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Insofern lässt sich erkennen, dass den Betroffenen selbst in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung trifft, seine Privatsphäre-Einstellungen so einzurichten, dass nicht von einem Öffentlichmachen auszugehen ist. Entscheidend ist auch hier, ob der Kreis der Adressaten für den Betroffenen überschaubar war und ob er wusste und wollte, dass die Informationen für jedermann zugänglich sind.[288]
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Bestehen Zweifel an der Veröffentlichung durch den Betroffenen ist der Ausnahmetatbestand nicht anwendbar.[289] In diesem Sinne ist fraglich, ob auch die Auswertung des Nutzerverhaltens bei Google, Twitter oder Facebook (etwa Suchanfragen, gelikte Beiträge etc.) als offensichtlich öffentlich gemachte Daten gelten können. Da Nutzer oftmals von der Erhebung ihrer Daten mangels hinreichender Transparenz keine Kenntnis besitzen, erscheint das Vorliegen eines Erlaubnistatbestands i.S.v. Art. 9 Abs. 2 lit. e bzw. a äußerst zweifelhaft (vgl. dazu bereits Rn. 47).
168
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Art. 9 Abs. 2 lit. e entsprechende Anwendung auf eine Datenverarbeitung nach Art. 6 finden kann. Als Argument für eine entsprechende Anwendung kann insbesondere angeführt werden, dass wenn bereits eine Veröffentlichung sensibler Daten eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung begründen kann, dies erst recht im Falle einer Datenverarbeitung i.R.v. Art. 6 gelten müsse. Freilich stellt sich die Frage, ob derartige Fallgruppen in der Praxis nicht ohnehin aufgrund eines anderen Erlaubnistatbestandes des Art. 6 zu rechtfertigen sind, etwa im Rahmen einer Interessenabwägung. In diesem Fall wäre für eine entsprechende Anwendung von Art. 9 Abs. 2 lit. e kein Raum.
f) Durchsetzung von Rechtsansprüchen und justizielle Tätigkeiten (Art. 9 Abs. 2 lit. f)
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Einen in praktischer Hinsicht äußerst bedeutsamen Ausnahmetatbestand enthält Art. 9 Abs. 2 lit. f:
„Für die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen dürfen sensitive Daten abweichend vom Verbotsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 nach Art. 9 Abs. 2 lit. f verarbeitet werden. Die Regelung entspricht dabei Art. 8 Abs. 1 lit. e DSRL, wobei die DS-GVO nunmehr die „Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ miteinbezieht. Darüber hinaus ist ErwG 52 zu beachten: Dadurch wird verdeutlicht, dass die DS-GVO ebenfalls im Falle der Verarbeitung sensibler Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden sowie in einem Verwaltungsverfahren oder in einem außergerichtlichen Verfahren Anwendung findet.“[290]
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Hintergrund der Regelung ist dabei die Sicherung der Effektivität der Rechtsdurchsetzung und des Justizgewährleistungsanspruchs (Art. 47 GRCh, Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG): Lässt sich ein geltend gemachter Anspruch oder die Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder ein gerichtliches Verfahren nur durch die Verarbeitung personenbezogener Daten durchsetzen, so soll es daran nicht durch ein Verarbeitungsverbot scheitern.[291]
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Der Begriff der „Rechtsansprüche“ ist deshalb weit auszulegen und bezieht sich sowohl auf deren Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung als auch auf öffentlich-rechtliche wie auch privatrechtliche Rechtspositionen. Die Entstehungsgründe für Rechtsansprüche können vielfältig sein und sich dabei etwa aus vertraglichen