# „Die Seele retten“ (salvar su ánima) klingt nach Höllenangst: Nach dem Tod des Leibes müsse die jedenfalls sündige Seele, damit Gott sie nicht mit ewigen Qualen bestraft, irgendwie gerettet werden. Bei Ignatius mag zeitbedingt diese Vorstellung mitschwingen, und heute darf man getrost einiges von ihr beiseitelegen. Dennoch: Ohne göttliche Hilfe ist der Mensch von einem Tod bedroht, der irdisch endgültig ist. Jetzt in Gott geborgen zu sein gibt dem Menschen Trost und Zuversicht für dieses Leben und außerdem die Gewissheit, dass über den Tod hinaus sein Leben in Gott Vollendung finden wird – beides in einer, eben kontinuierlichen Bewegung. Ohne Jenseitszusage wäre irdisches Leben verzweifelt. Allerdings wird der Mensch sich nicht durch gute Taten selbst retten, sondern er wird sich „mittels“ (mediante esto) des Lobens Gottes und der Ehrfurcht ihm gegenüber so in die rechte Beziehung zu ihm hineinführen lassen, dass er diese als vor jeglichem Unheil rettend und als unverbrüchlich, damit als über den Tod hinaus beständig und in diesem Sinn als ewig erfährt.19
Individuell und sozial. Die Exerzitien sind zuerst auf den Einzelnen konzentriert: „Der Mensch …“, so beginnt der Text fast feierlich. Schweigend, also allein mit ihrem Gott, macht die Exerzitantin individuell angepasste Übungen. Für genau ihre, keine andere Sünde erbittet sie Vergebung. Sie will Christus lieben und ihm nachfolgen, sie lässt sich dazu persönlich rufen. Sie sucht in der Wahl ihre individuelle Gestalt der Berufung. Sie schaut auf den Gekreuzigten, der für sie gelitten hat, und auf den Auferstandenen, der ihr begegnet. Sie will in allem mehr lieben und dienen lernen. – Dieser ignatianische Individualismus springt sofort ins Auge. Jahrhundertelang wurde er fleißig gepflegt, auch zum Klischee ironisiert – ist er schon alles? Vermutlich ist die soziale Verwobenheit des Geschöpfes Mensch heute mehr bewusst als im 16. Jahrhundert, als das Individuum gerade entdeckt und daher wohl umso mehr betont wurde. Doch auch die Exerzitien haben viele soziale Anklänge: Sünden sind in hohem Maß soziale Sünden. Sakramente werden in der Kirche empfangen und von ihr gespendet. In die Nachfolge sind „Jünger“ – in der Mehrzahl, in Gemeinschaft – gerufen. Die Wahl zielt auf einen Dienst – an anderen. Sie ist eine kirchliche Wahl, mit eigenen Regeln und mit Verbindlichkeit. Am Ende steht die Übung, „um Liebe zu erlangen“ (230 ff.)20 – der für das Soziale sicher stärkste Text des Exerzitienbuchs: Liebe ist „Austausch (comunicación) von beiden Seiten her“ (231), also ein Geben und Empfangen, selbstverständlich in Beziehung, als gegenseitige Hilfe, mit Verantwortung. Als soziales Wesen, mit einem individuellen Weg, aber immer lebend in und aus Gemeinschaft, hingestreckt auf den anderen und sich einsetzend für den anderen, ist „der Mensch“ geschaffen und macht er Exerzitien.
Gott erschafft den Menschen, mit Seele und Leib, individuell und als soziales Wesen. Der Mensch soll sich Gott ehrfürchtig nähern und so in eine Beziehung zu ihm eintreten, die ihn trägt und rettet, auch über den Tod hinaus. Dazu empfängt er von Gott Gaben und Gnaden, die er genießen und aktiv für den Dienst nutzen soll. Im Austausch der Gaben wird er ein liebender Mensch.
7Vgl. DEI 121.
8„Wille“ (volundad) ist im klassischen Sprachgebrauch nicht wie heute die vor allem rationale Kraft, etwas anzustreben und durchzusetzen, sondern eher die emotionale, affektive Energie der Seele.
9Ausführlicher dazu Kiechle (1996) 352–355. Gegenüber dem rationaleren Thomismus erkennt Ignatius mit der augustinisch-franziskanischen Tradition eine gewisse Dominanz des Willens.
10Das war sie in ihrer jahrhundertelangen Praxis durchaus; ihr Leibbezug wird seit einigen Jahrzehnten wiederentdeckt.
11Das Spanische kennt für „Leib“ und „Körper“ nur ein Wort: cuerpo – hier mit „Leib“ übersetzt, denn gemeint ist nicht der biologische, gleichsam materielle Körper, sondern der lebendige, geistig offene Leib.
12Der italienische Philosoph Mario Perniola (2017) schreibt in seiner Studie zum katholischen Fühlen (ital. sentire), dass Ignatius, als im 16. Jh. die Kirche moralisch-spirituell heruntergekommen war, mit anderen das Fühlen oder Spüren wieder betonte: nicht eines der eigenen Innerlichkeit, sondern jenes der Welt – allerdings in Differenz zu ihr. So geschehe Unterscheidung der Geister. Dies sei katholisch, gegen alle spätere Rationalisierung und gegen allen Dogmatismus.
13Auch wenn hierbei manches zeitbedingt und nach heutigem Maß „leibfeindlich“ erscheint.
14Dass die „Seele in diesem verderblichen Leib eingekerkert“ sei (47), sind Reste einer alten, den Leib abwertenden Philosophie, die die christliche Spiritualität jahrhundertelang bestimmte. Bei Ignatius fließt sie teilweise noch ein, ist aber in anderen Texten und im Ganzen überwunden – diese Inkohärenzen spiegeln wohl den langen Redaktionsprozess des Exerzitienbuchs wider. Am Ende hat Ignatius wohl nicht alles, was er durch Erfahrung und Studium als überholt erkannt hatte, redaktionell eliminiert.
15Mercedes hat einen Zusammenhang zu Barmherzigkeit und erinnert an die „Gunsterweise“, die im Feudalismus ein hoher Herr seinen Untertanen gewährt: von oben nach unten und gratis.
16In den Briefen des Ignatius kommt das Motiv immer wieder; etwa schreibt er an Franz von Borja: „Wenn meine Gebete irgendeine Gunst erreichen, wird sie ganz von oben sein und von seiner göttlichen Güte herabsteigen“ (BU 104).
17Nach Charlotte Pauli (2016); die Autorin setzt die Ehrfurcht psychologisch in Bezug zum Narzissmus, wobei ein gesunder Narzissmus die Ehrfurcht fördert, ein krankhafter Narzissmus jedoch im Gegensatz zur Ehrfurcht steht und sie verhindert.
18Erasmus von Rotterdam ermahnt in seinem Enchiridion militis christiani – von Ignatius in seiner Studienzeit gelesen – den Ritter, seinen Ehrgeiz zu bekämpfen und allein Gott die Ehre zu geben; vgl. Erasmus (2015) 178–180.
19Span. salvación meint (irdische) Gesundheit und Heilung, aber auch (ewiges) Heil; salvar meint sowohl heilen als auch retten – zum sowohl irdischen als auch himmlischen Wohlergehen; vgl. Rainer Carls, Der Mensch als Geschöpf Gottes im Denken des Ignatius von Loyola, in: Gertler et al. (2006), 50–67, hier 62 f.
20Vgl. Kap. 23.
2.Gottunmittelbar
Schöpfer und Herr. Erstaunliche 17-mal (23 u.a.) kommt für Gott dieser Titel im Exerzitienbuch vor; meist ist Gott „ihr“ – der Seele – oder „unser“ – der Exerzitanten – Schöpfer und Herr. Damit wird Gott für die Exerzitantin zum ureigenen Gott, der sich binden lässt fast so, wie sie einen Besitz an sich bindet. „Schöpfer“ (Creador) ist die respektvolle Anrede für den,