Weil ein unmittelbarer Konfliktaustrag wegen der Gefahr der gegenseitigen Vernichtung mit Atomwaffen nicht mehr möglich war, lieferten sich die Blöcke politische und militärische Kämpfe („Stellvertreterkriege“) in abgelegeneren Weltregionen, wo der Prozess der Entkolonialisierung und der politischen Emanzipation reichlich Konfliktstoff bot. Probleme der klassischen Sicherheitspolitik zwischen hochgerüsteten Großmächten bestimmten wie erwartet zunächst die Arbeit der UNO, aber es stellten sich sehr bald auch ganz andere Fragen der Friedenswahrung, die von den Autoren der Charta nicht vorhergesehen werden konnten. Neuartige inner- bzw. trans-staatliche Konfliktstoffe erwiesen sich als komplexer und schwieriger lösbar als es die herkömmlichen zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen gewesen waren; anti-koloniale Befreiungsbewegungen und postkoloniale Verteilungskämpfe sorgten in der eingefrorenen Schlachtordnung des Kalten Krieges für heiße Stellen und einige Brände.
Bis Mitte der 1960er-Jahre bildeten sich in der politischen Praxis Musterlösungen für Handlungsmöglichkeiten in und durch die UNO heraus, die ihre weitere Arbeit stärker prägen sollten als manche Absichten der Gründungsphase. Diese pragmatischen Lösungen hielten einer kritischen formalen Betrachtung oft kaum stand – aber sie funktionierten und wurden so als gängige Übung im Lauf der Zeit zur allseits akzeptierten Regel:
Während nach dem Text der Charta schon eine Enthaltung für ein Veto ausreicht, gilt es praktisch nur durch eine explizit abgegebene Nein-Stimme eines der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates als eingelegt.
Der Machtkampf um die Kompetenzen der einzelnen UN-Hauptorgane zeigte, dass die Rollenverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung nicht geklärt war; jedenfalls konnte die Generalversammlung durchaus weitergehende Ansprüche erheben, wenn der Sicherheitsrat nicht funktionierte (vgl. die „Uniting for Peace“-Resolution von 1950; siehe 6.2).
Zur Strukturierung des politischen Willens der Mitgliedsregierungen, zur Kanalisierung und Artikulation ihrer Interessen sowie zur Bündelung ihres Machtpotentials und ihrer Handlungsfähigkeit bewährte sich spätestens mit dem raschen Anstieg der Mitgliederzahl die Bildung von und die Zusammenarbeit in Ländergruppen als effizienteste Methode für multilaterale Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse.
Der von der Charta mit der militärischen Komponente der kollektiven Sicherheit beauftragte Generalstabsausschuss ist nie ernsthaft eingesetzt worden, geschweige denn dass ein UN-eigenes Militärpotential aufgebaut worden wäre; wegen des militärischen Patts und der politischen Blockade zwischen den Blöcken blieben als Instrumentarium zur Kanalisierung und Eindämmung von Konflikten nur unkonventionelle und in der Charta in dieser Weise nicht vorgesehene „friedenserhaltende“ Maßnahmen – wie der Einsatz von Militärbeobachtern („Blaumützen“) und Friedenstruppen („Blauhelmen“).
Mit dem meist unfriedlichen Prozess der Dekolonisierung der abhängigen Gebiete entstanden Dutzende „junger Staaten“ – als List der Geschichte waren die wichtigsten untergehenden Kolonialmächte neben Belgien, Holland und Portugal die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates Großbritannien und Frankreich. Die neuen souveränen Staaten und UNO-Mitglieder wurden als die sog. „Dritte Welt“ neben der ersten (Nordwest) und der zweiten (Nordosten) wahrgenommen; sie ergänzten dann den Ost-West-Gegensatz um den insbesondere als wirtschaftlich verstandenen Nord-Süd-Konflikt.
Vielzahl und Vielfalt neuer Länder vor allem in Asien und Afrika veränderten die UNO und die multilaterale Diplomatie gründlich; zwischen 1945 und 1965 verdoppelte und bis 1975 verdreifachte die Weltorganisation die Zahl der ihrer anfangs 51Vollmitglieder (1955: 76, 1965: 117, 1975: 144) und bis heute hat sie die Anzahl – besonders wegen der Auflösung des östlichen Imperiums – fast vervierfacht (1985: 159, 1995: 185, 2005: 191; 2015: 193). Schon Anfang der 1970er-Jahre hatten die Ländergruppen der afrikanischen Staaten (über 40 Mitglieder) und der asiatischen Staaten (etwa 30) zusammen die Stimmenmehrheit in der Generalversammlung; die Gruppe der sog. Entwicklungsländer wuchs bis Ende der 1970er Jahre auf über zwei Drittel der Mitgliedschaft.
Größe und Bevölkerungszahl, Ressourcenausstattung und wirtschaftliches Potential, Kulturen und Religionen, politische Traditionen und Verfassungen variierten in der wachsenden Mitgliedschaft in den verschiedensten Mischungen. Damit wurde die UNO erst wirklich universal – und zugleich differenzierten und erweiterten sich die Interessen der Mitglieder. Die Schwerpunkte der internationalen Kooperation verlagerten sich allmählich auf die Probleme wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung; Konfliktstoff lag in der Frage, welche Strukturen des Welthandels dafür schädlich oder günstig waren. Die Führungsmächte der Blöcke bemühten sich, die neuen Staaten in die Ost-/West-Konfrontation auf ihrer Seite einzubinden, diese versuchten oft, den Ost-West-Gegensatz zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Auf fast allen Foren des UN-Systems wurde mit großer Rhetorik und viel politischer Energie der Nord-Süd-Konflikt geführt um
die angemessene entwicklungspolitische Orientierung für die auf- bzw. auszubauenden Wirtschaften und Gesellschaften zwischen den westlichen und östlichen Konkurrenzmodellen,
den Wunsch nach der Finanzierung von „nachholender Entwicklung“ („Entwicklungshilfe“),
internationale Gerechtigkeit und Ausgleich kolonialer Beschädigungen (Struktur des Welthandels, Fragen der Rohstoffe-Preise, Forderung einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“),
die Berechtigung zur politischen Nutzung der Knappheit bestimmter Rohstoffe, bes. des Erdöls (OPEC-Kartell),
Apartheid und Rassismus, die von der südlichen Mehrheit der UNO-Mitglieder neben Südafrika auch Israel vorgeworfen wurden,
Zweifel, ob das westliche Eintreten für die Menschenrechte im Osten und im Süden immer nach den gleichen Kriterien ausgerichtet sei.
Diese Probleme sind nicht erledigt, aber in den Hintergrund geraten: Nach 1989 ist mit dem Zusammenbruch des Ostblocks die konkurrierende System-Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft und zum potentiell unbegrenzten Freihandel weggefallen. Von noch epochalerer Bedeutung war, dass die ungelösten Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Süden schon seit den 1970er-Jahren wachsende Konkurrenz bekommen hatten durch die globale Bedrohung für Umwelt und Klima – eben aufgrund der effizienten wirtschaftlichen Entwicklung des Nordens. Die Forderung nach „nachholender Entwicklung“ ist längst auskonkurriert von der Losung der „nachhaltigen Entwicklung“.
Nicht-staatliche Akteure aller Art aus der sog. Zivilgesellschaft haben nennenswerten und manchmal entscheidenden Einfluss gewonnen; verschiedene Typen neuartiger Akteure sind als (internationale) Nichtregierungsorganisationen oder kurz (I)NGOs immer stärker in Erscheinung getreten – wobei ihre politische Einschätzung kontrovers bleibt (siehe 7.7). Zumal die großen thematischen „Weltkonferenzen“ der 1990er Jahre boten ihnen politische Bühne und sachliche Bedeutung besonders auf den Arbeitsfeldern Zusammenarbeit in wirtschaftlich-sozialen Fragen, Menschenrechtsschutz und Umwelt- /Klimagefahren.
Ende der 1980er-Jahre kam dank des Kollapses des sowjetrussischen Imperiums weitere Bewegung in die Arbeit der UNO. Frohe Hoffnungen auf eine entscheidende Rolle der UNO in einer „neuen Weltordnung“ regten sich und Spekulationen über eine „Friedensdividende“ aus der Einsparung von Rüstungskosten zugunsten wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung kamen auf. Doch zeigten sich schnell und ernüchternd auch Probleme: Neue Mitgliedstaaten aus der Konkursmasse der Sowjetunion kamen zwar zur „Staatengemeinschaft“ dazu, aber scheinbar vergessene alte Konflikte brachen wieder aus (wie auf dem Balkan) und neuer Konfliktstoff entwickelte sich. Nicht immer gelang es den Mitgliedern des Sicherheitsrates, dessen Kompetenzen zur Friedenswahrung erfolgreich einzusetzen, auch spektakuläre Misserfolge (wie in Somalia) oder