Geschichten aus der Anderswelt. Hans-Joachim Rech. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Joachim Rech
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511322
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aber für eine neue Tapete zu sorgen, die schon wenige Tage nach diesem nächtlichen Albtraum durch einen örtlichen Malermeister aufgeklebt wurde.

      "Ist die schön" rief Bernadette immer wieder aus, "ist die schön".

      Das fanden wir auch und waren mehr als erfreut über die wohlwollende Anerkennung unserer Tochter. Allmählich normalisierte sich unser Familienleben, und bald dachte niemand mehr an diese schlimme Nacht im April zurück. Auch Bernadette hatte allem Anschein nach diesem unerfreulichen nächtlichen Ereignis aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Sie schlief fest und ruhig, was uns mehr als befriedigte. In den meisten Fällen werden familiäre Vorgänge dieser Art in absehbarer Zeit zum Gespräch der Nachbarschaft, sei es durch einen selbst, durch die Ehefrau oder durch wohlmeinende Nachbarn oder Schwiegereltern. In unserem Fall kam sicher alles zum Tragen, denn auf einem ihrer Einkäufe in die naheliegenden Geschäfte, wurde meine Frau von einer gleichaltrigen Dame angesprochen, die offensichtlich ein gesteigertes Bedürfnis an einem Gespräch hatte, wobei sicherlich die Neugier die eigentliche Triebfeder ihrer Frage war.

      "Wie geht es denn Bernadette, ihrer Tochter? Ich hoffe doch gut. Nach allem was mir mein Sohn erzählt hat. Sie müssen wissen, mein Sohn und ihre Tochter, die gehen beide in dieselbe Klasse. Ist ja schrecklich für ihr Kind immer solche fürchterlichen Träume zu haben. Mein Mann meint, das hängt bestimmt mit dem Haus zusammen. Da soll während des Krieges was ganz Schlimmes passiert sein. Aber genaues weiß ich auch nicht, bin ja erst in den Fünfzigern geboren. Na ja, ich wünsche Ihnen und Bernadette jedenfalls alles Gute. Vielleicht sehen wir uns ja mal beim Elternsprechtag."

      Meine Frau stand wie verdattert und wusste ihre Gedanken kaum zu ordnen, als Herr Maschultke, der Inhaber des Ladens, nachdem die mitteilsame Dame gegangen war, sich an meine Frau wandte.

      "Entschuldigen Sie, es geht mich ja nichts an, habe nur eben zufällig das Gespräch mit angehört. Wohnen Sie hier in der Nähe. Vielleicht in der Reichenberger Straße?"

      Flackernd beobachteten die Augen des alten Mannes meine Frau, und als diese bejahte und ihm noch den genauen Wohnort nannte, nämlich Ecke Lausitzer Straße, da zuckte es im Gesicht des Ladenbesitzers und er stöhnte laut, wobei er seinen Atem ausblies.

      "Ja, ja - der alte Maibaum. So eine liebenswerte Familie. So nette Leute - wie konnten wir das nur zulassen? Schrecklich - einfach schrecklich."

      "Wer ist Maibaum und was ist schrecklich" fragte meine Frau, aber der alte Maschultke winkte nur ab.

      "Es ist das Beste, wenn Sie umziehen in eine andere Wohnung. Ihre Tochter wird niemals Ruhe finden in diesem Haus. Niemand der diese Zeit erlebt hat, wird jemals zu Ruhe kommen. Glauben Sie mir, es wird mit jedem Jahr schlimmer werden. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun."

      "Nein - nein Herr Maschultke, so einfach ist das nicht. Wir wohnen in diesem Haus, und unsere Tochter hat schreckliche Albträume - aber nur im April. Dann ist es wieder vorbei. Sie wissen anscheinend mehr über dieses Haus als Ihnen lieb ist. Und nun sagen Sie mir bitte, wer ist Maibaum? Bitte - unser Kind soll nicht länger leiden!"

      "Ich weiß doch nichts, nicht mehr als all die anderen hier. Hätte ich Ihnen doch bloß nichts gesagt. Jetzt habe ich den Ärger und Sie wollen eine Antwort. Dann kommen Sie in Gottes Namen heute Abend zu mir, schellen Sie zweimal, ich werde öffnen. Und bringen Sie Ihren Mann mit, sonst glaubt er Ihnen vielleicht nicht. Und nun gehen Sie bitte, ich muss mich um meine Kunden kümmern."

      Zwischen Hoffen und Bangen verließ meine Frau den Kramladen und eilte unserer Wohnung entgegen. Die wildesten Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Was konnte denn so Schreckliches geschehen sein, damals in den Kriegsjahren? Vielleicht sind dort Leute bei einem Bombenangriff umgekommen? Aber dann würde das Haus nicht mehr stehen oder zumindest neu gebaut sein. Es war ein altes Haus, in dem wir unsere Wohnung besaßen, ein Haus, gebaut um die Jahrhundertwände von wohlhabenden Leuten. Wer sich damals so ein Gebäude leisten konnte, der hatte viel Geld. Nein, das war es sicher nicht. Eine Bluttat, ein Mord, war es das? Meine Frau schauderte bei dem Gedanken, dass möglicherweise im Kinderzimmer unserer ältesten Tochter ein Mensch auf gewaltsame Weise um sein Leben gebracht wurde. Jedenfalls ist in unserer Wohnung etwas geschehen, das bis zum heutigen Tage seine Spuren hinterlässt und Bernadette solche Albträume beschert. Und was hat es mit diesem Maibaum auf sich? Der alte Maschultke nannte diesen Namen. Waren das vielleicht die Vormieter oder gar Besitzer dieses Hauses? Wie dem auch sei, wir werden es heute Abend erfahren.

      "Und du meinst, dass Herr Maschultke uns erklären kann, warum Bernadette diese Träume hat? Was hat er genau gesagt? Wir sollten am besten die Wohnung verlassen und uns eine andere Bleibe suchen. Wie stellt der sich das vor - hier in Berlin? Nur weil vor dreißig oder vierzig Jahren in dieser Wohnung oder diesem Haus etwas Schlimmes geschah sollen wir verschwinden?"

      "Dann müssten viele Häuser und Wohnungen geräumt werden, das kannst du mir glauben. Aber vielleicht ist es ja ganz nützlich mit dem alten Maschultke zu sprechen. Warten wir es also ab."

      "Ich bin sicher, dass er uns wichtige Dinge zu sagen hat, Dinge, von denen wir bisher keine Kenntnis hatten und die ganz sicher für Bernadettes Verhalten verantwortlich sind. Wir werden sehen, was uns Herr Maschultke zu sagen hat."

      Der Abend rückte näher und wir baten unsere Nachbarin, Frau Seeliger um Aufsicht unserer Kinder für zwei Stunden, was die freundliche Dame auch sofort bejahte. Mit gemischten Gefühlen machten wir uns auf den Weg zu Maschultke, und nachdem wir zweimal den Klingelknopf betätigten, gab es für uns kein Zurück mehr.

      "Guten Abend Herr Maschultke, vielen Dank, dass Sie uns Ihre kostbare Zeit.“

      "Ja - ja, nun kommen Sie herein, es muss ja nicht jeder sehen, dass Sie zum alten Maschultke kommen. So - die Tür, Ihre Garderobe legen Sie bitte ab - und hier entlang. Meine Frau hat sich bereits zu Bett begeben. - Wir müssen leise sein, ich möchte mir keinen Ärger einhandeln. So - nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten - Cognac - Wein - Bier. Oder eine Schorle - nach Berliner Art. Wäre vielleicht das Beste. Ich trinke auch eine. Bin gleich wieder da."

      Wir sahen uns an und zuckten mit den Schultern, wobei auf unseren Gesichtern mehr Fragen zu lesen waren als ein Lexikon Antworten zu geben in der Lage war.

      "Schöne alte Möbel, und da schau, dieses große Gemälde, ein richtiges Meisterwerk. Sicher alles Erbstücke von Maschultke. Und da in der Vitrine, welch wunderschönes Porzellan. Ob das Meißener ist."

      "Susanne - ich bitte dich, du kannst doch nicht als Gast in einer fremden Wohnung auf Entdeckung ausgehen. Was soll denn Herr Maschultke denken" murmelte ich hinter vorgehaltener Hand.

      "Ich finde solche alten Wohnungen einfach ..."

      "So - da bin ich wieder. Ein Glas für die Gemahlin, eins für den Gemahl und eins für den alten Maschultke. Und schön langsam durch den Strohhalm einsaugen. Mit Genuss. Wohl bekomms."

      Genüsslich sog Maschultke am herb - süßen Getränk, das über alle Maßen erfrischte, jedenfalls wurde das gesagt. Meine Frau und ich taten wie Maschultke und ließen das prickelnde Getränk in unserem Mund zergehen.

      "In der Tat, sehr erfrischend."

      "Ja - so eine gute alte Schorle ist immer noch etwas Besonderes. Zumal wenn die Temperaturen ansteigen. Dann sollte man tunlichst auf Alkohol verzichten. Meine Frau trinkt ohnehin nichts, nicht mal ein Bier. Allenfalls Schorle, aber die besteht dann fast nur aus Apfelsaft. So bin ich für die Kurzhaltung der geistigen Getränke zuständig", lachte Herr Maschultke leise.

      "Aber nun zu Ihnen. Sie leben und arbeiten in Berlin, das ist sehr zu begrüßen. Diese Stadt hat ja immens was zu bieten, nicht nur die Mauer und ihre Insellage. Berlin steckt voller Historie, Kultur und Lebensfreude. Wäre das nicht so, dann hätten die Russen die Stadt längst kassiert." "Ich denke, wir haben es trotz aller Schwierigkeiten ganz gut getroffen. Finden Sie nicht auch? Ach so, wie geht es denn Ihnen und Ihren Kindern" fragte Maschultke vorsichtig.

      "Danke der Nachfrage, uns geht es gut. Die Kinder fühlen sich wohl in Berlin und auch Bernadette hat ihre schlimme Phase überstanden. Sie träumt nicht mehr und schläft jede Nacht durch. Hin und wieder wird sie nachts mal wach, so wie jedes Kind, und dann kommt sie zu uns ins Bett.