Welt der Schwerter. E. S. Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: E. S. Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия: Welt der Schwerter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695613
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Man bezahlt eine Hure nicht für die Lust, sondern dafür, dass sie danach wieder geht.«

      »Ich habe dich nicht bezahlt.«

      »Das will ich Euch auch nicht geraten haben.«

      Sein Blick hielt sie weiter fest. Hoffentlich drang er nicht weiter in sie. Keinesfalls wollte sie sich hier lächerlich machen, indem sie ihm heulend ihre Liebe gestand. Sie wandte sich ab und hoffte, er begriffe die Grenze.

      Offenbar tat er das, denn er wechselte das Thema. »Das ist eine beeindruckende Narbe.«

      Erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit er von einem Schmerz zum nächsten fand. Aber mit diesem lebte sie bereits seit vielen Monaten. Damit hatte sie umzugehen gelernt. »Ihretwegen müsst Ihr keine Angst haben, dass ich Euch einen Bastard schenke.« Sie lächelte keck, aber er blieb ernst.

      »Das tut mir leid«, sagte er leise.

      »Muss es nicht. In meinem Leben würden Kinder nur stören. Außerdem hat es einige Vorteile.« Sie grinste. »Besonders beim Freien.«

      Als er weiter ernst blieb, schwand auch ihr Lächeln. Da war er wieder, dieser Blick, der mit Leichtigkeit ihre Schilde durchdrang. Er zwang sie förmlich dazu, sich zu erinnern. Daran, wie schmerzhaft es gewesen war. Nicht nur körperlich.

      Sie hatte mit dem Tode gerungen und sich eine Zeit lang sogar gewünscht zu sterben, nur um den Qualen zu entkommen. Doch diese Schmerzen waren vergangen. Geblieben war die Erkenntnis, nicht mehr ganz Frau zu sein. Eine Zeit lang hatte sie gehofft, die monatlichen Blutungen würden zurückehren, doch dann hatte sie sich damit abgefunden, zerstört zu sein, ein verdorrter Ast am Baum des Lebens.

      Mit einem Mal war ihre Kehle wie zugeschnürt. Wa­rum tat er das? Warum ließ er es nicht dabei bewenden? Die starke, die kecke Kira, war es nicht das, was er wollte? Reichte ihm das nicht?

      Nein. Wie in der vergangenen Nacht wollte er sie ganz: nackt und bloß, und wie in der vergangenen Nacht hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, sich eine solche Schwäche erlauben zu dürfen. Zum ersten Mal hatte sie das Vertrauen, aufgefangen zu werden.

      »Komm her.« Er hob den Arm. Sie zögerte, obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als festgehalten zu werden. Warum nur zögerte sie?

      Weil es fremd war, ungewohnt. Schwach zu sein – sein zu dürfen. Noch nie hatte ein Mann ihr dieses Angebot gemacht, ohne dass sie einen Hintergedanken hätte fürchten müssen. Aber diesem Mann, diesem Prinzen vertraute sie. Wo Orren sich unsicher abgewendet und andere gespottet hätten, stand er liebevoll und unverrückbar. So ließ sie sich von ihm umfangen, ließ sich fallen in sein Verstehen und seine Stärke. In seinen Armen fand sie Sicherheit, und zum ersten Mal, seit es geschehen war, erlaubte sie es sich, ihren Verlust zu beweinen.

      ***

      Zwanzigtausend Mann – das war eine gewaltige Streitmacht. Die roten Uniformen leuchteten prächtig in der Morgensonne, ein beeindruckender Anblick.

      Sie alle unterstanden ihm. Alle diese Männer hörten auf sein Wort, warteten auf seine Befehle. Wie nur sollte er das bewerkstelligen? Zwanzigtausend einzelne Menschen, alte und junge, erfahrene und Grünschnäbel, einige mit Schwertern bewaffnet, andere nur mit Spießen, manche noch mit Wunden von der letzten Schlacht. Die einen mochten für Galathräa kämpfen, andere für den eigenen Ruhm, wieder andere für den Sold. Die meisten waren vermutlich nur deshalb hier, weil ihr Fürst das Recht hatte, sie zu den Waffen zu rufen. Mit einer Weigerung oder gar Flucht hätten sie ihren Familien geschadet. Überhaupt: Familie. Wie viele Brüder mochte es unter seinen Männern geben, die Seite an Seite kämpfen würden? Wie oft waren Vater und Sohn gemeinsam dem Ruf gefolgt? Wie viele hatten eine Frau zurückgelassen, wie viele eine Braut? Für all diese Leben, für all diese Schicksale trug nun er die Verantwortung – und dazu für ganz Galathräa. Wie sollte er das nur bewältigen?

      »Meine Armee.« Er bemühte sich zu erfassen, was das bedeutete. »Meine Männer.«

      Neben ihm zog sich Kira in den Sattel ihrer Ulphankuh. Auf dem gewaltigen Tier, dem man die wilden Wisente unter seinen Vorfahren ansah, wirkte sie geradezu mädchenhaft zierlich. Noch immer trug sie Hosen, doch ihre Kleidung hatte sich verändert, verbarg nun nicht mehr ihre Weiblichkeit. Vermutlich hatten Finny und Nehja dabei die Hände im Spiel. Sie warf den geflochtenen Zopf nach hinten und tätschelte den Hals ihres Tieres.

      Als Frau und Bürgerliche musste Kira mit einer Kuh vorliebnehmen, und durfte keinen gehörnten männlichen Ulphan reiten. Sie hatten das Tier mit großer Sorgfalt auswählen müssen, denn jetzt, im Frühjahr, kamen die Kühe in Hitze, und dann waren sie ein paar Tage lang schreckhaft und unwillig. Der Besitzer hatte ihnen aber versichert, dieses Tier habe bereits zwei Hitzen durchlaufen, und eine dritte war unwahrscheinlich.

      »Da kommt Leron!« Kira hob den Arm und zeigte zur Stadt. Tatsächlich kam der Korporal auf seiner Ulphankuh durch das Tor getrottet. Nur er war noch von Silurens Leibgarde übrig. Tiro war in der Schlacht unter Elims Kommando gefallen. Wie lapidar das klang: gefallen. Seine Schwester in Varkaspol würde es vermutlich nicht so gefasst aufnehmen. Chem lebte noch, aber er würde in Bethelgard zurückbleiben – die Brandwunde an seinem Bein hatte sich böse entzündet.

      Leron erreichte sie und salutierte. »Ich habe dem Magus das Dokument wie befohlen überreicht, und er gab mir dies.« Er zog einen zusammengefalteten, gesiegelten Brief aus der Weste. »Der Magus sagte, sein Inhalt sei wichtig.«

      »Dann werde ich ihn bei Gelegenheit lesen.« Auch wenn es ihm zuwider war. Aber vorerst schob Siluren das Papier unter seine Weste.

      Leron ließ seinen Blick über die Fußsoldaten schweifen, die geduldig auf ihren Marschbefehl warteten. »Ein großes Heer.«

      »Eine große Verantwortung.«

      Kira lächelte. »Keine Angst, Hoheit. Erinnert Ihr Euch an den ersten Ulphan, den ihr bestiegen habt? Wie groß und furchteinflößend er gewesen ist? An die geballte Kraft dieses riesigen Leibes? Doch heute haltet ihr die Zügel mit nur einer Hand.«

      Er seufzte. »Mein erster Ulphan war aus Holz.« Ein Spielzeug, auf ein Brett mit Rollen genagelt – und eigentlich nicht einmal seines. Zumeist hatte Coridan mit gerecktem Holzschwert darauf gesessen und »Schneller! Schneller!« gerufen, während Diener ihn im Laufschritt durch den Ahnensaal gezogen hatten. Siluren hatte selbst diesen hölzernen Rücken gefürchtet – wie hoch er war, wie unsicher er auf den Rollen stand – und als er es endlich gewagt hatte, das hölzerne Tier zu besteigen, war er bereits zu groß gewesen, und seine Füße hatten den Boden berührt.

      Woring kam angeritten – auch er natürlich auf einem ungehörnten Tier. Er befehligte das Kontingent, das Bethelgard für den König gestellt hatte. Die übrigen Offiziere hatten das nicht gerade erfreut aufgenommen, war Woring doch ein Gemeiner, ein einfacher Rimbeth-Fischer. Selbst Elim hatte Bedenken geäußert. »Für die Soldaten ist er einer von ihnen, sie werden ihn nicht respektieren. Er steht ihnen viel zu nahe und wird zögern, wenn es gilt, sie in die Hitze eines Kampfes zu senden, in einen Angriff, vielleicht sogar in den sicheren Tod.«

      Aber Siluren hatte gesehen, wie wertvoll Woring war – gerade, weil er seinen Männern nahestand, viele von ihnen persönlich kannte. »Wir wollen siegen, nicht sterben, und er kann seinen Teil dazu beitragen. Das hat er bewiesen.«

      Als Woring nun seine Ulphan-Kuh neben den anderen Offizieren zügelte, nickte Siluren ihm zu. »Alle bereit?«

      »Bereit und begierig, die Oneräer bezahlen zu lassen.« Woring sah zur Bresche hinüber, an der die Arbeiten bereits begonnen hatten. Gemäß Silurens Anregung setzte man dazu auch diejenigen Kriegsgefangenen ein, die sich standhaft geweigert hatten, der gegnerischen Armee beizutreten. »Es sind meine Gefangenen«, hatte er dem Stadtrat eröffnet, »und ich überlasse sie Bethelgard zu diesem Zweck. Die Krone wird entscheiden, ob und wann sie ihre Freiheit zurückerhalten. Bis dahin behandelt sie anständig. Ein Mann, dem man nicht gestattet, den Kopf zu heben, erhebt irgendwann die Fäuste.«

      Nun war er hier, ihm gegenüber seine Offiziere – sechs mit Woring. Neben ihm waren Leron und Kira, vor ihm das fliehende oneräische Heer und eine Sumpflandschaft, die