Heute klingt Roland Griffiths wie ein Wissenschaftler, der sich hingebungsvoll seiner Forschung widmet – oder vielmehr wieder zu ihr zurückgefunden hat. «Ich habe Ihnen ja geschildert, dass ich mich von meiner Arbeit abgekoppelt fühlte, als ich zu meditieren begann, und überlegte, sie ganz aufzugeben. Ich würde sagen, ich verfolge jetzt einen ganzheitlicheren Ansatz als je zuvor. Ich bin jetzt mehr an den großen Fragen, den existenziellen Wahrheiten und dem Wohlbefinden interessiert, dem Mitgefühl und der Liebe, die aus diesen Praktiken entspringt. All das bringe ich ins Labor mit. Und es fühlt sich großartig an.»
Der Gedanke, dass wir uns mystischen Bewusstseinszuständen jetzt mit den Mitteln der Wissenschaft nähern können, beflügelt Roland Griffiths tagtäglich. «Wenn man als wissenschaftliches Phänomen einen Zustand erzeugen kann, bei dem siebzig Prozent der Leute sagen, sie hätten eine der bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens gehabt … das ist für einen Wissenschaftler einfach unglaublich.» Für ihn liegt die Bedeutung des Ergebnisses von 2006 in dem Beweis, «dass wir jetzt prospektive Studien [von mystischen Bewusstseinszuständen] durchführen können, weil wir diese mit hoher Wahrscheinlichkeit hervorrufen können. Damit bekommt die Wissenschaft richtig Aufwind.» Er glaubt, dass die Arbeit mit Psilocybin der wissenschaftlichen Forschung einen ganz neuen Bereich des menschlichen Bewusstseins erschlossen hat. «Ich betrachte mich als ein Kind in einem Süßwarenladen.»
Das Risiko, das Roland Griffiths 1998 bei seiner Karriere einging, als er beschloss, sich der Erforschung von Psychedelika und mystischer Erfahrung zu widmen, hat sich bereits ausgezahlt. Einen Monat vor unserem Frühstück hat Griffiths den Eddy Award vom College on Problems of Drug Dependence erhalten, den vielleicht renommiertesten Lebenswerk-Preis auf diesem Gebiet. Sämtliche Ernennenden führten Griffiths‘ psychedelische Arbeit als einen seiner bedeutendsten Beiträge auf. Das Feld dieser Arbeit hat sich seit der Publikation von 2006 erheblich ausgeweitet; bei meinem letzten Besuch an der Hopkins University im Jahr 2015 arbeiteten im Labor mehr als zwanzig Leute an verschiedenen Studien zu psychedelischen Themen. Seit Spring Grove gab es keine so starke institutionelle Unterstützung für die Erforschung von Psychedelika, und noch nie hat eine Einrichtung vom Ruf der Hopkins University so viele Mittel für die Untersuchung mystischer Bewusstseinszustände eingesetzt.
Das Hopkins-Labor zeigt weiterhin starkes Interesse an der Erforschung von Spiritualität und der «Besserung Gesunder» – so laufen Versuche, bei denen langzeitigen Meditierern und theologischen Fachkräften Psilocybin verabreicht wird –, doch die verändernde Wirkung mystischer Erfahrung hat offenbar auch eine therapeutische Bedeutung, die das Labor untersucht hat. Abgeschlossene Studien legen nahe, dass Psilocybin – oder vielmehr der mystische Bewusstseinszustand, den Psilocybin erzeugt – bei der Behandlung von Suchtkrankheiten (eine Pilotstudie zur Raucherentwöhnung erreichte eine beispiellose Erfolgsquote von achtzig Prozent43) oder der existenziellen Not, die häufig an den Kräften von Menschen mit Todesdiagnose zehrt, nützlich sein kann. Bei unserem letzten Treffen war Griffiths kurz davor, einen Artikel vorzulegen, der von beeindruckenden Ergebnissen bei dem Versuch berichtete, Psilocybin zur Behandlung der Ängste und Depressionen von Krebspatienten einzusetzen; die Studie stellte einen der größten Erfolge fest, den eine psychiatrische Behandlung je aufwies. Die meisten Probanden, die eine mystische Erfahrung hatten, berichteten, dass ihre Angst vor dem Tod stark abgenommen habe oder gänzlich verschwunden sei.
Wieder erheben sich schwierige Fragen zu Bedeutung und Gewicht solcher Erfahrungen, insbesondere derjenigen, welche die Leute davon zu überzeugen scheinen, dass Bewusstsein nicht auf das Gehirn beschränkt ist und unseren Tod irgendwie überleben könnte. Aber auch derartigen Fragen begegnet Griffiths offen und neugierig. «Die Phänomenologie dieser Erfahrungen ist so zutiefst umgestaltend und zutiefst überzeugend, dass ich bereit bin, hier an ein Mysterium zu glauben, das wir nicht verstehen können.»
Griffiths hat von dem strengen Behaviorismus, der einmal seine wissenschaftliche Weltsicht prägte, einen langen Weg zurückgelegt; die Erfahrung anderer Bewusstseinszustände, bei ihm selbst und bei seinen Probanden, hat ihn für Möglichkeiten geöffnet, über die nur wenige Wissenschaftler offen zu sprechen wagen.
«Was passiert also, wenn man stirbt? Ich brauche bloß ein Prozent [Ungewissheit]. Ich wüsste nichts, was interessanter ist als die Frage, was ich beim Sterben womöglich entdecken kann. Das ist das Allerinteressanteste.» Aus diesem Grund hofft er inbrünstig, dass er nicht von einem Bus überfahren wird, sondern genug Zeit hat, die Erfahrung ohne die Ablenkung von Schmerzen «auszukosten». «Der westliche Materialismus sagt, der Hebel wird umgelegt, und das war‘s. Aber es gibt so viele andere Schilderungen. Es könnte ein Anfang sein! Wäre das nicht toll?»
An diesem Punkt drehte Griffiths den Spieß um und fragte mich nach meiner eigenen spirituellen Perspektive, worauf ich völlig unvorbereitet war.
«Wie sicher sind Sie, dass nach dem Tod nichts kommt?», fragte er. Ich zögerte, aber er ließ nicht locker. «Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass jenseits des Todes noch etwas ist? In Prozent.»
«Oh, ich weiß nicht», stammelte ich. «Zwei oder drei Prozent?» Bis heute habe ich keine Ahnung, wo ich diese Schätzung hernahm, doch Griffiths ging darauf ein. «Das ist viel!» Also drehte ich den Spieß wieder um und stellte ihm dieselbe Frage.
«Ich weiß nicht, ob ich das beantworten will», sagte er lachend und warf einen Blick auf mein Aufnahmegerät. «Hängt davon ab, in welcher Funktion ich‘s tue.»
Roland Griffiths hatte mehr als eine Sichtweise! Ich stellte fest, dass ich nur eine hatte, und das machte mich etwas neidisch.
Im Vergleich zu vielen Wissenschaftlern – oder auch spirituellen Menschen – besitzt Roland Griffiths ein großes Maß dessen, was Keats im Hinblick auf Shakespeare als «negative Fähigkeit» bezeichnete, die Fähigkeit, inmitten von Ungewissheiten, Rätseln und Zweifeln zu leben, ohne nach Absolutismen zu greifen, seien es wissenschaftliche oder spirituelle. «Es ergibt keinen größeren Sinn zu sagen, ich bin hundertprozentig von einer materiellen Weltsicht überzeugt, als das Gleiche von einer wörtlichen Fassung der Bibel zu behaupten.»
Bei unserem letzten Treffen, einem Abendessen in einem Bistro in seinem Viertel, versuchte ich Griffiths in ein Gespräch über den scheinbaren Gegensatz zwischen Wissenschaft und Spiritualität zu verwickeln. Ich fragte ihn, ob er mit E. O. Wilson übereinstimme, der geschrieben hat, dass wir uns letztendlich alle entscheiden müssen: für den Pfad der Wissenschaft oder den Pfad der Spiritualität. Doch Griffiths glaubt nicht, dass sich die beiden Erkenntniswege gegenseitig ausschließen, und hat keine große Geduld mit den Absolutisten auf beiden Seiten der vermeintlichen Trennlinie. Er hegt eher die Hoffnung, dass sich die beiden Wege gegenseitig anregen, ihre Fehler korrigieren und uns in diesem Austausch helfen, die großen Fragen, vor denen wir stehen, zu stellen und dann vielleicht zu beantworten. Ich las ihm einen Brief des Religionswissenschaftlers Huston Smith vor, der 1962 an Walter Pahnkes Karfreitagsexperiment teilgenommen hatte. Er hatte ihn kurz nach der Publikation von Griffiths‘ wegweisender Schrift von 2006 an Bob Jesse geschrieben; Jesse hatte ihn mir anvertraut.
Das Johns-Hopkins-Experiment zeigt – beweist –, dass Psilocybin unter den kontrollierten Bedingungen eines Experiments echte mystische Erfahrungen auslösen