrer Bewegung zusammenfahren lässt. Ihre Hand umklammert krampfhaft die seine. Ihre Umklammerung zwingt seine Hand so kräftig um ihre Brust, dass er Angst hat, ihr wehzutun. Aber Michiko rührt sich nicht. Er auch nicht. Das war ein Schrei der höchsten Not und Angst. Oder des Entsetzens. Dieser Schrei hat nichts mit Schlaraffenland zu tun, das ist klar. Er stellt Michiko auf die Füße. Sie lässt es geschehen. Seine Hand will sie aber nicht loslassen. So tritt Tanner mit Michiko an der Hand in den Flur. Vor der Tür gegenüber Michikos Raum steht eine üppige Rothaarige, vollkommen nackt, mit unglaublich weißer Haut, den Mund weit geöffnet, die Augen aufgerissen. Nach der Beschreibung des Taxifahrers kann es sich nur um Odette handeln. Offensichtlich war sie es, die geschrien hat. Nun steht sie starr, als ob ihre weiteren Schreie im Hals stecken geblieben wären. Sie ringt nach Luft, das Gesicht schon gerötet, die Augen treten aus den Höhlen. Gleich wird sie blau anlaufen. Tanner sieht das nicht zum ersten Mal. Entschlossen macht er sich von Michikos Hand los, stellt sich vor die junge Frau und spricht sie sehr energisch mit ihrem Namen an, in der Hoffnung, dass ein direktes Ansprechen das offensichtlich unter Schock stehende Mädchen aus ihrem Atemkrampf befreit. Doch ringt sie weiter nach Luft und ihr schönes Gesicht beginnt sich tatsächlich blau zu verfärben.

      Tut mir Leid, dann muss ich halt doch!

      Er gibt Odette eine kräftige Ohrfeige. Einen Moment lang geschieht gar nichts. Nur Michiko in seinem Rücken, stellvertretend für Odette, stöhnt kurz auf. Odette fixiert ihn erstaunt mit ihren grünen Augen, dann zuckt sie zusammen, lange nach dem Schlag, holt endlich tief Atem und die Tränen schießen aus ihren Augen. Tanner nimmt sie in seine Arme und bittet Michiko um ein Glas Wasser für Odette.

      Er ist tot … plötzlich ist er zusammengezuckt … hat geröchelt, um sich geschlagen … und ist zusammengebrochen. Er ist tot … ich habe nichts gemacht, das heißt … er hat mich gerade ge… und kurz vor seinem Höhepunkt … ist es passiert …

      Nicht sprechen, ruhig atmen, hören Sie, Odette, ganz ruhig atmen. Sie können nachher erzählen. Dass er sie mit ihrem Vornamen anspricht, wundert sie gar nicht. Sie nickt eifrig, japst nach Luft und spricht sofort weiter.

      Er war schon … ein paar Mal hier … er war ein angenehmer Gast … hat immer ein großzügiges Trinkgeld gegeben … er ist in meinen Armen gestorben …

      Michiko kommt endlich mit dem Wasser. Ihr ganzer Körper zittert wie Espenlaub. Tanner gibt Odette das Wasser. Michiko ist immer noch nackt, bedeckt jetzt aber schamvoll Schoß und Brüste mit den Armen. Tanner bedeutet ihr, sie solle sich um Odette kümmern. Sie rührt sich nicht. Tanner nimmt ihre Hände, schüttelt sie energisch, bis sie ihn anschaut. Ihre Augen sind voll ungläubigem Abscheu.

      Michiko, hören Sie mir zu! Kümmern Sie sich bitte um Odette!

      Sie nickt.

      Es wird gegen ihre Panik helfen, wenn sie eine Aufgabe hat.

      Er geht zur Tür und öffnet sie. Ein muskulöser Mann liegt auf dem Bett. Das Zimmer ist genau gleich eingerichtet wie Michikos Raum, nur dass in der Vase ein Strauß gelber Tulpen steht. Der Mann ist Japaner. Körperbau und Haare verraten es sofort. Tanner fasst vorsichtig mit zwei Fingern an die Halsschlagader. Kein Zweifel, der Mann ist tot. Der Körper ist noch warm. Klar, es ist ja eben erst passiert. Aus seinem Mund rinnt gelber Schleim.

      Als sich Tanner wieder aufrichtet, stürmt eine große Frau mit kurzen, blonden Haaren in das Zimmer. In breitestem Schwäbisch erkundigt sie sich, erstaunlich beherrscht, nach dem Geschehen.

      Aha, Claudia, denkt Tanner bei sich.

      Der Mann ist tot. Soeben gestorben. Ich habe nichts angerührt, bloß seine Halsschlagader angefasst. Überzeugen Sie sich selbst.

      Für einen Augenblick fixiert die Blonde ihn scharf. Ihr Gesicht und alles, was man von ihrem Körper sieht – und es ist nicht gerade wenig –, ist übersät mit Sommersprossen.

      Mir genügt es, wenn Sie es sagen. Sie sehen aus, als ob Sie etwas davon verstünden. Ich bin die Claudia. Sind Sie Arzt?

      Tanner schüttelt den Kopf und nimmt die Hand, die sie ihm entgegenstreckt. Eine äußerst angenehme, kräftige Hand. Claudia ist eine erfrischend natürliche Person mit offenem Blick.

      Wenn Sie kein Arzt sind, dann sind Sie Polizist, oder?

      Nein, nein. Das heißt, so was Ähnliches. Übrigens, ich heiße Tanner.

      Schade, dass wir uns unter solchen Umständen kennen lernen.

      Ich gebe Ihnen meine Nummer. Falls die Polizei Fragen hat. Obwohl ich natürlich bis zum Schrei nichts mitbekommen habe. Und jetzt rufen Sie die Polizei, je schneller, desto besser.

      Sofort nestelt sie aus ihrem dünnen Kleidchen ein drahtloses Haustelefon und drückt eine Zahl. Offensichtlich hat sie die Nummer der Polizei einprogrammiert. Das ist bei dem Job wahrscheinlich auch sinnvoll. Nach einer Weile hat sie die Verbindung. Claudia, die Beherrschte, gibt in kurzen Worten eine Zusammenfassung von dem, was im Schlaraffenländleee passiert ist.

      Okay, die Polizei kommt sofort. Ich schlage vor, Sie verschwinden jetzt besser. Ich nehme nicht an, dass