Gesten können das Gesagte unterstützen, was mit Redundanz bezeichnet wird. Teilt man einer Person mit, dass man ihrem Anliegen nicht entsprechen will und macht dazu eine abwinkende Geste mit der Hand, unterstreicht die Geste das Gesagte.
Durch Gesten kann aber auch eine Botschaft nonverbal ergänzt werden. Sogenannte komplementäre Botschaften konkretisieren das Gesagte. Wenn eine Person im Gespräch äußert, dass sie manche Verbote für völlig unangemessen hält und dabei auf das Schild „Spielen im Hof verboten“ zeigt oder mit dem Daumen hinter sich auf die Hausmeisterwohnung deutet, wird die verbale Mitteilung um die Informationen ergänzt, welches Verbot gemeint ist, und wen man dafür verantwortlich macht.
Bei der Addition werden zusätzliche Informationen gegeben. Gesten dienen dabei als Interpretationshilfe zur Einschätzung von Einstellungen oder Bewertungen. Berichtet eine Frau ihrer Freundin, dass eine gemeinsame Bekannte trotz Schulden einen Flug in die Karibik plant und tippt sich dabei an die Stirn, wird deutlich, was sie von dem Vorhaben hält.
Von Divergenz spricht man, wenn nonverbale Botschaften und verbale Botschaften im Widerspruch zueinander stehen. Beispielsweise kann die verbale Begrüßung einer unwillkommenen Person durchaus freundlich formuliert sein, aber die ausgestreckte Hand wird ignoriert. Oder es wird beteuert, dass das erzählte Erlebnis des Gegenübers interessant ist, vermittelt aber durch das Drehen der Daumen, wie langweilig und langatmig der Bericht empfunden wird.
Bei der Substitution werden Worte durch Gesten ersetzt. Ob man dem Freund den Daumen hält oder der riskant fahrenden Fremden den Mittelfinger zeigt, die Hand zu Abwehrgeste erhebt, um nicht angesprochen zu werden oder den Finger auf die Lippen legt – die Botschaften bedürfen keiner verbalen Ausführung.
Es gehört immer etwas guter Wille dazu, selbst das Einfachste zu begreifen, selbst das Klarste zu verstehen.
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
2. SIND GESTEN FÜR JEDEN VERSTÄNDLICH?
Gesten und insbesondere selbstverständliche Alltagsgesten, also Embleme, können in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verschiedene Bedeutungen haben. Das kann zu Missverständnissen in der Kommunikation führen. Verstärkt wird die Gefahr der Fehlinterpretation einer Botschaft dadurch, dass kulturspezifische Deutungen sich unterscheiden, dass Genderaspekte nicht berücksichtigt werden, dass der Kontext falsch eingeschätzt wird oder dass die Geste gar nicht als solche wahrgenommen wird und damit die Botschaft nicht ankommt.
Dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen. Bei einer in Israel 1988 durchgeführten Untersuchung (vgl. Apeltauer 1997: 27) wurden 46 Collegestudenten aus vierzehn verschiedenen Herkunftsländern äthiopische Embleme auf Video gezeigt. Die spannende Frage lautete, was als Geste ankommt und wie sie gedeutet wird. Ein Teil der Embleme wurde nicht als Geste wahrgenommen, sondern als Verhalten ohne Mitteilungsabsicht. Von den als Emblem erkannten Handzeichen wurden nur 23,3 % richtig dekodiert. Auch wenn es sich um eine ältere Studie handelt, wird deutlich, dass durch Gesten vermittelte Botschaften nicht immer ankommen oder allgemein verständlich sind.
In Kapitel 3 werden dazu Unterschiede in Begrüßungssituationen vorgestellt. Aber auch deiktische Gesten können missverstanden oder nicht wahrgenommen werden.
Viele Menschen erwarten den Fingerzeig bei einer Hinweisgeste, diese kann aber auch durch einen Blick, durch ein Heben des Kinns oder durch gespitzte Lippen ausgeführt werden. Da redebegleitende Gesten einen kurzen Moment vor der verbalen Formulierung produziert werden, lösen sie eine Erwartung aus, die die Deutung der Worte beeinflusst. Die Geste bestimmt also in manchen Fällen – wenn sie als solche erkannt wird –, wie die Rede zu interpretieren ist.
Ein einfaches Beispiel dafür ist der Fingerzeig nach vorne. Bei einer Unterhaltung zwischen einer Person aus Zimbabwe und einer Person aus Deutschland ging es um den Austausch von Erfahrungen und der zukünftigen Gestaltung der Städtepartnerschaft zwischen München und Harare. Das Deuten nach vorne wurde von der deutschen Person als Hinweisgeste in die Zukunft verstanden, von der Person aus Harare war aber die Vergangenheit gemeint. Die mit der Geste verbundene Vorstellung ist in unterschiedlichen Zeitkonzepten verankert. Während in Europa die Zukunft vor einem liegt, planbar und gestaltbar erscheint, ist in vielen afrikanischen Kulturen die Vergangenheit das, was man überblicken kann, das Erlernte, die eigenen Erfahrungen, die eigene kulturelle Entwicklung und die von den Vorfahren zur Verfügung gestellten Ressourcen zur Lebensbewältigung. Dass Geste und verbale Äußerung nicht zusammenpassten, führte zu einer Irritation, die erst durch Metakommunikation beseitigt werden konnte.
Gesten werden nicht isoliert eingesetzt. In Gesprächssituationen sind sie nicht nur in den Gesprächskontext eingebunden, sondern in viele weitere Ebenen nonverbaler Signale, die durch die Körperhaltung, die Mimik, die Stimmführung, den Blickkontakt oder die Körperdistanz bewusst oder unbewusst gesendet werden. Eine Geste kommt anders an, je nachdem, ob sie mit einem freundlichen Lächeln oder durch einen finsteren Blick begleitet wird. Das erleichtert einerseits das Verstehen, andererseits unterscheiden sich aber auch andere Aspekte kultureller Konventionen der nonverbalen Kommunikation – und das zum Teil erheblich.
Dennoch gelingt interkulturelle Verständigung in der Regel, wenn Verständigungsbereitschaft, Vorsicht bei der Interpretation und der Wunsch, sein Gegenüber richtig zu verstehen bei den Kommunizierenden gleichermaßen vorhanden sind. Hilfreich sind dabei interkulturelle Kompetenzen wie die Fähigkeit, die eigene Interpretationsfolie zu reflektieren, die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel, Ambiguitätstoleranz, also das Aushalten von Uneindeutigkeiten, das Wissen um unterschiedliche Konventionen, eine Haltung des Respektes; und durch Metakommunikation Irritationen anzusprechen, nachzufragen und zu erläutern – wenn dazu die Möglichkeit besteht und das Interesse vorhanden ist.
„Küss die Hand, gnä’ Frau“.
Inzwischen veraltete österreichische Begrüßungsformel
3. FORMEN DER BEGRÜSSUNG
Begegnen sich zwei Menschen, beginnt der Kontakt in der Regel mit einer Begrüßung. Man nickt sich zu, reicht sich die Hand, verbeugt sich oder sagt „Hallo“. Sich zu grüßen, ist ein Akt des Respektes, kann eine Geste des Willkommens sein, der Höflichkeitsetikette oder ein Ausdruck des Erkennens und Anerkennens von Zugehörigkeit. Kluge (1999: 342) vermutet, dass das Wort „Gruß“ aus dem lateinischen Wort „gratus“ abgleitet wurde, welches „lieb“ oder „willkommen“ bedeutet.
Begrüßungen haben in unterschiedlichen Gesellschaften sehr unterschiedliche Formen und gehen mit ritualisierten oder formalisierten Gesten einher. Nach Röhrich (1994: 591) lässt sich aus der Gruß-Sitte einer Gesellschaft ihre „ganze Kulturgeschichte“ ablesen. Die früheste Form des in Deutschland üblichen Grußes – Händedruck oder Handschlag – ist zunächst die Bekundung einer friedlichen Gesinnung durch das Ineinanderlegen der waffenlosen Hand. Auch das Heben der rechten Hand zum Gruß zeigt an, dass die waffentragende Hand leer ist, man sich also in friedlicher Absicht nähert.
Welche Grußform als angemessen gilt, ist nicht nur kulturabhängig, sie ist auch durch den jeweiligen Kontext der Begegnung bestimmt: wie gut sich die Begrüßenden kennen, welche Beziehung sie zueinander haben oder ob es sich um eine formelle oder informelle Begegnung handelt. Weiter spielen Generationszugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zu einer subkulturellen Gruppe eine Rolle, welchen sozialen Status die sich begrüßenden Personen haben und ob sie Mann oder Frau sind.
Bestimmte Grußformen können die Zugehörigkeit zu einer politischen oder sozialen Bewegung ausdrücken – wie die erhobene Faust der Black-Power-Bewegung. Andere Gesten zeigen die Verbundenheit mit einer Sport-, Freundes- oder Interessensgruppe, wie der unter Surfern übliche „Hang Loose“ oder die „gehörnte Hand”, die in der Metal-Szene auch als Grußzeichen eingesetzt wird; auch das „Hook ‘em Horns”, mit dem sich Fans der amerikanischen Football-Mannschaft „Texas Longhorns” der Universität Texas begrüßen oder ihre Mannschaft anfeuern, gehört dazu. Regionale Eigenheiten spielen ebenfalls eine Rolle. Der erhobene kleine Finger – „Klenkes“ – ist beispielsweise in der deutschen Stadt Aachen eine Grußgeste. Es gibt auch Gestenformen, die extreme, verfassungswidrige Meinungen