Was darüber aber vergessen wird, ist der Patient, der Beitragszahler. Und darum geht’s. Deshalb heißt auch mein neues Buch: ›Geldmaschine Kassenpatient‹. Der ist nämlich die sprudelnde Quelle, er zahlt ein ins Solidarsystem. ›Einer für alle, alle für einen.‹ Aber wir müssen uns mal fragen, funktioniert das überhaupt noch? Ich sage, wir haben kein Solidarsystem mehr! Der Staat bedient sich bei unseren Beiträgen und verwendet das Geld für andere Zwecke. Aus diesem Topf bedienen sich mittlerweile alle, nur der Patient bleibt übrig und steht da als Depp! Wenn er krank ist, muss er sich entschuldigen, dass er was braucht und Kosten verursacht. Er wird nur so lang gut bedient, solang aus seiner Krankheit Geld zu ziehen ist. Und das wird immer knapper, wenn einer krank ist, dazu kommt dann noch eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent auf Arzneimittel, die sackt der Finanzminister ein – auf Katzenfutter sind’s nur 7 Prozent. In keinem anderen Land der Welt ist die Umsatzsteuer auf Arzneimittel dermaßen hoch! Aber ich soll’s Maul halten und zahlen. Ich finanziere meinen eigenen Untergang als Patient. Die Kassenpatienten sind die rechtlosen Finanziers dieses Systems, das Melkvieh! Und die Ärzte haben damit kein Problem, solang sie ihre Kohle kriegen. Lieber biedern sie sich an, zum Beispiel bei ihrer KV.
Es gibt 17 Landes-KVen und eine Bundes-KV. Und die verschlingen schon mal einen Batzen für ihre eigene Bürokratie, und üppig ist natürlich auch die Ausstattung für die Kassenarzt-Funktionäre. Die KV ist ein Selbstbedienungsladen, dabei ist sie doch eine Körperschaft öffentlichen Rechts und nur Treuhänder unserer Gelder. Aber das interessiert die nicht, die Geldpipeline wird an uns vorbeigeleitet. Ungeprüft! Die Aufsichtsbehörde ist die Politik, also die Sozial- und Gesundheitsministerien des jeweiligen Bundeslandes. Aber eine Kontrolle findet überhaupt nicht statt! Da wird gewirtschaftet nach Gutsherrenart, und die Ärzte starren nur darauf, wie wird verteilt, welche Berufsgruppe kriegt zu viel, welche zu wenig! Doch alle sind sich darin einig, es ist nie genug!« (Ein Hausarzt verdient im Monat netto um die 8.000 Euro. Pro Patientenkontakt wendet er im Durchschnitt 7,8 Minuten auf. Deutschland wendet im internationalen Vergleich am wenigsten Zeit auf für die Zuwendung des Arztes zum Patienten! Anm. G.G.)
»Und Achtung, jetzt werd ich aggressiv! Die Kassenärzte lassen sich mit ein paar finanziellen Anreizen ruhigstellen und liefern dafür uns Patienten gnadenlos ans Messer. Ohne mit der Wimper zu zucken, oder auch weil sie zu blöd sind, einen Vertrag richtig zu lesen, unterschreiben sie ihn und verpflichten sich, nach dem Sozialgesetzbuch V zu arbeiten. Das heißt dann im Klartext, dass sie an uns die sogenannte WANZ-MEDIZIN vollziehen. Das Sozialgesetzbuch V regelt, auf welchem Niveau die medizinische Behandlung von Kassenpatienten zu erfolgen hat. Sie muss ›WIRTSCHAFTLICH, AUSREICHEND, NOTWENDIG und ZWECKMÄSSIG‹ sein. Das klingt auf den ersten Blick sogar vernünftig, nur, wer definiert das? Der Arzt jedenfalls nicht! Er bekommt ein Budget vorgeschrieben, und bei dessen Überschreitung drohen ihm Regress und Insolvenz im schlimmsten Fall! Dazu verpflichten sie sich, das ist bindend, das wird überprüft! Und dafür bekommen sie dann ihre Abschlagzahlungen monatlich, wie ein Gehalt, und ein halbes Jahr später ihre Abrechnung. Damit sind sie zufrieden, und mit Schnäppchen, wie den ›IGeL-Leistungen‹, privat zu bezahlende, ›individuelle Gesundheitsleistungen‹, die der kommerzfreudige Mediziner dem Kassenpatienten anbieten darf, egal ob sie zweckmäßig oder notwendig sind oder nicht.
Das ist nicht das Bild, das ich mir von einem Arzt mache. Ich will nicht, dass der Arzt meines Vertrauens sich an mir ein Zubrot verdient und dass er sich vorschreiben lässt, was und wie viel er mir als Kassenpatient verordnen darf, und dass sich die Medizin nach Vorgaben zu richten hat, statt selbst zu bestimmen, wie die Behandlung sein muss. Die WANZ-MEDIZIN gehört verfassungsmäßig schon längst auf den Prüfstand! Sie wirkt sich besonders schädlich ausgerechnet auf diejenigen aus, die die Schwächsten sind. Auf die Behinderten. Sie werden für den Arzt zum Problem, bedrohen sein Budget, seine Existenz. Es gibt zahllose Behinderte, die monatelang um die Bewilligung notwendiger Hilfsmittel kämpfen müssen, oder sich, weil nur das Billigste verordnet wird, zum Beispiel mit unbrauchbaren Inkontinenzvorlagen behelfen müssen, die zum Wundsein führen, zu Verunreinigungen von Wäsche und Bett usf. Es gibt massenhaft Beispiele über die Auswirkungen auf die Betroffenen. Ich kann Ihnen später noch Geschichten dazu erzählen.
Also, je mehr ich erfahren habe, umso mehr hatte ich das Gefühl, das kann doch nicht wahr sein, ich platze, mein Hirn platzt! Ich musste das aufschreiben, und so ist das erste Buch ›Der verkaufte Patient‹ entstanden. Ich wollte nur eins: der ganze Skandal muss unter die Leute! Da dachte ich immer noch, die armen Ärzte, wir müssen was für die tun, damit sie wieder richtige Ärzte sein können. Dann hab ich zu meinem Mann gesagt, okay, wir mieten das Olympiastadion, ich will eine große Aufklärungsveranstaltung machen. 30.000 Plätze haben wir gemietet und gehofft, dass so viel Karten dann auch weggehen. Es war eine gigantische Summe zu zahlen, wenn es in die Hose gegangen wäre, dann hätte es geknallt bei uns! Ich hab mir dann die Unterstützung der bayerischen Hausärzte gesichert. Sie haben’s in ihren Praxen bekannt gemacht, und am Ende war es so, dass jeder einen Bus mit seinen Patienten vollgemacht hat, sodass am 7. Juni 2008 dann tatsächlich 28.000 Menschen ins Olympiastadion gekommen sind! Es war sogar berittene Polizei da, ich fühlte mich wie in den 70ern. Aber es war eine großartige Veranstaltung mit vielen Reden und viel Applaus. Es waren auch Medien da, der Bayerische Rundfunk hat gefilmt, aber sie werden es nicht glauben, nichts wurde berichtet hinterher! Kein Sterbenswörtlein. Auch nicht von der Presse. Als Einzige hat eine Zeitung aus Südtirol was gebracht. Und ich hab am 13. September 2009 noch mal so eine Veranstaltung im Olympiastadion gemacht, wieder mit den Ärzten, und darüber wurde dann für eine Minute in der ›Tagesschau‹ berichtet. Na, da war’s mir klar, da hab ich dann endgültig gewusst, ich bin hier irgendwo, wo niemand will, dass das durchsickert und dass die breite Öffentlichkeit erfährt, wie man sie verarscht.
Damals ist auch die Bürgerinitiative Schulterschluss e.V. entstanden – inzwischen sind es fast 700 Bürgertreffs bundesweit –, es sollte ein Schulterschluss zwischen Ärzten und Patienten sein. Und dann ruft mich ein Funktionär an und sagt: ›Es hat geklappt! Das haben wir erreicht durchs Olympiastadion.‹ Was geklappt hatte, war Folgendes: Sie bekamen ihren ›Hausarztvertrag‹ sprich, mehr Geld. Statt circa 40 Euro ›Regelleistungsvolumen‹ bekamen sie jetzt 84 Euro für jeden Patienten, der sich in den Hausarztvertrag einschreibt. Lockmittel war der Erlass der Praxisgebühr durch die Kasse – das war übrigens auch noch so eine Schweinerei der AOK, die quasi mit diesem Versprechen massenhaft neue, übergewechselte Mitglieder in ihre Kasse gezogen hatte. Und ein Jahr später hat sie alles wieder rückgängig gemacht! Jedenfalls, es kam dann sofort eine Flut von Ärzten zu unseren Bürgerstammtischen in Bayern, die haben Zettel verteilt und gesagt: EINSCHREIBEN, EINSCHREIBEN! Und als sich dann wahnsinnig viele Patienten eingeschrieben hatten, war plötzlich die Ärzteschaft nicht mehr zu sehen, nicht mehr interessiert an Aufklärung, an Vorträgen, Bürgerstammtisch und Schulterschluss. Sie waren die Profiteure und damit genug! Sie haben unsere Plakate abgehängt in ihrer Praxis und waren lammfromm.
Ich konnte das anfangs gar nicht glauben, dass die Ärztefunktionäre mich und die Patienten nur für ihre Zwecke benutzt haben. Sie haben mich vorn hingestellt als Patientenvertreterin und gesagt, mach mal. Und ich habe gemacht. In meiner idealistischen Verblendung konnte ich leider nicht erkennen, dass sie die Sache einfach umgedreht hatten, damit für sie eine Geldquelle daraus wird. Die Ärzte klammern sich völlig abartig ans Geld! Aber sie haben mich nicht umsonst reingelegt, das zahl ich denen heim! Ich sag Ihnen, ich habe in eine Schlangengrube geblickt. Ich konnte erst die Schlangen überhaupt nicht erkennen. Dann bin ich reingestiegen in die Grube, und was ich da gesehen habe, ist mir vollkommen fremd gewesen. Inzwischen bin ich sechs Jahre in der Schlangengrube, ich kann genau die Formen und Muster der einzelnen Schlangen erkennen.