Bei John Hayes, dem Psychotherapeuten, wurde «der Sinn fürs Konkrete destabilisiert» und durch die Überzeugung ersetzt, «dass eine Realität außerhalb der Realität gewöhnlicher Wahrnehmungen existiert. Sie setzte meine Kosmologie davon in Kenntnis – dass es eine Welt jenseits von dieser gibt.» Hayes empfiehlt die Erfahrung besonders Leuten mittleren Alters, denen, wie C. G. Jung meinte, die Erfahrung des Numinosen helfen kann, die zweite Hälfte ihres Lebens zu bewältigen. Hayes fügte hinzu: »Jungen Leuten würde ich es nicht empfehlen.»
Charnays Reise an der Hopkins University festigte ihre Verbundenheit zur Kräuterheilkunde (inzwischen arbeitet sie für einen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln in Nordkalifornien); die Erfahrung bestärkte sie auch in ihrem Entschluss, sich von ihrem Mann zu trennen. «Alles war plötzlich ganz klar für mich. Ich kam aus der Sitzung, und mein Mann holte mich zu spät ab. Da begriff ich, dass das unser Thema ist. Wir sind einfach zu verschieden. Ich hatte gerade ein einschneidendes Erlebnis gehabt und wollte, dass er pünktlich ist.» Sie teilte es ihm auf der Heimfahrt im Wagen mit und hat es nie bereut.
Wenn man diesen Leuten dabei zuhört, wie sie die Veränderungen schildern, die durch die Psilocybin-Reisen in ihrem Leben ausgelöst wurden, fragt man sich, ob der Sitzungsraum an der Hopkins University nicht so etwas wie eine «Fabrik zur Veränderung des Menschen» ist. So jedenfalls beschrieb ihn mir Mary Cosimano, die Anleiterin, die dort vermutlich mehr Zeit verbracht hat als jeder andere. «Von jetzt an», sagte einer der Probanden, «unterteilt sich mein Leben in vor und nach Psilocybin.» Schon bald nach seiner Psilocybin-Erfahrung kündigte der Physiker Brian Turner bei der Militärfirma und zog nach Colorado, um Zen zu lernen. Er hatte schon vor der Psilocybin-Reise meditiert, doch «jetzt war ich motiviert, weil ich vom Zweck des Ganzen gekostet hatte». Er war bereit, sich jetzt, da er eine Vorschau auf die neuen Bewusstseinszustände erhalten hatte, die es ihm verschaffen konnte, der harten Arbeit des Zen zu unterziehen.
Turner ist inzwischen ordinierter Zen-Mönch, arbeitet jedoch noch als Physiker für eine Firma, die Helium-Neon-Laser herstellt. Ich fragte ihn, ob er zwischen der Wissenschaft und seiner spirituellen Praxis eine Spannung verspüre. «Ich sehe da keinen Widerspruch. Doch die Ereignisse an der Hopkins University haben meine Physik beeinflusst. Ich habe begriffen, dass es ein paar Bereiche gibt, die die Wissenschaft nicht durchdringen wird. Die Wissenschaft bringt uns bis zum Urknall, aber nicht darüber hinaus. Um dort hineinzusehen, braucht man ein anderes Instrumentarium.»
Diese Einzelberichte persönlicher Veränderung wurden in einer Folgestudie der Hopkins University mit den ersten Gruppen gesunder Normaler nachdrücklich bestätigt. Katherine MacLean, eine Psychologin im Hopkins-Team, saß über den Befragungsdaten von zweiundfünfzig Teilnehmern, darunter auch Folgegespräche mit Freunden und Familienmitgliedern, die man dafür ausersehen hatte, und stellte fest, dass die Psilocybin-Erfahrung in vielen Fällen zu dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen geführt hatte.36 Speziell die Versuchspersonen, die «vollkommene mystische Erfahrungen» hatten (wie anhand ihrer Punktzahl im Mystical Experience Questionnaire von Pahnke-Richards ermittelt), verzeichneten zusätzlich zu einer dauerhaften Verbesserung des Wohlbefindens eine langfristige Steigerung im Persönlichkeitsmerkmal «Offenheit für Erfahrungen». Als eines der fünf Merkmale, die Psychologen zur Beurteilung von Persönlichkeit verwenden (die anderen vier sind Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus), umfasst Offenheit ästhetisches Verständnis und Empfindsamkeit, Fantasie und Vorstellungskraft und Toleranz gegenüber den Ansichten und Werten anderer; sie sagt auch etwas über die Kreativität in Kunst und Wissenschaft aus sowie vermutlich über die Bereitschaft, sich auf Vorstellungen und Konzepte einzulassen, die zu denen der gängigen Wissenschaft im Widerspruch stehen. Solche ausgeprägten und dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen sind bei Erwachsenen selten.
Doch waren all diese Veränderungen in Richtung größere Offenheit nicht auf die Probanden der Experimente beschränkt; auch die Betreuer geben an, die Begleitung der Reisen habe sie, manchmal auf erstaunliche Weise, verändert. Katherine MacLean, die während ihrer Zeit an der Hopkins University Dutzende von Sitzungen anleitete, erzählte mir: «Ich war anfangs Atheistin, aber bei meiner täglichen Arbeit habe ich Dinge erlebt, die zu meiner Überzeugung im Widerspruch standen. Während ich die Psilocybin-Reisenden betreute, wurde meine Welt immer rätselhafter.»
Bei meinem letzten Interview mit Richard Boothby, am Ende eines gemütlichen Sonntagsbrunchs im Museum für moderne Kunst in Baltimore, sah er mich mit einem Gesichtsausdruck an, in dem sich eine geradezu missionarische Inbrunst angesichts der «Schätze», die er an der Hopkins University erblickt hatte, mit einem gewissen Mitleid für seinen noch immer halluzinatorisch-naiven Gesprächspartner mischte.
«Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie neidisch sind.»
Meine Treffen mit den Hopkins-Probanden hatten mich tatsächlich etwas neidisch gemacht, aber auch wesentlich mehr Fragen als Antworten hinterlassen. Wie sollen wir die «Erkenntnisse» beurteilen, die diese Leute von ihren psychedelischen Reisen mitbringen? Wie viel Bedeutung sollten wir ihnen beimessen? Woher kommt bloß das Material, aus dem diese Wachträume oder, wie eine Versuchsperson es formulierte, diese «intrapsychischen Filme» bestehen? Aus dem Unbewussten? Aus den Hinweisen ihrer Anleiter und der Umgebung des Experiments? Oder, wie viele der Teilnehmer glauben, von irgendwo «da draußen» oder «noch weiter weg»? Was bedeuten diese mystischen Bewusstseinszustände letztlich für unser Verständnis des menschlichen Geistes oder des Universums?
Was Roland Griffiths betrifft, so haben seine eigenen Treffen mit den Probanden der Studie von 2006 nicht nur seine Leidenschaft für die Wissenschaft wieder entfacht, sondern ihm auch einen größeren Respekt für alles eingeflößt, was die Wissenschaft nicht weiß – das er bereitwillig «die Mysterien» nennt.
«Für mich waren die Daten [von den ersten Sitzungen] … ich will nicht das Wort ‹atemberaubend› verwenden, aber das, was wir dort erlebten, war geradezu beispiellos, was die tiefe Bedeutung und den dauerhaften spirituellen Stellenwert der Auswirkungen anbelangt. Ich habe schon vielen Leuten viele Drogen verabreicht, und was dabei herauskommt, sind Drogenerfahrungen. Das Einzigartige an den Psychedelika ist die Bedeutung, die aus der Erfahrung hervorgeht.»
Aber wie real ist diese Bedeutung? Griffiths selbst ist Agnostiker – allerdings erstaunlich aufgeschlossen, auch in Hinsicht auf die Erfahrungsberichte der Probanden von einem «Jenseits», wie auch immer sie es definieren. «Ich bin bereit, an die Möglichkeit zu glauben, dass diese Erfahrungen stimmen können», sagte er. «Das Aufregende an der Sache ist, dieses Mysterium mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu erforschen und auseinanderzunehmen.»
Nicht jeder seiner Kollegen ist so aufgeschlossen. Als wir bei einem unserer Treffen auf der Glasveranda seines bescheidenen Ranchhauses in einem Vorort Baltimores frühstückten, erwähnte Griffiths einen Kollegen an der Hopkins University, einen bekannten Psychiater namens Paul McHugh, der psychedelische Erfahrung als eine Form von «toxischem Delirium» abqualifiziert. Er ermunterte mich, McHugh zu googeln.
«Ärzte begegnen diesem seltsamen, farbintensiven Geisteszustand bei Patienten, die an fortgeschrittener Leber-, Nieren- oder Lungenerkrankung leiden, wobei sich Giftstoffe im Körper sammeln und auf Gehirn und Geist genauso wirken wie LSD», hatte McHugh in der Besprechung eines Buches über das Harvard Psilocybin Project in Commentary geschrieben.37 «Die lebhafte Farbwahrnehmung, das Verschmelzen körperlicher Empfindungen, die Halluzinationen, die Orientierungslosigkeit und der Verlust des Zeitgefühls, die ständigen wahnhaften Freuden und Ängste, die unvorhersehbare Gefühle und Verhaltensweisen erzeugen – sind traurigerweise vertraute Symptome, die Ärzte tagtäglich in Krankenhäusern behandeln müssen.»
Griffiths gibt zu, es sei möglich, dass es sich bei dem, was er zu sehen bekommt, um eine Form zeitweiliger Psychose handelt, und plant, in einem bevorstehenden Experiment auf Delirium zu testen, doch er bezweifelt stark, dass diese Diagnose eine präzise Beschreibung für die Erfahrung seiner Probanden ist. «Patienten, die an einem Delirium leiden, finden das sehr unangenehm», erklärt er, «und sagen Monate später mit Sicherheit nicht: ‹Wow, das war eine der tollsten und bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens.›»