Obwohl ich vorhin gesagt habe, dass dieses Ruhigwerden euch führen wird, benutze ich dieses schweigende Ruhigwerden nicht dazu, um zu diagnostizieren – es bereitet nur den Raum vor. Es bedeutet einfach, die Tatsache anzunehmen dass es eine Lebendigkeit, ein Lebendigsein innerhalb des Körpers des Patienten gibt. Also warum es nicht herausfordern? Wir bitten es nicht, eine Diagnose zu machen, wir bitten um gar nichts – wir beziehen einfach nur diese Lebendigkeit mit ein. Beim Versuch, meinen Patienten zu dienen, bekomme ich bessere Resultate, wenn ich weiß, dass die Lebendigkeit in ihnen genauso da ist wie in mir. Es geht hier nicht darum, etwas zu lernen. Es geht darum, etwas zu nutzen, einen unbekannten Faktor, der zu eurer Gesundheit und zu der eurer Patienten beitragen wird. Ihr werdet sehen müssen, ob diese unsichtbare, stille Vorbereitung einen Unterschied beim Behandeln macht. Ich bin davon überzeugt, dass es in meiner Praxis einen Unterschied macht und finde es angenehm, so zu arbeiten.
1.6. ENTSPANNE DICH, ES EILT NICHT
DER MECHANISMUS HAT KEINE PROBLEME
Überarbeitete Fassung eines Vortrages, gehalten 1986 im Rahmen eines Grundkurses der Sutherland Cranial Teaching Foundation in Philadelphia, Pennsylvania.
Ich möchte euch gerne eine interessante Geschichte erzählen über eines meiner Erlebnisse mit Dr. Will Sutherland. Während eines Kurses für Ärzte in Denver, Colorado, brachte einer der Teilnehmer einen Patienten zur Beratung mit, der infolge eines Traktorunfalls Epilepsie entwickelt hatte und bei dessen Behandlung er seinem Gefühl nach nicht wirklich weiterkam. Er bat deshalb Dr. Sutherland, diesen Patienten zu untersuchen und zu sehen, was man tun konnte, um ihm zu helfen.
Dr. Sutherland, ein sehr schweigsamer Typ, der nie mehr Worte gebrauchte als unbedingt nötig, untersuchte den Patienten, drehte sich schließlich zum Behandler um und sagte: „Ich denke, Sie sind auf der richtigen Spur, machen Sie einfach mit der guten Arbeit weiter.“ Als Sutherland aufstand, um zu seinen Stuhl zurückzugehen, sagte der Behandler: „Dr. Sutherland, eine kurze Frage bitte. Was würden Sie tun, wenn der Patient einen Anfall hätte, während Sie versuchen ihm zu helfen?“ Dr. Sutherland sagte einfach: „Blockieren Sie ihn.“, und ging weiter. Nun, ich saß zufälligerweise an einem Platz, von wo aus ich die gesamte Zuhörerschaft sehen konnte, und blickte in dreißig verständnislose Gesichter. ‚Blockieren Sie ihn.‘ war alles, was er gesagt hatte. Er erwartete, dass wir zu den Mechanismen unserer Patienten zurückgehen und herausfinden was er meinte. Er war eben ein großartiger Mann, der dir etwas über den Mechanismus beibrachte, indem er es dem Mechanismus überließ, dich zu unterrichten. Wir können also locker und fröhlich sein und aufhören, uns darüber Sorgen zu machen. Wir müssen die Tatsache annehmen, dass das Leben sowohl im Behandler wie im Patienten schon am Wirken ist und wir uns also ebenso gut entspannen können. Wir gehen nirgendwo hin, und eure Patienten ebenfalls da sein. Der Patient muss die Verantwortung übernehmen und bei euch erscheinen. Und die Patienten werden nicht wegrennen, es sei denn, ihr behandelt sie wirklich schlecht. Sie werden da sein und die meisten sind bereit, ein nächstes Mal wiederzukommen. Ich meine es also wirklich: Entspannt euch.
Ihr seid hier in diesem Kurs und verbringt fünf Tage damit, zu lernen, was diese Patienten in ihrem Mechanismus mit sich tragen. Und das ist zufällig das, was auch ihr in eurem eigenen Mechanismus mit euch tragt. Ich sehe keinen besonderen Grund für Eile – dass ihr euch also schnell das in dieser Woche erworbene Wissen zu eigen machen müsst. Akzeptiert einfach die Tatsache, dass ihr schon da seid. Ihr und euer Patient, ihr seid schon am Arbeiten, indem ihr im Inneren all die Dinge tut, die notwendig sind, um das Muster der Gesundheit aufrechtzuerhalten. Patienten haben keine besondere Eile. Sie mögen so tun, als ob sie es eilig hätten, aber ihr Mechanismus ist nicht in Eile, nicht ein bisschen. Es beunruhigt mich nicht, dass der Patient vielleicht für eine weitere Behandlung kommen muss, nur weil ich den Mechanismus nicht so klar gehört habe, wie ich sollte. Vielleicht habe ich nicht ganz die Resultate, die ich eigentlich hätte bekommen sollen. Jedenfalls darf ich diesen Patienten ein weiteres Mal sehen. Also kann ich mich entspannen, es genießen und versuchen, ausgehend von dem, was vor mir liegt, zu arbeiten.
Die Mechanismen innerhalb der Körperpsychologie haben keine Probleme – gar keine. Im wahrsten Sinne des Wortes arbeiten sie in jedem von uns, so gut sie können. Sie arbeiten, um uns lebendig zu erhalten; sogar wenn sie sich ein Problem zugezogen haben – durch einen Unfall, ein Geburtstrauma oder ein umweltbedingtes Muster – und ihr Mechanismus nicht ganz im Einklang ist mit dem, wie er wirklich sein sollte, liefern sie die Lösung für dieses Problem. Einige Probleme benötigen Hilfe von außen: eine Operation, komplizierte Medizin oder andere zusätzliche Hilfe ist erforderlich. Aber der Mechanismus selbst ist sich dessen nicht bewusst. Wenn er irgendein Dysfunktionsmuster in sich hat, so hat er auf sehr ruhige Weise auch die Werkzeuge, mit denen er es zulässt, wieder korrigiert zu werden. So sollten wir, die Behandler, willige Diener sein, die diesen Mechanismus im Patienten anschauen und ihn bei seinem Bemühen, sich selbst zu helfen, unterstützen.
Der Mechanismus selber wird uns unterrichten. Ja klar, Patienten haben Probleme – sonst kämen sie nicht in unsere Praxis. Aber wir müssen uns nicht beeilen oder uns abhetzen, um herauszufinden, was los ist und was nicht, wohin es geht, und was es tut. Wir müssen still die Tatsache akzeptieren, dass sowohl der Behandler als auch der Patient lebendig sind und funktionieren; und die Spielregeln für dieses Spiel sind in den Mechanismus des Patienten eingebaut. Patienten denken nicht auf diese Weise. Sie denken an Symptome, sie denken an Leiden, sie denken dies, das und was auch immer – aber der Mechanismus leidet nicht, er tut still und leise seine Arbeit. Wenn es ein Dysfunktionsmuster gibt – z. B. ein Problem des okzipito-mastoidalen Bereiches in der Schädelbasis – Mensch, das ist tatsächlich ein Problem. Aber diese Dysfunktion zwischen Os occipitale und Pars mastoideus realisiert nicht, dass sie ein Problem ist. Sie ist zu beschäftigt damit, eine okzipito-mastoidale Dysfunktion zu sein. Also müssen wir zu dieser Dysfunktion gehen und sie ruhig bitten: „Schau, es kann sein, das du das Leben so genießt, aber der Körper, in dem du lebst, genießt es nicht so sehr. Nun, willst du nicht erwägen, mir zu erlauben, dich mit meinen Händen so zu berühren, dass du deinen Zustand änderst und aufhörst, ein sogenannter Dysfunktionskomplex zu sein?“
Wir besitzen das Recht, das Privileg, und in uns selbst den Mechanismus, diese okzipitomastoidale Dysfunktion im Patienten zu verstehen. Wir haben einen okzipito-mastoidalen Mechanismus in unserem eigenen Kopf, der vielleicht keine Dysfunktion aufweist; aber wir können diesen Mechanismus, den wir studieren, von uns heraus begreifen. Und wir werden ihn sicherlich noch besser verstehen, sobald wir unsere Hände auf die Person, die zu uns kommt, legen.
Genau die Mechanismen, die gesund werden sollen, sind auch die, die Gesundheit ausdrücken können. Sie arbeiten und sind in ständiger Bewegung; sie arbeiten stets auf das gleiche Ziel hin, das auch in uns ist. Wir kämpfen – wir leben – um Gesundheit in uns selbst auszudrücken. Alles, worum man uns bittet, alles, was der nächste Patient, der unsere Praxis betritt, zu uns sagen wird, ist: „Ich möchte gerne gesund sein, Doktor, und es ist mir gesagt worden, dass Sie die Mechanismen in sich selbst und mir verstehen, die es mir erlauben werden, zur Gesundheit zurückzufinden.“ Wir müssen uns dabei nicht beeilen. Wir können antworten: „Für die heutige Behandlung haben wir X Minuten. Was möglich ist, werden wir tun. Wir werden eine kleine Anregung hier geben und eine kleine Anregung da; und dann nehmen Sie das mit nach Hause und lassen es arbeiten. Leben Sie in Ruhe Ihr tägliches Leben, befolgen Sie ein paar Vorschläge, kommen Sie nächste Woche wieder, und wir werden weitermachen in unseren Bemühungen, uns gegenseitig zu helfen.“ In Stille verbindet sich der Patient sozusagen mit dem Mechanismus in mir, und in Stille treffe ich mich mit dem Mechanismus im Patienten. Wir versuchen in aller Stille in einer Atmosphäre zu arbeiten, in der wir Ideen und Funktionsmöglichkeiten austauschen, und dann gehen wir ruhig von dort aus weiter. Wenn ihr von diesem Kurs nach Hause geht, werden all diese Mechanismen in euch an den Mechanismen in den Patienten arbeiten; und euch beiden wird es Spaß machen. Alles Gute.