Schulden sind etwas Schlechtes
Wenn nun die Überzeugung »Geld ist Macht« nach und nach schwindet (tut sie es?), dann fordert Sie vielleicht der nächste Gedanke mit aller Kraft heraus: »Schulden sind etwas Schlechtes.«
Betrachten wir dies einmal aus der Nähe.
Schulden sind etwas Schlechtes
Herkömmliche Lebensweisheiten liefern widersprüchliche Aussagen über die Bewertung von Schulden.
Wenn man als Privatperson Schulden hat, gilt dies als etwas Schlechtes. Nimmt man jedoch einen Kredit auf, um ein Haus zu kaufen oder eine Firma zu gründen, dann finden das alle gut. Je höher die möglichen Schulden sind, die man machen kann, als desto »kreditwürdiger« gilt man. Auf der Ebene der kommunalen Verwaltung, des öffentlichen Dienstes, der Landes- und Bundesregierung wiederum gilt diese Form von Kreditwürdigkeit nicht als richtig. Hier hält man Schulden wieder für schlecht!
Wie entwirrt man dieses Netz aus willkürlichen Widersprüchen, das sich um das Thema Schulden rankt?
Die Schulden, die das Geld symbolisiert
Zuerst muß man unbedingt verstehen, daß Geld und Schulden in unserer modernen Wirtschaft, so wie sie heute funktioniert, gleichzeitig erschaffen werden. Es handelt sich, um einen nicht unpassenden Vergleich zu verwenden, um zwei Seiten einer Medaille. Geld ist ein Zahlungsversprechen, ein »Ich schulde Ihnen …« von dem, der das Geld in Umlauf bringt, an den, der es besitzt. Wenn Sie Geld in Ihrem Geldbeutel, Ihrer Hosentasche oder auf Ihrem Bankkonto haben, dann ist Ihre Nationalbank letzten Endes Ihr Schuldner, und Sie haben einen legitimen Anspruch auf die Einlösung dieses Versprechens, seinen materiellen Wert. Wenn Sie selbst ein Zahlungsversprechen ausstellen oder mit Freunden und Kollegen ein paralleles Währungssystem initiieren, wie etwa einen komplementären Tauschkreis (z. B. Talent), dann wird es immer Menschen mit Schulden und andere mit Guthaben geben. Ohne diese Wechselbeziehung gibt es kein Geldsystem! Daß es Schulden gibt, ist von daher weder gut noch schlecht, es ist in jeder Gesellschaft, die ein Währungs- und Zahlungssystem verwendet, die zwangsläufige Folge. Diese Beziehung liegt im Kern unserer globalen Finanz- und Wirtschaftssysteme.
Das Leihen und Verleihen von Geld
Bisher haben wir über die Schuldner-Gläubiger-Beziehung bei neugeschaffenem Geld gesprochen. Das gleiche gilt auch für das Leihen und Verleihen von Geld, das bereits existiert. In diesem Fall wird kein neues Geld der ursprünglichen Währung in Umlauf gebracht, doch unterzeichnen ein Leiher und ein Verleiher auch hier ein Zahlungsversprechen, das dann die Anzahl der schon bestehenden Zahlungsversprechen/Schulden erhöht und damit die im Umlauf befindliche Geldmenge vergrößert. Dieses Zahlungsversprechen wird jedoch nicht im Rahmen des nationalen Systems ausgestellt und taucht darum in den offiziellen Geldmengestatistiken nicht auf.
Wir werden es hier einmal »derivatives Instrument« nennen (auch wenn man diesen Begriff normalerweise für eine enger gefaßte Kategorie von Finanzinstrumenten verwendet), denn hier wird eine Art ›Unterschuld‹ aus der schon bestehenden Geld-/Schuldenmenge abgeleitet.
Dies ist nicht der richtige Moment, um sich in allen Einzelheiten mit derivativen Instrumenten oder dem Grund für deren explodierende Zunahme in den vergangenen Jahren zu befassen. Es geht hier nur darum, daß beim Handeln, Ausleihen und Verleihen nichts von vornherein gut oder schlecht ist, genausowenig wie es gut oder schlecht wäre, sich von einem Freund einen Fernseher oder eine Bohrmaschine auszuleihen oder von einem Nachbarn 10 Euro zu borgen, die Sie dann zurückzahlen, indem Sie dessen Schulden beim Gemüsehändler begleichen. Ihr Zahlungsversprechen an jenen Nachbarn, das dieser wiederum als Wertmittel einsetzt, um sein Gemüse zu kaufen, entspricht im wesentlichen dem, wofür die mit solchen derivativen Instrumenten verbundenen Aktivitäten stehen.
Wo liegen bei Schulden die Probleme?
Oberflächlich betrachtet kommt es bei Schulden zu Problemen, wenn ein Schuldner – jemand, der ein Zahlungsversprechen gegeben hat – nicht in der Lage ist, dieser Verpflichtung nachzukommen. Im täglichen Leben gibt es viele Hinweise auf solche uneingelösten Versprechen und die daraus erwachsenen Konflikte.
Ich möchte jedoch lieber auf die Einstellungen und grundsätzlichen Gegebenheiten hinweisen, die meiner Meinung nach zuallererst zu schlechter Zahlungsmoral sowie Gegensätzen und Konflikten zwischen Gläubiger und Schuldner führen – genau die Lüge nämlich, die wir in diesem Abschnitt entlarven: daß Schulden in der Regel als etwas Schlechtes gelten und darum zu vermeiden sind. Diese weitverbreitete Einstellung führt dazu, daß jeder gleichzeitig versucht, auf dem Kontoauszug im Plus zu sein, was praktisch unmöglich ist. Die Folge davon ist die Entstehung finanzieller Mechanismen, Systeme und Strukturen, die dazu führen, daß eine »smarte« kleine Minderheit Schulden erfolgreich vermeidet – auf Kosten der großen Mehrheit, die immer tiefer in die Verschuldung gerät und darauf hofft, da irgendwann wieder herauszukommen. Dies ist ein typisches Beispiel für eine sich selbst verstärkende Rückkoppelungsschleife, einen Teufelskreis, denn die Meinung »Schulden sind etwas Schlechtes« entwickelt sich so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Am Ende nützt dies weder den Schuldnern noch jener »smarten Minderheit«, denn diese findet sich schließlich im Besitz von immer unzuverlässiger werdenden Versprechen und wertlosen Verbindlichkeiten.
Der Ausweg
Die Lösung ist im Grunde einfach … aber vielleicht nicht so einfach, daß man sie sofort begreifen oder akzeptieren mag. Sie besteht darin, Schulden als notwendiges Gegenstück zu finanziellen Überschüssen zu begreifen, auf jedes Werturteil zu dem Thema also zu verzichten. Dieses Akzeptieren führt zu ehrlicheren Zahlungsversprechen und schafft Raum für Kreativität in der Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger.
Der Schlüssel zu einer Veränderung der Umstände in diesem Sinne wie auch zur Lösung praktischer Probleme liegt darin, genauer hinzusehen und sein Augenmerk auf die Qualität der Schuldner-Gläubiger-Beziehung – vor allem der Beziehung zwischen den beteiligten Personen – zu richten, seien es nun Freunde oder Vertreter eines ansonsten anonymen Geldinstituts. Wie jede andere Beziehung enthält auch diese ein großes Potential für Kreativität – oder Konflikte –, und je mehr Sorgfalt, Zeit und Aufmerksamkeit man darauf verwendet, ihre Qualität zu verbessern, um so gewinnbringender wird sie sich vermutlich gestalten. In guten wie in schlechten Zeiten.
Lüge Nr. 4
Zum Glücklichsein braucht man eine gewisse Menge Geld
Geld führt nicht zwangsläufig dazu, daß man glücklich ist. Dies scheint allgemein akzeptiert zu sein. Eine bestimmte Mindestmenge an Geld ist jedoch notwendig, wenn man glücklich und zufrieden leben will. Wenn Sie so sind wie die meisten Menschen, dann stimmen Sie dem vermutlich auch zu.
Dieser so weitverbreitete Gedanke ist jedoch gefährlich … er sollte wie Zigarettenschachteln einen Warnhinweis enthalten.
Zum Glücklichsein braucht man eine gewisse Menge Geld
Die »gewisse Menge Geld« ist der Anfang vom Ende, ein Betrag, der unaufhaltsam steigt, ohne das darin enthaltene Glücksversprechen jemals ganz einzulösen. Dies ist auch gar nicht möglich. Auf das »Peter-Prinzip«, demzufolge man in der Hierarchie eines Unternehmens so lange aufsteigt, bis man die Grenzen seiner Fähigkeiten überschritten hat, folgt das »Barrs-Gesetz«: Ein bestimmter Geldbetrag, den man für die Verwirklichung eines qualitativen Ziels (wie Glück oder Sorgenfreiheit) für nötig hält, verdoppelt sich in dem Moment, wo man diesen Betrag endlich besitzt! Dafür gibt es gute Gründe. Der Mindestbetrag leitet sich ab aus der Furcht vor künftigem Mangel. Diese Furcht wird durch Erreichen des Ziels (also des entsprechenden Geldbetrags) jedoch nicht gelindert, so daß man das Ziel heraufsetzt, in der Hoffnung, irgendwann schließlich frei zu sein von dieser Furcht.
Die gleiche Einstellung liegt auch vielen wohlgemeinten, aber letztlich nicht funktionierenden Programmen zugrunde, wie sie oft von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank entworfen werden. Die Absicht dabei ist, die Armut in der dritten Welt durch Erhöhung der Mindesteinkommen zu »beseitigen«. Das häufig zu beobachtende Ergebnis: höhere Einkommen, aber weniger Stabilität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in der einheimischen