Die Entdeckung der Photovoltaik
»Sustained yield« im Dschungel
»… ein dauerhaft bewohnbarer Planet«
DREIZEHN ERDPOLITIK II: DER GROSSE WURF
EINS
»… EINE ANGEBORENE FÄHIGKEIT«?
Prolog
Die Ernte des Vorjahres war mager ausgefallen. Schon im März 2008 hatte in den Dörfern der Dürregebiete im westlichen Senegal die soudure eingesetzt. Das französische Wort für Schweißnaht, Lötstelle oder – im übertragenen Sinn – für etwas, was überbrückt werden muss, hat im frankofonen Afrika einen besonderen Beiklang. Es bezeichnet die Lücke zwischen dem Zeitpunkt, wo in den Dörfern die Vorräte aus der letzten Ernte zur Neige gehen, und dem Beginn der neuen Ernte. Ngekh sagt man in der Landessprache. Erfahrungsgemäß dauert diese Periode der Mangelernährung von Anfang Juni bis Mitte September. 2008 aber ließ die Regenzeit auf sich warten. Erst spät im Oktober kamen die ersten Früchte der neuen Ernte auf den Tisch.
In vielen Regionen Afrikas wiederholen sich Jahr für Jahr Szenen wie diese: Nach der Ernte füllt jede Familie lederne Säckchen mit Hirse, Gerste oder Reis. So kühl und so trocken wie möglich deponiert sie diese im hintersten Winkel ihres Speichers. Was die Bauern da für später zurücklegen – als Reserve vorhalten –, ist das Saatgut für das kommende Jahr, ihre Lebensversicherung, die einzige, die sie haben. Unsichtbar für begehrliche Blicke, unerreichbar für hungrige Mäuler, bleiben die Säckchen liegen. Auch dann noch, wenn die Erträge der letzten Ernte aufgezehrt sind.
Afrika ist ein großer Lehrmeister. Die menschliche Gemeinschaft, so sagt man hier, bestehe aus denen, die vor uns da waren, denen, die hier und heute leben, und denen, die nach uns kommen. Afrika erzieht zur Resilienz. Das ist die Fähigkeit, Schläge aller Art von sich abfedern zu lassen und Widerstandskräfte zu mobilisieren, um Perioden der Entbehrung nicht nur zu überstehen, sondern aktiv zu überwinden und dabei Lebensmut, Lebensfreude und Freundlichkeit zu bewahren und zu stärken. Die Hollywood-Ikone und Darfur-Aktivistin Mia Farrow sprach von der Resilienz der Seele. Das Wort lässt sich auch mit Unverwüstlichkeit übersetzen. Diese Eigenschaft werden wir in Zukunft dringend brauchen, und zwar überall auf der Welt.
In Zeiten von Dürrekatastrophen – wie in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts – zieht sich die soudure unerträglich lange hin. Dann lautet die eiserne Regel der Überlebenskunst: Bevor du die Rücklagen an Saatgut antastest, verkaufe alle deine Habseligkeiten. Schlachte dein Rind, deine Ziegen. Schicke deine Kinder zum Arbeiten in die Stadt. Geh selbst wandern, um anderswo etwas Geld oder Naturalien zu verdienen. Aber bewahre dein Saatgut. Erst wenn der Hunger lebensbedrohlich wird, hol das Säckchen hervor. Und dann denk lange darüber nach, ob du es öffnest. Wenn die Familien im Sahel und anderen Regionen Afrikas anfangen, ihre Reserven für die kommende Aussaat aufzuzehren, stehen sie am Abgrund. So begann Mitte der achtziger Jahre auf den Straßen und Pisten der Sahelzone ein Exodus, den viele nicht überlebten. Reporter und Helfer berichteten damals, wie Bäuerinnen ihr letztes Säckchen hervorholten und die Hirsekörner mit stolzer Gebärde, als wären es Diamanten, vor ihnen auf den Tisch häuften.
Im Dezember 2008 hörte ich Adama Sarr zu. Der junge Koordinator einer kleinen Nichtregierungsorganisation in einer Trockenregion des Senegals war zu einer Vortragsreise nach Deutschland gekommen. Jeden Abend erzählte er vor einem kleinen Publikum von der soudure. Wie ist unter dem bedrohlichen Vorzeichen des Klimawandels der Teufelskreis des chronischen Hungers zu durchbrechen? Sarr berichtete von den Aktivitäten in den zwölf Dörfern, in denen sein Netzwerk aus Kleinbäuerinnen, Viehzüchtern und Dorflehrern arbeitet. Wie die Mitglieder den Baobab, den Lebensbaum Afrikas, schützen, neue Bäume pflanzen, Hecken anlegen, um die Kulturen vor den heißen Winden zu schützen, wie sie Kleinstkredite beschaffen, den Bau von Kochherden anleiten, welche die offenen, holzfressenden Feuerstellen ersetzen, wie sie Kompostgruben einrichten, Brunnen bohren, die Menschen alphabetisieren. Was das Saatgut angeht, propagiert die Gruppe die Rückkehr zu traditionellen lokalen Kulturpflanzen, den einheimischen Hirsesorten beispielsweise. Denn das importierte industrielle Saatgut ist meist hybrid. Das heißt, es ist gar nicht mehr von selbst keimfähig, also unbrauchbar für die Aussaat.
Welche Vision steht hinter diesen Anstrengungen der senegalesischen Bauernorganisation? In dem Infoblatt, das ich von dem Vortragsabend mit nach Hause nahm, fand ich sie formuliert: accéder à un développement durable. Zu einer nachhaltigen Entwicklung gelangen.*
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Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden. Zeitlose Weisheit und wunderbare Metapher für Nachhaltigkeit. Sie stammt freilich nicht aus Afrika, sondern aus der Feder Goethes. Der Dichter und Minister eines verarmten deutschen Zwergstaates hat sie aus seiner unmittelbaren Umwelt geschöpft.