Traumwelten, die in den Salons zur Sprache kamen, wenn sie auch nie wirkliche Gestalt annahmen, nicht annehmen konnten. Er hatte selber in Budapest einen Salon nach deutschem Muster mit errichtet und angeführt. Alle Zeitgenossen berichten, wie sehr Lukács die bestimmende Gestalt dieses Kreises war, bestimmend zwar, aber auch offen, neugierig, vielseitig, überredend charmant. Der Jenaer wie der Berliner Salon des frühen 19. Jahrhunderts nahm in Budapest neue, andere, zeitgemäße Gestalt an. Ab Herbst 1915, als Georg Lukács zum Militärdienst nach Budapest zurückberufen wurde – ohne in den Krieg ziehen zu müssen –, kamen junge Gelehrte sonntags um 17 Uhr zusammen, um über Fragen der Zeit zu diskutieren. Der Dichter Béla Balázs und Lukács versammelten diesen Sonntagskreis um sich, der unter diesem Namen in die Geschichte einging. Der Heidelberger Professor Eberhard Gothein besuchte im Frühjahr 1918 »die jungungarische Akademie«, eine ganz eigenartige, geistreiche, bezaubernde Zusammenkunft mit einem Zusatz Bohème: »Sonntag abends finden sie sich in einem Privathause des Dichters, Balázs, zusammen. Um 8 Uhr bricht alles auf, um in einem benachbarten Gasthaus Abendessen einzunehmen, um dann wieder alle an den gleichen Platz zurückzukehren.« »Diskutieren sei ein Lebenselement der jungen ungarischen Welt«, weiß Gothein seiner Frau nach Heidelberg zu berichten, »es sind Idealisten, als solche vielleicht etwas zu bewusst […] Lukács weiß seine Absichten ebenso liebenswürdig wie dialektisch und mit ständiger Berufung auf seine Autorität durchzuführen.« Und der Gast aus Deutschland fügt hinzu: »Der Ton ist ebenso lebhaft wie gehalten, auch die Frauen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen durchaus ohne Affektation und ohne starre weibliche Dogmatik, die Unterhaltung bald gemeinsam, bald in Gruppen, so wie man es sich wünscht.«
Béla Balázs und Georg Lukács, 1910er Jahre.