Lit.:
D. Blumenwitz, Uti possidetis iuris – uti possidetis de facto. Die Grenze im modernen Völkerrecht, in: Raum und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, 377; H. Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, 2000; H. Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: FS für J. Spiropoulos, 1957, 265.
I. Allgemeines
Der Begriff der Effektivität kann im Zusammenhang mit dem Völkerrecht in zwei unterschiedlichen Bedeutungsvarianten verwendet werden: Zum einen kann damit die Frage nach der praktischen Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen gemeint sein. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach der Geltung (dem → Rechtscharakter, Geltungsgrund und Legitimität) des Völkerrechts überhaupt und wird insoweit vor allem von denjenigen thematisiert, die dem Völkerrecht mit Blick auf seine Durchsetzungsschwäche den Rechtscharakter absprechen. Darüber hinaus ist die so verstandene Frage nach der Effektivität des Völkerrechts vornehmlich eine rechtssoziologische, d. h. es geht um die Ermittlung derjenigen Faktoren, die vorliegen müssen, damit eine Norm in der Rechtswirklichkeit befolgt wird.
Der Begriff der Effektivität des Völkerrechts kann jedoch auch in einem zweiten, normativen Sinne verwendet werden. Dabei geht es um den Befund, dass das Völkerrecht in stärkerem Maße als das nationale Recht an faktische Gegebenheiten anknüpft und diese rechtlich sanktioniert (ex factis ius oritur). Damit freilich sieht sich das Völkerrecht dem Vorwurf ausgesetzt, es kapituliere vor der Faktizität der Ereignisse und höbe sich damit zugleich selbst auf. Dem wird man im Ergebnis nicht zustimmen können: Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, kommt der Anknüpfung an die Effektivität gewisser Sachverhalte im Völkerrecht vor allem eine Publizitätsfunktion zu, die wiederum aus dem dezentralen Charakter des Völkerrechts – dem Fehlen einer zentralen Rechtsetzungs- und -durchsetzungsinstanz, wie sie in innerstaatlichen Fällen der Staat mit seinem Gewaltmonopol darstellt – erklärlich ist. Zugleich ist das Abstellen auf die Effektivität im Völkerrecht Ausdruck seines traditionell wertneutralen Charakters. Daraus folgt zugleich, dass in dem Maße, wie das Völkerrecht in jüngerer Zeit zunehmend mit bestimmten Werten aufgeladen wird, das Effektivitätsprinzip zurückgedrängt wird (hierzu näher unter IV.).
II. Abgrenzung
Bevor dem so verstandenen Effektivitätsprinzip im Völkerrecht nachgegangen werden kann, gilt es einige Fälle auszusondern, die zwar regelmäßig in dem vorliegenden Zusammenhang genannt werden, die jedoch mit dem völkerrechtsspezifischen Effektivitätsprinzip nicht in Verbindung zu bringen sind. Dabei handelt es sich zum einen um das Rechtsinstitut der Ersitzung (→ Gebietserwerb), zum anderen um die sog. clausula rebus sic stantibus. Das Völkergewohnheitsrecht kennt mit dem Rechtsinstitut der Ersitzung einen Erwerbstitel, der zweifellos in besonderem Maße auf die effektive Situation abstellt, indem an die ungestörte, ununterbrochene und unbestrittene Herrschaftsausübung über geraume Zeit mit entsprechenden Herrschaftswillen (animus domini) die Rechtsfolge des Gebietserwerbs geknüpft wird. Dass die Ersitzung vorliegend nicht als ein Fall des völkerrechtsspezifischen Effektivitätsprinzips angesehen wird, hängt damit zusammen, dass das Rechtsinstitut der Ersitzung trotz gewisser Unterschiede grds. auch im nationalen Recht bekannt ist (z. B. § 937 BGB). Die Ersitzung ist damit nicht auf die strukturellen Besonderheiten des Völkerrechts zurückzuführen, sondern stellt vielmehr eines der Institute dar, mittels derer rechtsordnungsübergreifend ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Sein und Sollen vermieden wird.
Entsprechendes gilt für die aus dem Völkervertragsrecht bekannte clausula rebus sic stantibus (Art. 62 WVRK; Sart. II, Nr. 320), die im innerstaatlichen Recht mit dem Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage korrespondiert. Beide Institute verfolgen das Ziel, ein für die Vertragspartner aufgrund nachträglich eingetretener faktischer Veränderungen nicht länger zumutbares Festhalten am Vertrag zu beenden. Auf diese Weise wird – wiederum rechtsordnungsübergreifend – ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Sein und Sollen vermieden.
1. Entstehung von Staaten
Als ein erstes Anwendungsbeispiel des Effektivitätsprinzips im Völkerrecht sind die Voraussetzungen für die Begründung von Staatlichkeit zu nennen. Nach der auf Georg Jellinek zurückgehenden Drei-Elemente-Lehre ist ein → Staat durch das Vorliegen von → Staatsgebiet, → Staatsvolk und → Staatsgewalt gekennzeichnet. Allerding ist nicht jegliche Form von Staatsgewalt ausreichend, vielmehr muss die Staatsgewalt von anderen Staaten unabhängig sein und sich mit Aussicht auf Dauer etabliert haben. Da die → Anerkennung eines Staates nach der heute ganz herrschenden deklaratorischen Theorie nicht als viertes Tatbestandsmerkmal hinzutritt, kommt dem Faktischen – dem Vorliegen effektiver Staatsgewalt – hier augenscheinlich rechtsbegründende Wirkung zu.
Dem ist indes nicht so: Wie bereits vorstehend angedeutet, hat das Effektivitätsprinzip in diesem Fall vor allem Publizitätsfunktion. Da in der dezentral organisierten Völkerrechtsordnung keine Instanz existiert, die autoritativ über das Vorliegen von Staatlichkeit entschiede, ist Zurückhaltung bei einer vorschnellen Bejahung von Staatlichkeit geboten. Bedeutung kommt dem vor allem bei Sezessionsprozessen zu, indem der sezedierende Staatsteil nur und erst dann als eigenständiger Staat anerkannt wird (werden darf), wenn er sich von dem Mutterstaat effektiv und mit Aussicht auf Dauer losgelöst hat. Auch wenn es sich bei dieser Frage um eine wertungsmäßige Prognoseentscheidung handelt, die von den Staaten naturgemäß unterschiedlich beurteilt werden kann, verhindert doch das Abstellen auf die Effektivität der Staatsgewalt, dass Staaten in interne Konflikte hineingezogen werden. In diesem Sinne hat das Effektivitätsprinzip auch eine friedenswahrende Funktion. Darüber hinaus wird durch das Erfordernis der Effektivität der Staatsgewalt verhindert, dass Entitäten als Staaten anerkannt werden, die nicht in der Lage sind, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen auf dem eigenen Territorium durchzusetzen. Insofern mag von einer Rechtsgewährleistungsfunktion gesprochen werden.
Die Bedeutung der hier als vorrangig angesehenen Publizitätsfunktion lässt sich deutlich im Falle des Untergangs von Staaten belegen. Bekanntlich ist das Völkerrecht bei der Annahme eines Untergangs von Staaten sehr zurückhaltend. Nur und erst, wenn die Staatsgewalt endgültig und dauerhaft entfallen ist, geht ein Staat unter. Das führt dazu, dass bisweilen der Fortbestand eines Staates trotz eigentlichen Entfallens der Staatsgewalt fingiert wird. Mit dem Effektivitätsprinzip steht das nicht notwendigerweise in Widerspruch: Da dem Publizitätserfordernis bereits bei der Entstehung des Staates genügt worden ist, tritt dieser Aspekt beim Entfallen effektiver Staatsgewalt in den Hintergrund. Vorrangig ist aus Sicht des Völkerrechts nun vielmehr das Bestreben, die Entstehung staatsfreier Räume zu vermeiden, indirekt somit wiederum das Ziel der Friedenssicherung.
2. Anerkennung von Regierungen
Vergleichbare Überlegungen gelten für die Anerkennung von Regierungen. Zwar interessiert sich das Völkerrecht im Regelfall nicht für die Frage, ob eine Regierung auf verfassungsmäßige Art und Weise in ihr Amt gelangt ist. Insbesondere nach revolutionären Umbrüchen kann sich aber das Bedürfnis nach einer Anerkennung der neuen Regierung stellen. Auch hier dient das Abstellen auf die Effektivität der Regierung dem Publizitätsgedanken. Mittelbar kommt wiederum der Gedanke der Friedenserhaltung zum Tragen: Indem eine revolutionär an die Macht gelangte Regierung nur und erst bei effektiver Ausübung der Herrschaftsgewalt anerkannt werden darf,