Schulreformer, Ehefrauen, Geliebte, Gräfinnen, Gehilfinnen und sich emanzipierende Frauen, Theologen, Meteorologen, Alpinisten, Physiker, Schönheitstrunkene, Unternehmer, Baumeister, Architekten, Plastiker, Dramatiker, Sprachbastler, Schauspieler, Düngemittelfabrikanten, Flüchtlinge und Vertriebene, Adabeis, Sozialreformer*innen, Jüdinnen und Juden, Protestant*innen, Katholiken, Frontkameraden, Schreibende aller Arten, Kriminelle verschiedener Profession, Priester, Ärztinnen und Ärzte, Dirigenten, Philosophen, Bohemiens, Vagabunden, Abenteurer, Menschenfreunde und Menschenfeinde, Grenzgänger, Manager, Moralisten, Widerstandskämpfer*innen ...
In der „Einführung“ zu seinem neuen Buch bietet Thaler Einblicke in die Motivationen seines Schreibens. Sie machen einen selbstreflexiven Autor sichtbar, der sich nicht nur über die immer prekäre Auswahl seiner Menschenbilder kritische Gedanken macht, sondern auch über jene glatt polierten Bilder Salzburgs, die sich als von mächtigen wahrnehmungslenkenden Instanzen kollektiv eingeschliffene Geschichtskonstruktionen herausstellen. Diesen wollen seine Porträts Paroli bieten. Thaler ist sich der virulenten „Geschichtsvergessenheit“ beziehungsweise des „Schattendaseins“ objektiver Erinnerung unseres Zeitalters bewusst. Er weiß um die schwierig zu erschütternde Mächtigkeit derartig verhärteter und oft ideologiegetränkter Erinnerungskultur und hat ein anderes, wirklichkeitsnäheres „Zeitgewebe“ im Sinn. Dazu braucht es freilich aufmerksame, aufgeschlossene Leser*innen, die befähigt sind, hinter die Fülle von empirischen Daten und Fakten – jeweils den aktuellen Forschungsständen vertrauend (vgl. Literatur- und Quellenhinweise) – zu blicken. Thaler gibt sich nicht mit einer Wirklichkeit zufrieden, die wider besseres Wissen harmonisierend daherkommt. Er hat sich – ein Kind aus einfachsten Verhältnissen – ein Sensorium für jene erarbeitet, die nicht (mehr) im Rampenlicht der Erinnerung stehen oder noch nie im Rampenlicht gestanden sind – aus welchen Gründen immer: Bloßes Vergessen oder doch Verdrängung, oft wohl auch Vertuschung, Zufall oder doch Strategie?
Wie in allen Büchern Thalers dürfen sich die Leser*innen auf einen glasklaren Schreibstil freuen – da gibt es keine Schnörkel und Manierismen. Was Thalers Porträts, seine biografischen und zugleich zeitgeschichtlichen Erkundungen so eindringlich machen, ist nicht nur die Grundsatzentscheidung, uns, den Leser*innen, das biografische Geschehen im historischen Präsens nahe zu bringen, es also als unmittelbar gegenwärtig erscheinen zu lassen und nachvollziehbar zu machen. Es ist auch das G’spür für das Relevante des jeweiligen Lebens zu sehen, also für den roten Faden in einer Biografie, und jeweils jene Achse zu entdecken, die das jeweilige Leben zu einem mehr oder weniger gelungenen beziehungsweise einem mehr oder weniger verpfuschten gemacht hat, zu einem vorbildhaften oder gar verwerflichen Leben. Thalers Bemühungen haben ein geistiges Fundament – seine Überzeugung vom Individuum als einem in alle Richtungen offenen und freien Potenzial an eigenen Voraussetzungen, aber auch vom Individuum als einem Ort geschichtlicher Möglichkeiten und zugleich von Zufällen und Schicksalen. Besonders auffällig ist Thalers Neigung, immer wieder ganz bestimmte Aspekte zu betonen – etwa Kinderschicksale in den Blick zu nehmen, atemberaubende Karrieren, wirtschaftliche Grundlagen und Besitzverhältnisse zu beachten sowie überraschende familiäre Vernetzungen und überraschende private und soziale Beziehungen nicht unerwähnt zu lassen. Auch Kurioses und Herzzerreißendes haben Platz.
Ein Warnbuch? Ein Eye-Opener-Buch? Eine Wissensbereicherung? Ein Sensibilisierungsbuch jedenfalls.
Einführung
Es sind Personen und Naturgewalten, die unsere Welt stets neu gestalten.
Wie in meinen früheren Sammelbänden über Lebenswege und Leidensgeschichten von bedeutenden Pinzgauer*innen und Pongauer*innen betreibe ich auch in diesem Buch eine Art Spurensuche nach Persönlichkeiten, die im Orkus des Vergessens gelandet sind. Denn die Tsunamis an Informationen, die uns täglich überfluten, besonders aber das Gezwitscher (die Twitteria) der „social media“ und des Boulevards übersteigen die Fassungskraft der Aufnahme- und einer dauerhaften menschlichen Erinnerungsfähigkeit. Wir leben in einem Zeitalter der Geschichtsvergessenheit, in dem einige Medien mit ihrem Voyeurismus, den man in Österreich auch als „Lugnerismus“ bezeichnen könnte, dem wahrhaft Wichtigen den Boden entziehen. Gratiszeitungen, die mit ihren Trash-Programmen eine neue Gegenaufklärung betreiben, wetteifern mit den „Seitenblicke“-Programmen der TV-Kanäle zu zentralen Sendezeiten. Doch statt Seitenblicken wäre mehr Tiefblick gefragt!
Das Bundesland Salzburg hat eine Vielzahl von Persönlichkeiten hervorgebracht oder als Landesbürger*innen aufgenommen, die der Entwicklung der Welt einen deutlichen Schub verpasst, also nachhaltige Entwicklungen ausgelöst haben. Diese Menschen mit Vorbildcharakter haben es gewagt, die herrschenden Tabus und abgestandenen Wertvorstellungen eines jahrhundertelang erzkonservativen Fürsterzbistums zu durchbrechen. Sie waren weitsichtig genug, Entwicklungen zu erkennen und zu beschleunigen. Zu ihnen zählen der Pädagoge Franz Michael Vierthaler, der kulturelle Seismograph Österreichs, Hermann Bahr, der Maler Hans Makart, der die Kunst und das Gesellschaftsleben Wiens ein ganzes Vierteljahrhundert geprägt hat; dazu gehören später der Regisseur und Schriftsteller sowie das Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele, Ernst Lothar, der Philosoph des menschlichen Maßes Leopold Kohr, die Vorkämpferin der Frauenemanzipation Irma von Troll-Borostyani und viele Künstler*innen und Geistesmenschen. Sie und viele andere Salzburger*innen, die der Welt so viel gegeben haben, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Manche der hier Porträtierten aber haben durch ihr Handeln großes Unrecht begangen und sind für den Tod vieler Menschen verantwortlich. Sie haben sich zu Unmenschen entwickelt, weil sie sich dem mörderischen Unrechtsregime des Dritten Reiches angedient haben. Daher wird hier das Leben des aus Salzburg stammenden steirischen Gauleiters Sigfried Uiberreither wie auch Adolf Höfles, des Adolf Eichmann von Salzburg, beleuchtet. Auch sie müssen dem Vergessen entrissen werden, weil das Böse auch in unserer Zeit latent vorhanden ist und daher den Anfängen gewehrt werden muss. Dem Verfasser wird manchmal gesagt, er solle doch die unrühmliche Vergangenheit ruhen lassen. Dem muss ich entgegenhalten, dass die Kultur der objektiven Erinnerung in Österreich immer noch ein Schattendasein führt. Sie wird verdeckt von den Schutzschichten der Verdrängung, der Verschleierung und der Verleugnung des Mitwissens. Daher ist es dringend geboten, auch deren Opfer zu benennen, etwa den Schauspieler Leo Reuss, den Schriftsteller Carl Zuckmayer, den Hotelier Isaac Arditti und Hitlers Frontkamerad, den Schriftsteller Alexander Moritz Frey, die allesamt den Verfolgungen des Nazi-Regimes und der Verdrängung der Nachkriegszeit ausgesetzt waren.
Weil es im Bundesland Salzburg so viele Menschen gibt, die als „historisch“ eingestuft werden können, fiel es mir auch diesmal schwer, eine gerechte Auswahl zu treffen. Gewisse Einschränkungen konnten aber leicht vorgenommen werden. Das musikalische Weltgenie Mozart, über das bereits ganze Bibliotheken geschrieben worden sind, habe ich bewusst ausgeklammert. Nicht jedoch Mozarts Ehefrau Constanze, die lange Zeit als geistlos und raffgierig Geschmähte, die Mozarts erste Biografie verfasst hat. Von Salzburgs größtem Lyriker Georg Trakl gibt es eine Fülle von Monografien und literaturwissenschaftlichen Abhandlungen, daher habe ich stattdessen den Leidensweg seiner Schwester Grete aufgezeichnet, der mit dem ihres Bruders schicksalhaft verstrickt ist. Der Literaturgigant Stefan Zweig ist in Salzburg ohnehin eine fest verortete Größe, daher versuche ich, dessen erste Ehefrau