Taxi nach Paris. Ruth Gogoll. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruth Gogoll
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956090479
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war, aber ich hätte es nicht verkraftet, gegen einen schwächeren zu gewinnen. Ich sah mich heute als die absolute Verliererin. Als der rote Punkt auf der Mattscheibe Kilometer vor mir das Ziel erreichte und mir damit meine Selbsteinschätzung bestätigte, war ich endlich zufrieden.

      Erschöpft ging ich unter die Dusche. Ich schaffte es kaum mehr, in meinem Auto nach Hause zu fahren und die Treppen zu meiner Wohnung zu erklimmen. Ich ließ mich im Trainingsanzug aufs Bett fallen und schlief sofort ein.

      Ein wilder Traum weckte mich. Eine Person stand bei mir im Zimmer. Dinge bewegten sich. Die Tür öffnete sich langsam und warf einen Schatten an die Wand. Dahinter schien sich etwas zu verbergen. Ich griff nach der Lampenschnur und tastete nach dem Schalter. Als das Licht aufflammte, sah ich, dass alles nur Einbildung gewesen war.

      Eine Psychologin hatte mir einmal auf ein ähnliches Erlebnis hin erklärt, solche Ängste seien die Umkehrung einer Wunschvorstellung. Eigentlich möchte man nicht allein sein, aber man ist es. Also stellt man sich vor, jemand wäre da. Leider macht einem das aber genauso viel Angst wie allein zu sein, weil es nicht real ist.

      Meine Ängste beseitigte das leider nicht, auch wenn mir die Erklärung vertraut war. Also ließ ich das Licht brennen, und nachdem ich meine Augen einige Male noch einmal kurz vor dem Einschlafen erschreckt aufgerissen hatte, ließen meine abgenervten Gliedmaßen es nicht mehr zu, dass ich ihnen weiterhin den erholsamen Schlaf verweigerte. Ich schlief sogar mit einem Lächeln auf den Lippen ein, denn das letzte, an das ich denken musste, war ein ähnliches Erlebnis in dem zweiten Studentenwohnheim, in dem ich gewohnt hatte.

      Damals war ich gerade dort eingezogen und hatte einen Angsttraum, der mich aus dem Zimmer trieb. Wie das in Studentenwohnheimen so ist, hatte ich aber eben nur dieses Zimmer. Ich saß also auf dem Gang und traute mich nicht wieder hinein zu den unheimlichen Geistgestalten.

      Nachdem ich schon halb erfroren war (eine Decke konnte ich natürlich auch nicht aus dem Zimmer holen), kam am frühen Morgen ein Kommilitone nach Hause, der selbstverständlich völlig unbeeindruckt war und mich nur zitternd im Schlafanzug auf dem Gang sitzen sah.

      Ich hatte ihn erst einmal gesehen, wir kannten uns also überhaupt nicht, aber seine Bemerkung »Hast du Mäuse im Zimmer?«, riss mich endlich aus meinen tristen Gedanken, weil ich lachen musste.

      Danach konnte ich mein Zimmer wieder betreten und weiterschlafen. Eine solche Bemerkung, einen solchen unbekannten und unverhofften Freund oder natürlich besser noch eine solche Freundin hätte ich mir nun auch gewünscht. Aber diesmal musste ich offensichtlich allein mit der Sache fertigwerden.

      Am nächsten Tag ging ich ins Büro, obwohl ich wusste, dass ich mich kaum würde auf die Arbeit konzentrieren können. Zu Hause zu bleiben schien mir aber der größere Schrecken zu sein. Wie die Mäuse im Zimmer. Und bei Tag hatte ich noch nicht einmal diese Entschuldigung. Also versuchte ich, meine Arbeit auf das Nötigste zu beschränken.

      Ich war sicher nicht die beste Arbeitnehmerin an diesem Tag und schon gar nicht die beste Vorgesetzte. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projektteam waren zwar daran gewöhnt, dass ich nicht immer gleich gelaunt war, aber so hatten die meisten mich sicher noch nie oder lange nicht mehr erlebt. Statt Entscheidungen zu treffen, schob ich sie vor mir her. Ich delegierte, was ich delegieren konnte, aber so schlecht, dass ich dauernd Nachfragen beantworten musste. Und diejenigen, die das Pech hatten, nachfragen zu müssen, mussten sich auch noch von mir anpflaumen lassen.

      Das ging so lange gut, bis ich mich selbst nicht mehr ausstehen konnte. Ich versuchte es noch einmal mit dem Fitnessstudio. Danach kehrte ich etwas entspannter ins Büro zurück und war für den Rest des Tages für meine Umwelt leidlich ertragbar.

      Mich selbst befriedigte mein Unvermögen, die Situation in den Griff zu bekommen, jedoch überhaupt nicht. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich nur zwei Chancen hatte. Entweder ich brachte sie dazu, sich mir gegenüber so zu verhalten, wie ich es mir wünschte, zumindest teilweise, oder ich war dazu verdammt, eine sehr lange Zeit über sie nachzudenken, immer schwankend zwischen Freude und Hoffnung, Enttäuschung und Rechtfertigungen.

      Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich sie zu Ersterem überreden sollte, war die zweite Möglichkeit dermaßen kraftraubend und enervierend, wie ich aus mehrfacher Praxis wusste, dass ich sie lieber vermeiden wollte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich auf das eine – nämlich Sex – verzichten musste, wenn ich das andere – nämlich meine innere Befriedigung – bekommen wollte.

      Eigentlich unvereinbar. Im Zusammenhang mit ihr geradezu unvorstellbar. All unsere bisherigen Begegnungen hatten nur mit Sex zu tun gehabt. Wie sollte ich auf einer anderen Ebene überhaupt an sie herankommen? Unser ganzes Verhältnis – wenn es denn eins gab – beruhte nur auf ›dem Einen‹. Was würde ich einer Frau vorschlagen, die ich gerade erst kennengelernt hatte, einer Frau, mit der ich noch nicht geschlafen hatte und von der ich auch nicht wusste, ob es überhaupt dazu kommen würde?

      Das war eigentlich klar. Ich würde etwas ganz Banales vorschlagen, Kino oder essen gehen zum Beispiel. Tja, warum eigentlich nicht? Schlimmstenfalls konnte sie Nein sagen, und dann würde ich endgültig der Verzweiflung anheimfallen.

      Ich merkte, wie meine masochistische Ader sich für diesen Entschluss begeisterte. Diese Nacht würde ich ausschlafen, und morgen war auch noch ein Tag. Vielleicht ein Tag, um jemand anzurufen . . .

      »Das ist eine etwas ungewöhnliche Verabredung«, sagte sie.

      Das war wirklich ›Welt verkehrt‹. Sie fand es völlig in Ordnung, sich zum Sex zu verabreden, aber eine einfache Einladung zum Essen nannte sie ungewöhnlich.

      Bislang hatte ich essen gehen für eine relativ gewöhnliche Beschäftigung gehalten. Wenn mich die Arbeit in meinem Job nicht gerade davon abhielt, weil sie meine Sozialkontakte mal wieder sabotierte – manchmal rief man mir schon ›Workaholic‹ hinterher –, ging ich zwei- oder dreimal pro Woche mit einer Freundin zum Essen. Selbst zu kochen war bei meinem Arbeitsvolumen oft unmöglich, und es machte mir auch keinen Spaß für mich allein.

      Wenn ich Zeit dazu hatte – was allerdings wirklich sehr selten vorkam –, lud ich am Wochenende ein paar Freundinnen ein und kochte für sie. Entgegen meinem äußeren Erscheinungsbild, das solche ›weiblichen‹ Beschäftigungen nicht gerade nahelegte, kochte ich sehr gut. Meine Aufläufe waren berühmt.

      »Zu ungewöhnlich, um sie anzunehmen?«, fragte ich direkt. Mir schien, es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden. Ihre Entscheidung war vermutlich von Kriterien abhängig, die ich nicht kannte – so wenig, wie ich sie kannte. In meinem Kopf schwirrten ein paar Gedanken umher, was ich tun würde, wenn sie ablehnte: ein paar Luftballons vor ihrem Fenster steigen lassen mit ›Happy Birthday‹ darauf? Ich wusste ja nicht einmal im Entferntesten, wann sie Geburtstag hatte. Was ich auch tat, ich würde mir nur einen Korb holen. Ich liebte es, mich von einer Frau frustrieren zu lassen, in die ich unglücklich verliebt war!

      »Zu ungewöhnlich, um nicht darüber nachzudenken«, sagte sie gerade.

      Sie ließ sich nicht überrumpeln. Weder geschäftlich noch privat. Das konnte ich mir gut vorstellen. Doch ihre kühle Art reizte mich besonders. Ich wollte wissen, was dahintersteckte.

      »Aber ich kann dir jetzt noch keine Antwort darauf geben.«

      Sie fuhr so gleichmütig fort, dass ich mich dafür hätte ohrfeigen können, sie überhaupt angerufen zu haben. Ihr lag überhaupt nichts daran, sich mit mir zu treffen. Außer vielleicht beruflich, aber das war nicht das, was ich ihr angeboten hatte. Oder war es das, was sie abhielt? Musste sie erst entscheiden, in welche Kategorie ich gehörte: Kundin oder – ja, oder was?

      »Kannst du mich nächste Woche noch einmal anrufen?«

      Was! Nächste Woche? Verdammt noch mal, was tat ich denn hier? Sie wollte doch gar nicht! »Ja, sicher. Wann – wann bist du denn am besten zu erreichen?« Die Vorstellung, sie bei der ›Arbeit‹ zu stören, war mir unerträglich.

      »Das merkst du dann schon«, sagte sie.

      Natürlich – entweder sie nahm ab oder sie war ›beschäftigt‹. Warum quälte ich mich so? Weil