Eine länderübergreifende Amtshilfe wird allgemein und umfassend als „grenzüberschreitende“ Hilfe bezeichnet (vgl. BVerwG U 6.2.1986 – 3 C 74/84, juris = NVwZ 1986, 467).
5. Forderungsvollstreckung eines Landes im anderen Land
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Diese grundsätzliche Rechtslage besteht auch bei Pfändungsverfügungen wegen einer Geldforderung. Denn die Vollstreckungsbehörde eines Landes darf nicht in die Hoheit eines anderen Landes einwirken. Ihre Pfändungsverfügung wäre nichtig (BGH U 22.5.1970 – IV ZR 1008/68, juris Rn. 17 = BGHZ 64, 157 (164)). Nach weniger strenger Auffassung ist sie nur rechtswidrig (VG Leipzig B 8.12.1999 – 6 K 2131/99, juris = NVwZ 2000, 1321).
Nichtigkeit ist abzulehnen. Statt dessen ist § 46 VwVfG oder § 127 AO anzunehmen. Danach kann die Aufhebung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes, der nicht nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist. Allerdings muss hierbei offensichtlich sein, dass die Verletzung der örtlichen Zuständigkeit die Entscheidung in der Sache nicht beeinträchtigt hat (so zutreffend OVG Lüneburg B 2.2.2006 – 9 LA 32/04, juris = NVwZ-RR 2006, 375). Die gleiche Regelung ist in § 42 SGB X enthalten.
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Allerdings können die Länder in ihrem Hoheitsgebiet Vollstreckungsmaßnahmen inländischer Vollstreckungsbehörden zulassen. Das ist bei Pfändungsverfügungen notwendig, bisher aber nur in folgenden Ländern geschehen:
(1) Baden-Württemberg: § 15 Abs. 2, Abs. 3 LVwVG. Hier ist eine Zustellung im Wege der Postzustellung vorgesehen.
(2) Brandenburg: § 24 VwVGBbg.
(3) Hessen: § 45 Abs. 3, Abs. 4 HessVwVG.
(4) Niedersachsen: § 45 NVwVG.
(5) Nordrhein-Westfalen: § 40 Abs. 3, Abs. 4 VwVG NRW. Dazu erkennt das OVG Münster: Dem Land Nordrhein-Westfalen fehlt die Verbandskompetenz, die länderübergreifende Zustellung einer Forderungspfändung zuzulassen, soweit bei der Zustellung eine Zustellungshandlung in einem anderen Bundesland erforderlich ist. Denn die Zustellung ist eine hoheitliche Rechtshandlung. Der Wortlaut der Regelung in § 40 Abs. 4 Buchst. b VwVG NRW ist daher einschränkend auszulegen (OVG Münster B 14.7.2011 – 13 B 696/11, juris = GewArch 2011, 398).
(6) Rheinland-Pfalz: § 43 Abs. 4, Abs. 5 LVwVG.
(7) Sachsen: § 15 Abs. 2, Abs. 3 SächsVwVG.
(8) Thüringen: § 38 Abs. 2, Abs. 3 ThürVwZVG
6. Zwischenstaatliche Amtshilfe bei Steuern
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Die Rechtsgrundlagen der zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung ergeben sich aus dem Recht der Europäischen Gemeinschaften (Richtlinie 76/308/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/44/EG – EG-Beitreibungsrichtlinie, ABl. L 175 vom 28.6.2001 S. 17 –), aus einer Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen sowie aus Verträgen über Amtshilfe und Rechtshilfe in Steuersachen. Die EG-Beitreibungsrichtlinie ist durch das deutsche EG-Beitreibungsgesetz (BStBl. I 2003 S. 319 ff.) in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Die Doppelbesteuerungsabkommen und die Verträge über Amtshilfe und Rechtshilfe sind völkerrechtliche Vereinbarungen, die gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG durch deutsche Zustimmungsgesetze innerstaatliches Recht geworden sind.
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Insoweit wird verwiesen auf das Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) vom 19.1.2004 (BStBl. I 2004, S. 66 ff.).
Anhang: Vergleichbares Landesrecht
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(1) Baden-Württemberg: § 2, § 3, § 4 Abs. 3, §§ 5–11, § 13, §§ 15–17 LVwVG. Nach § 15 Abs. 1 sind auf die Beitreibung hauptsächlich Vorschriften der Abgabenordnung sinngemäß anzuwenden.
(2) Bayern: Art. 19 Abs. 2, Art. 21, Art. 22, Art. 25, Art. 28 VwZVG. Gemäß Art. 25 Abs. 2 gelten für das Verfahren der Finanzämter bei der Vollstreckung die Vorschriften der Abgabenordnung. Art. 21 regelt Einwendungen gegen die Vollstreckung, die den zu vollstreckenden Anspruch betreffen (dazu BVerwG U 3.6.1983 – 8 C 43/81, juris = NVwZ 1984, 168).
(3) Berlin: § 8 Abs. 1 VwVfG Berlin verweist auf VwVG.
(4) Brandenburg: § 2, 22 VwVGBbg.
(5) Bremen: § 2 Abs. 1 BremGVG. Hier gelten Vorschriften der Abgabenordnung.
(6) Hamburg: § 5, §§ 30–37 HmbVwVG.
(7) Hessen: § 2, § 3, §§ 5–11, §§ 15–65, § 66 Abs. 3, § 67 HessVwVG. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz.
(8) Mecklenburg-Vorpommern: § 111 Abs. 1 VwVfG M-V = § 5 Abs. 1 VwVG (ohne § 249 AO).
(9) Niedersachsen: §§ 2–59 NVwVG. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz.
(10) Nordrhein-Westfalen: § 3, § 5, §§ 7–54 VwVG NRW. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz. Wird die Vollstreckung von den Finanzämtern vorgenommen, so ist sie gemäß § 3 Abs. 1 nach den für die Finanzämter geltenden Bestimmungen durchzuführen.
(11) Rheinland-Pfalz: § 2, § 5, §§ 7–60, § 68 Abs. 2, § 70, § 71, §§ 73–82 LVwVG. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz. § 16 Abs. 2 regelt Einwendungen, die den Anspruch selbst betreffen (vgl. OVG Koblenz B 17.11.1981 – 1 B 60/81, juris = S. NJW 1982, 2276S. Nr. ). Eine Präklusion gilt auch für den Rechtsnachfolger (OVG Koblenz U 26.6.1983 – 8 A 62/83, juris L, NVwZ 1985, 431).
(12) Saarland: §§ 3–10, §§ 32–76 SVwVG. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz.
(13) Sachsen: §§ 4–6, §§ 8–10, §§ 14–17 SächsVwVG. Gemäß §§ 14–16 gelten für die Beitreibung Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend.
(14) Sachsen-Anhalt: §§ 7–59, 64–66, 68 VwVG LSA. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz.
(15) Schleswig-Holstein: §§ 264–268, §§ 272–322, § 324 LVwG. Das Land hat ein eigenständiges Gesetz.
(16) Thüringen: §§ 22–29, § 31, § 35 Abs. 1, §§ 38–41 ThürVwZVG. Gemäß § 35 Abs. 1 gelten für das Verfahren der Finanzämter bei der Vollstreckung die Bestimmungen der Abgabenordnung.
Kapitel I Kommentar zum Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) › Erster Abschnitt Vollstreckung wegen Geldforderungen