Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Gallus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783863935788
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Lüge“, von der die Weltbühne bereits im Januar 1919 gesprochen hatte12, als ein für allemal erwiesene Geschichtsfabel. Ihrem Ruf Fort mit der Dolchstoßlegende!, wie der Titel einer Broschüre aus der Feder des SPD-Ministers Adolf Köster von 1922 lautete13, folgten aber bei weitem nicht die Angehörigen aller politischen Milieus während der Weimarer Republik. So blieb die Erzählung vom Dolchstoß ein „Haupthindernis der innenpolitischen Verständigung“, wie der Historiker Martin Hobohm 1926 in den Spalten der Weltbühne nochmals festhielt.14

      Innerhalb der politischen Rechten galt der Dolchstoß als unumstrittenes Faktum. In den neu formierten Kreisen der radikal-nationalistischen Alldeutschen und Völkischen erfuhr die These eine weitere Zuspitzung. Nunmehr standen nicht länger einzelne handelnde Politiker und debattierende Parlamentarier aus dem gemäßigt linken und liberal-bürgerlichen Lager („Vaterlandslose“, „Erfüllungspolitiker“) am Pranger, sondern pauschal ganze Gruppen, die als ebenso hinterlistig wie verabscheuenswert galten: „Marxisten“ und „Juden“. Die Dolchstoßthese bediente in dieser verschärften Variante hartnäckige antisozialistische und antisemitische Stereotype. Ein aufmerksamer Beobachter der Zeitläufte wie Ernst Troeltsch hatte schon im März 1919 auf Seiten der radikalen Rechten die Rede von der „charakterlosen jüdischen Demokratie“ einigermaßen besorgt registriert. Noch mehr wunderte er sich aber angesichts der weit über diese Zirkel hinausreichenden Bereitschaft zur Gut- oder Irrgläubigkeit: „Daß das alles Widersinn, Unwahrheit oder gar offenkundige Lüge ist, kümmert die Leute nicht.“15

      Einem breiten rechten Spektrum diente die Dolchstoßthese der Verständigung und Selbstvergewisserung. Ihr kam, wie es Boris Barth in seinem Standardwerk Dolchstoßlegenden und politische Desintegrateion festhielt, die „funktionelle Bedeutung eines ideologischen Bindegliedes zwischen konservativen Eliten und dem Nationalsozialismus“ zu.16 Im „Dritten Reich“ wurde mit großer Gründlichkeit die These vom Dolchstoß ebenso wie vom fatalen Wirken der „Novemberverbrecher“ festgeschrieben. Schließlich galt die Revolution, die faktisch eine Folge des militärischen Zusammenbruchs war, den Nationalsozialisten als Ursache der Niederlage. Einträge zur Dolchstoßlegende wurden aus Büchern, Enzyklopädien und Wörterbüchern verbannt.17 Wie groß der Glaube an diese Geschichtsmär war, sollte sich noch am Ende des Zweiten Weltkriegs zeigen: Bis in die letzten Kriegstage hinein gingen SS-Schergen mit rücksichtsloser Härte gegen Deserteure vor, damit sich ein Dolchstoß nicht wiederholte, der im Nationalsozialismus zum festen Glaubensinventar einer aus der Lüge geborenen neuen Wahrheit geworden war.

      Angesichts der Langlebigkeit dieser Legende kann es kaum verwundern, dass auch nach 1945, zumindest in der ersten Nachkriegszeit, die Sorge vor einer neuen Dolchstoßargumentation zu vernehmen war. Ernst Friedlaender warnte 1947 energisch in der Zeit davor.18 Der Geschichtspädagoge Heinz Schröder veröffentlichte in demselben Zeitraum eine kämpferische Schrift gegen eine neue Legendenbildung, ebenso der am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligte Oberst Wolfgang Müller.19 Alle drei trieb die Sorge um, nunmehr könnten die militärischen Widerstandskämpfer rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg statt als Helden verehrt zu Verrätern gestempelt werden. Friedlaender rief deshalb zu aktivem Handeln eines jeden einzelnen auf: „Der neuen Dolchstoßlegende muß, ehe sie gefährlich werden kann, die Wirklichkeit der Tatsachen entgegengestellt werden. Jeder unter uns hat die ernste moralische und politische Pflicht, in seinem Umkreis dafür zu sorgen, daß aus Leichtgläubigen Ungläubige werden. Selbst im privaten Gespräch bedarf es hierzu des Mutes zur Unpopularität.“

      Wer sich die öffentliche Würdigung des Widerstands gegen Hitler in der frühen Nachkriegszeit vor Augen führt, der weiß, dass die Sorge vor der Wiederbelebung einer derart transformierten Dolchstoßlegende durchaus ihre Berechtigung hatte20, zumal der Wille zu nationaler Selbstkritik, wie Friedlaender notierte, nicht besonders ausgeprägt war, der Wunsch nach Entlastungsstrategien dagegen groß. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland aber nach 1945 ein zerstörtes und besetztes Land, das sich für Holocaust und Kriegsverbrechen zu verantworten hatte. Mit der Politik einer re-education setzten die Alliierten frühzeitig ein Signal für demokratische politische Bildung. Ebenso achteten sie darauf, die Wiederholung einer nationalen Demütigung, wie sie mit der Chiffre „Versailles“ verbunden wird, zu vermeiden. Diese gewandelten Ausgangsbedingungen trugen dazu bei, dass sich schließlich die „ganze brutale Wahrheit“ durchsetzte, wie sie bereits Schröder eindringlich in seiner Streitschrift gegen eine neuerliche Mythenbildung gefordert hatte.21 Siegfried und Hagen behielten fortan ihre Rollen in der Nibelungensage, ein künftiger Auftritt in einem neuen Dolchstoßdrama jedoch blieb ihnen versagt.

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