Wirtschaft, die arm macht. Horst Afheldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Afheldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783888979194
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der Bevölkerung zu sorgen. Hinreichende Masseneinkommen sind auch die Voraussetzung dafür, dass die großen und kleinen Unternehmen ausreichende Gewinne machen können. Ohne diese Gewinne gedeihen die großen Vermögen auch nicht. Denn große Vermögen entstehen durch Verkauf von Massen an Gütern oder Dienstleistungen. Und nur Massen von kaufkräftigen Kunden kaufen Massen von Gütern und Dienstleistungen. Ohne millionenfache, ja milliardenfache hinreichend kaufkräftige Nachfrage wäre Bill Gates heute nicht der reichste Mann der Welt, und die Brüder Albrecht (Aldi) gehörten nicht zu den reichsten Deutschen.

      Doch die Hoffnung, das Wirtschaftssystem werde sich deshalb von alleine in Richtung auf eine Begünstigung der unteren und mittleren Schichten einregulieren, dürfte trügen. Denn die einzelnen im System handelnden Akteure sind als Marktteilnehmer an die strengen Kriterien des Wirtschaftssystems gebunden, zu denen Effizienz und Kostenminimierung zählen – ebenso wie das Prinzip, Steuern zu vermeiden und Verluste der Allgemeinheit aufzuerlegen. Wer würde denn im »Ernstfall« als Manager freiwillig Millionen Euro an das Finanzamt abführen, statt seinen Firmensitz »legal« in eine Steueroase zu verlegen und die gesparten Millionen in seine im harten Existenzkampf steckende Firma zu investieren? Ist der von den Anteilseignern bestellte Manager nicht geradezu verpflichtet, so zu handeln – auch gegenüber den Arbeitnehmern seines Unternehmens? Denn die Konkurrenz tut das ja auch!

      Aber so zwingend das System im für Kapital und Waren offenen Weltmarkt auch ist: Wenn schließlich alle so handeln, verhungert zuerst der Staat – und mit ihm die öffentliche Ordnung. Doch ohne öffentliche Ordnung auch keine Wirtschaft, jedenfalls keine liberale.

      Die große Umverteilung

      Die jetzt seit mehr als zwei Jahrzehnten sich immer weiter öffnende Schere zwischen den Arbeitseinkommen und den Einkommen aus Unternehmen und Vermögen musste zwangsläufig zu einer sehr unterschiedlichen Verteilung der Vermögen führen. Zum einen bringt Vermögen Zinsen, und Zinsen bringen Zinseszinsen. Arbeitserlöse dagegen wachsen nicht im Zinseszins-Rhythmus. Im Gegenteil, sie kamen unter den kombinierten Druck der (natürlichen) Ersetzung von Arbeit durch Kapital und der durch den offenen Welthandel importierten niedrigen Welt-Löhne.73 Und sie verloren noch einmal durch die politischen Entscheidungen, die ihnen allein die Lasten des Sozialsystems und den Löwenanteil der Steuern zuschoben.

      Die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte 1998 eine Studie von Claus Schäfer, die folgende Feststellungen traf und belegte:74

       Die Steuerprogression ist bei höheren Einkommen nur noch schwach ausgeprägt

       Arbeitnehmerhaushalte wurden zunehmend stärker belastet als Selbstständigenhaushalte

       Belastung durch Sozialabgaben trifft Niedrigeinkommen besonders stark

       Legale Steuervermeidung begünstigt hohe Einkommen

       Einkünfte zwischen 250 000 und 300 000 DM zahlen z.B. effektiv 13% Steuer

       Zunehmende Steuerhinterziehung

       Steuerlast auf Einkommen im internationalen Vergleich gering

       Beitrag der Lohnsteuer zum Gesamtsteueraufkommen 1960 zwölf Prozent, heute 33%

       Unternehmen tragen heute nur noch 17% zum gesamten Steueraufkommen bei

       Gewinne von Kapitalgesellschaften 1980 mit 34%, 1993 mit 18% belastet

       Duales Steuersystem: wirksame Progression bei Lohnsteuer, Steuervermeidungsmöglichkeiten bei Gewinneinkommen

       Bislang kein volkswirtschaftlicher Nutzen der Steuerentlastungspolitik.

      Das Ergebnis kann nicht überraschen: »Die wohlhabendere Bevölkerungshälfte in Westdeutschland [besitzt] etwa sieben Zehntel des Gebrauchsvermögens … Das wohlhabendste Bevölkerungsfünftel nannte sogar mehr als 60 Prozent des Geldvermögens sein Eigen.« Sechs Prozent der Bevölkerung besaßen in den 90er Jahren den größten Teil der Betriebsvermögen.75

      Beharren auf dem bisherigen Verteilungspfad würde die in den auseinanderstrebenden (roten und grünen bzw. grauen und Sternchen-) Kurven der Grafik C sichtbar werdende Spaltung unserer Gesellschaft verstärken und in die Zukunft verlängern. Flexibilisierung der Lohnabhängigen-Einkommen der unteren Schichten nach unten, weitere Steuersenkungen für Unternehmen und obere Einkommen, »um durch Wachstum der Wirtschaft Arbeitsplätze zu sichern«, würden diesen zerstörerischen Trend noch verstärken und so Wirtschaft und Gesellschaft bedrohen. Denn eine Gesellschaft zerbricht, wenn die Ungleichheit ihrer Mitglieder zu groß wird. Bei welchem Grad von Ungleichheit dieses Maß erreicht wird, darüber kann man streiten. Viele wirtschaftliche, soziologische und psychologische Faktoren spielen hier eine Rolle. Wachsende Ungleichheit in Gesellschaften, in denen auch die unteren Schichten am wachsenden Wohlstand ein Stück weit mit beteiligt werden, ist weitaus weniger explosiv als wachsende Ungleichheit, bei der die oberen Einkommen mehr und mehr gewinnen, während die mittleren und unteren Schichten immer tiefer absinken. Genau dieser gefährliche Typ entsteht aber zur Zeit im »Sozialstaat Bundesrepublik«.

      Je später dieser Streit ausgefochten wird, desto schlechter stehen die Chancen für die Anbieter von Arbeit, einen angemessenen Anteil am erarbeiteten Sozialprodukt gewinnen zu können. Denn je weniger die Arbeit nachgefragt wird, um so geringer ist ihre Marktmacht.

      »Angesichts dieser Verhältnisse ist es doch seltsam, daß nie daran gedacht wird, das Fehlen der Erwerbsarbeit zur Grundlage von Zukunftsüberlegungen zu machen, anstatt so viel unfruchtbares und gefährliches Leid hervorzurufen, indem man ihr Fehlen leugnet und als einfaches Zwischenspiel darstellt, das man ignoriert oder auszugleichen, vielleicht sogar zu unterdrücken vorgibt.«76

      schrieb Viviane Forrester 1997. Geändert hat sich an dieser Verdrängung eines Kernproblems aber bis heute fast nichts.

      Bevölkerungsabnahme – Bedrohung oder Chance?

      Abnahme der Bevölkerung ist keine Katastrophe

      Meinhard Miegel ist den möglichen Folgen eines Bevölkerungsrückgangs in m.E. sehr überzeugender Weise nachgegangen. Er stellt fest:

      »In vierzig Jahren lebten [ohne Zuwanderung] in Deutschland noch etwa ebenso viele Menschen wie kurz vor dem Ersten Weltkrieg, und 2080 wäre Deutschlands Bevölkerung mit vierzig Millionen – auf einem wesentlich kleineren Territorium – so zahlreich wie zur Reichsgründung 1871. Auch wäre es immer noch so dicht besiedelt wie derzeit Frankreich oder Polen.«77

      Ich meine, ein solcher Rückgang der Bevölkerungsdichte könnte sogar die Lebensqualität erheblich verbessern. Vorausgesetzt, Staat und Wirtschaft stellen sich rechtzeitig auf diese Entwicklung ein.

      Probleme könnte aber der sich verändernde Altersaufbau der Gesellschaft bereiten. In 40 Jahren werden in der BRD (ohne Zuwanderung) voraussichtlich knapp 64 Millionen Menschen leben. Davon werden rund 45% (29 Millionen) im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 59 Jahren sein. Das sind 16 Millionen Erwerbsfähige weniger als heute.78

      Da die sozialen Sicherungssysteme auf den Abgaben für abhängige Beschäftigung beruhen, entsteht so ein Deckungsloch. Das ist für die Sozialsysteme in der heutigen Form, in der alle Lasten den abhängig Beschäftigten zugeschoben werden, eine Katastrophe. Und so wird die Bevölkerungsabnahme auch diskutiert.

      Eine bemerkenswerte Allianz aus Industrie und »antirassistischen Linken« sieht eine Lösung dieses Bevölkerungsproblems in der Zuwanderung. Die einen suchen besonders qualifizierte und besonders billige Arbeitskräfte, die anderen sehen in möglichst großer Freizügigkeit einen besonders hohen Wert. Doch wie Miegel zeigt, ist Zuwanderung keine Lösung:

      »Die Zuwanderung darf nicht zu einer zusätzlichen Belastung der ohnehin schwächer werdenden einheimischen Bevölkerung führen, das heißt, sie muss den Ansässigen nützlich sein und darf ihre Integrationsfähigkeit nicht überfordern. Zugleich darf sie aber auch nicht die Entwicklungschancen