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Der Gesetzgeber wollte durch die Trennung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung keinen neuen Arzttyp im Sinne eines Berufsbildes schaffen.[76] Die aber inzwischen nicht nur abrechnungstechnisch, sondern auch in der Bedarfsplanung und bei der Honorarverteilung vollzogene Trennung hatte zur Folge, dass sich der ursprüngliche allgemeinärztliche Generalist, wie auch der Internist ohne Schwerpunktbezeichnung, zu einem in seinem Tätigkeitsbereich erheblich eingeschränkten vertragsärztlichen Hausarzt gewandelt hat. Da bei der Ausschreibung hausärztlicher Praxissitze nach § 103 Abs. 4 S. 7 SGB V seit dem Jahre 2006 vorrangig Allgemeinärzte zu berücksichtigen sind, gehört auch der hausärztliche Internist ohne Schwerpunktbezeichnung einer aussterbenden Arztgattung an. Damit wurde zwar nicht rechtlich verpflichtend, aber faktisch unumstößlich der „Hausarzt“ als neuer Arzttyp neben den „Fachärzten“ manifestiert.[77]
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Auf der anderen Seite sah sich der Gesetzgeber veranlasst, einem absehbaren Rückgang der Zahl der Hausärzte durch Überalterung entgegen zu wirken. Dazu hat er durch das GKV-VSG § 75a SGB V geschaffen, mit dem die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gefördert werden soll. Laut Abs. 3 sollen bundesweit mindestens 7.500 Weiterbildungsstellen im ambulanten und stationären ohne Begrenzung nach oben gefördert werden. Vertragsärzte erhalten bis zum 30.6.2020 monatlich 4.800 €, ab 1.7.2020 sogar 5.000 € pro genehmigter Weiterbildungsstelle, die als Gehaltszuschuss für den Weiterbildungsassistenten verwendet werden dürfen. Maßgeblich ist die Vereinbarung der DKG, KBV und Spitzenverband Bund nach Abs. 4. Die Kosten teilen sich nach Abs. 1 S. 2 KV und Krankenkassen. Weitere 1.000 Stellen bundesweit sollen nach Abs. 9 zu Gunsten der Weiterbildung grundversorgender Fachärzte gefördert werden. Das soll vor allem Kinder- und Jugendärzten, aber auch Gynäkologen und Augenärzten zu Gute kommen.
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In unterversorgten Gebieten können die KV aus Mitteln des Strukturfonds nach § 105 SGB V Zuschüsse zu den Investitionskosten bei Neuniederlassungen und Sicherstellungszuschläge an dort tätige Vertragsärzte bezahlen. In Anspruch nehmen können dies alle Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, wobei die wichtigste Zielgruppe die Hausärzte in ländlichen Regionen sind.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › IV. Die psychotherapeutische Versorgung
1. Die Bedeutung des Psychotherapeutengesetzes
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Nach § 28 Abs. 3 SGB V gehört die psychotherapeutische Behandlung zur vertragsärztlichen Versorgung. Zuständig waren früher mangels anderweitiger Leistungserbringer die Vertragsärzte, welche allerdings die Nachfrage mangels entsprechender Zusatzausbildungen nicht befriedigen konnten. Die Krankenkassen waren dadurch genötigt, die psychotherapeutische Versorgung ihrer Versicherten anderweitig zu ermöglichen, in der Regel durch Erstattung der Kosten der Inanspruchnahme psychologisch tätiger Heilpraktiker.[78]
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Seit Inkrafttreten des PTG[79] zum 1.1.1999 gibt es ein kodifiziertes Berufsrecht für die beiden neu geschaffenen nichtärztlichen Heilberufe, namentlich den psychologischen Psychotherapeuten und den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.[80] Das Gesetz regelt in § 2 die Anforderungen an die Erteilung der Approbation und ermöglicht zusammen mit den bei Erlass eingefügten Abs. 10–13 des § 95 SGB V, die Zulassung der approbierten Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Versorgung als gleichberechtigte Leistungserbringer neben den Ärzten und Zahnärzten (ausführlich dazu siehe Rn. 546 ff.).[81] Um die Integration der psychotherapeutischen Versorgung in die vertragsärztliche Versorgung und der Psychotherapeuten in die ärztliche Selbstverwaltung sollen sich nach § 79b SGB V ständige beratende Fachausschüsse für Psychotherapie bei den KV und der KBV kümmern.
2. Inhalt und Umfang der psychotherapeutischen Versorgung
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§ 28 Abs. 3 SGB V ist auch nach der Neufassung durch das PsychRefG[82] eine im Vergleich zu den vorangehenden Absätzen der Vorschrift verunglückte Regelung, weil sie keinerlei inhaltliche Umschreibung der psychotherapeutischen Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung enthält, sondern nur darauf verweist, dass die Psychotherapeuten zugelassen sein müssen.
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Die psychotherapeutische Versorgung ist in § 73 Abs. 2 SGB V nicht aufgezählt. Da aber nach § 72 Abs. 1 S. 2 SGB V die für Ärzte geltenden Vorschriften und damit auch § 73 Abs. 2 Nr. 1–14 SGB V für Psychotherapeuten entsprechend gelten, nehmen § 73 Abs. 2 S. 2 bis 6 SGB V die zahnärztliche Behandlung, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Schwangerschaftsbetreuung, die Anordnung von Hilfeleistungen, die Ausstellung von AU-Bescheinigungen, künstliche Befruchtungen, Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbrüche aus der psychotherapeutischen Versorgung wieder aus und verweisen i.Ü. auf die Psychotherapie-Richtlinien des G-BA.[83]
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Was unter Ausübung von Psychotherapie zu verstehen ist, definiert § 1 Abs. 2 PTG als jede, mittels wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren oder Methoden vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Da sich diese Definition letztlich darauf zurückführen lässt, dass Psychotherapie ausgeübt wird, wenn sie nach dem Krankheitsbild indiziert ist, hilft sie konkret bei der Bestimmung des Leistungsspektrums des Versorgungsbereichs nicht weiter.
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Entscheidend für die Konkretisierung der psychotherapeutischen Leistungen als Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind die Psychotherapie-Richtlinien des G-BA. Nach den im Jahr 2019 neu gefassten RL kann Psychotherapie erbracht werden, wenn eine Indikation im Sinne von § 27 attestiert wird und kein Ausschlussgrund nach § 1 Abs. 5 gegeben ist.
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Zur vertragsärztlichen Versorgung werden in § 15 RL drei Behandlungsformen als anerkannte Therapieverfahren zugelassen, nämlich die psychoanalytisch begründeten Verfahren nach § 16 RL in Form der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (§ 16a RL) und der analytischen Psychotherapie (§ 16b RL), die Verhaltenstherapie (§ 17 RL) und neu die systemische Therapie (§ 18). Die Verfahren dürfen nicht kombiniert werden (§ 19 RL). Als Anwendungsformen stehen Einzel- oder Gruppentherapie und Mehrpersonensetting oder einer Kombination daraus zur Verfügung (§§ 20, 21 RL). Des Weiteren gehört noch die psychosomatische Grundversorgung nach §§ 24 ff. RL durch Ärzte mit entsprechendem Fachkundenachweis zum Leistungsspektrum innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung.
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Die Qualifikation in anerkannten Therapieverfahren ist in der Bedarfsplanung zu berücksichtigen und spielt eine Rolle bei der Bewerberauswahl im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V und bei der Erteilung von Sonderbedarfszulassungen (siehe Rn. 575 ff.).[84]
8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung