Dass zwei Menschen in Einsamkeit und Opposition einen gemeinsamen Weg beschreiten, das hatte sie als zur Ehe dazugehörig anerkannt. Dass aber ihr Glaube, Wille und Stolz dabei aufgebraucht werden sollten, das konnte Sophie nicht akzeptieren. Und als sie dann erschöpft waren, konnte sie es weder Ezra noch sich selbst verzeihen. Sosehr sie auch Ezra seine Dummheiten zur Last legte, sich selbst gab sie viel größere und unumschränktere Schuld dafür, dass sie Ezras Dummheiten erlegen war. Sie versuchte sich einzureden, dass sie Ezra nicht verließe, weil sie erledigt war, sondern weil sie die Niederlage in dieser Ehe ablehnte, sowohl Ezras wie auch ihre eigene, selbst wenn nichts von ihr übriggeblieben war als die Kraft zu dieser Verweigerung. Aber eigentlich ergab das keinen Sinn; und am Ende konnte sie es sich selbst nicht mehr erklären, warum sie Ezra verließ, wieso ausgerechnet jetzt und nicht vor drei Jahren oder nächstes Jahr. Jetzt musste sie das anderen Leuten erklären – Ezra, ihrem Anwalt, der Familie, den Kindern, den Freunden in Paris und New York. Sich selbst hatte sie nichts zu sagen.
Sie hatte keine Lust, mit Ivan, den sie gerade kennengelernt hatte, ihre Ehe zu erörtern. »Ein Missgeschick«, sagte sie zusammenfassend; es störte sie die Art, wie er sie zu diesen Erklärungen zwang, weniger durch direktes Befragen als dadurch, dass er ihr Ausweichen unterhöhlte und seine eigenen Schlüsse zog, gegen die sie sich verwahren musste, bevor er zu weit gegangen war. Anfänglich war es einfach nur lästig, sich gegen sein indirektes Bohren zur Wehr setzen zu müssen, wenn sie sich trafen, um über seinen Untergrundfilm oder ihr Buch zu reden, aber als die Diskussion sich im Verlauf der Woche vertiefte und sie einsehen musste, dass Ivan das Spiel besser beherrschte als sie – sowohl das Erfinden von Umgehungen als auch das Konstruieren von Theorien –, da begann sie sich zu fragen, warum Ivan so sehr daran interessiert war, ihr Verhältnis zu Ezra zu verstehen. War es, um sie verstehen zu können? Aber sie war es doch gar nicht mehr, jedenfalls nicht, wie sie von ihm gesehen werden wollte. War es, um zu verstehen, wie eine Ehe zusammenbricht, insbesondere, was eine Frau einem Mann niemals verzeiht; war es wegen seiner eigenen Zukunft oder wegen eines Films, den er einmal drehen würde? Und darauf hatte sie auch keine Antwort.
Ganz gleich, welche Klärung Ivan vielleicht für sich selbst daraus hatte ziehen wollen, er versuchte jedenfalls, ihr eine andere Sichtweise ihres Lebens zu vermitteln; dies hatte Sophie von Anfang an gespürt und war gerührt von Ivans Ton eifersüchtiger Besorgnis und seiner respektlosen Witzelei über Ezra. Ihre Situation erregte seinen Zorn. Er könne es nicht ertragen, Männer wie Ezra als Sieger hervorgehen zu sehen, erklärte er weiterhin, und er befürchtete, dass sie am Ende doch zu Ezra zurückkehren würde, da er hinter ihrem Ausweichen die Unentschlossenheit spürte. Aber warum sollte ihn das quälen?
Und warum wollte sie Ivan immer wiedersehen? Obwohl diese Gespräche sie beunruhigten und sie sich in seiner Gesellschaft unwohl fühlte – oft genug war er launisch, missmutig, wortkarg, oder wenn er sprach, dann so, als säße er irgendwo im außerirdischen Raum. Erst nachdem sie sich umarmten, wusste sie, dass sie sich seit Wochen eben danach gesehnt hatte.
Jetzt hätte sie gern aufrichtig mit Ivan gesprochen, und sie wusste nicht, wie; plötzlich musste sie infrage stellen, ob sie Ezra überhaupt jemals geliebt habe, angesichts der Liebe, die sie jetzt empfand. Ein Teil von ihr hatte sich hinter ihrem Willen, Ezra zu lieben, versteckt und nie daran teilgenommen. Irgend etwas in ihr hatte sich in der Ehe mit Ezra nicht verändert, und sie hatte es damals als ein gutes Zeichen angesehen; erst jetzt, da das Erlebnis der Liebe sie ganz verändert hatte, musste sie alles neu sichten.
Einerseits die Erkenntnis, dass sie sich Ezra nur geliehen, auf Lebensfrist verpachtet hatte, wobei sie aber einen Teil ihrer Selbst zurückbehielt – andererseits ihre völlig unabsichtliche, planlose Hingabe an Ivan, mit dem sie lediglich eine glückliche Liebesaffäre von drei Wochen genießen wollte; sie wusste nicht, worin da der Sinn lag. Vielleicht lag es an der vorgegebenen Situation: die Ehe erforderte ein Darlehen; wahre und rückhaltlose Hingabe konnte nur stattfinden, wenn kein Gedanke an Dauer auftauchte. Das konnte sie aber nicht ernsthaft glauben; sogar ihr stilles Glück mit Ivan hatte eine Beimischung von Falschheit – welche von beiden akzeptiert und als verkehrt empfunden wurde. Was einfach war, musste verschleiert werden; indem er mehr sein wollte als nur ihr Geliebter, spielte er die Rolle des Geliebten mit einem Anflug von zärtlicher Theatralik. Die Zärtlichkeit war echt, und sie musste sich davor schützen und sich in ein falsches Selbst flüchten, um ihnen beiden vorzumachen, dass sie die wirkliche Person schon zurückgelassen habe, bevor sie nach Paris abflog. Und die ganze Zeit sprachen ihre Augen zueinander: wir tun nur so, als ob wir so tun. Wahrheit mit Falschheit vermischt, sie wussten beide, dass es nicht anders sein konnte, auch ohne zu wissen, wo sie genau standen; wenn auch Ivan immer noch versuchte, ihre Situation zu definieren, er wusste, es war sinnlos und dass alle Aussagen nur dazu dienten, das Miteinanderschweigen zu schützen, das sie mittlerweile so genossen.
»Was wirst du in Paris machen? Wieso eigentlich Paris? «, fragte Ivan. »Und was machst du hier mit mir?«
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