Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hat der Konflikt zwischen dem Fiskalzweck und den Lenkungsaufgaben Einfluss auf das Merkmal einer entscheidungsneutralen Besteuerung. Die Besteuerung gilt dann als entscheidungsneutral, wenn es durch die Besteuerung nicht zu einer Änderung der Vorteilhaftigkeitsreihenfolge von Handlungsalternativen kommt (Rangfolgeninvarianz):[1] Entscheidet sich der Steuerpflichtige ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte für eine bestimmte Handlungsalternative (zB die Investition A), ist die Besteuerung dann entscheidungsneutral, wenn er unter Beachtung der Steuerwirkungen dieselbe Handlungsalternative auswählt. Fällt seine Entscheidung unter Einbezug der Besteuerung anders aus als ohne Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen (beispielsweise zugunsten der Investition B), wird das Ziel der Entscheidungsneutralität der Besteuerung verletzt. Ein entscheidungsneutrales Steuersystem hat zum einen den Vorteil, dass es mit dem (steuerrechtlichen) Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vereinbar ist. Zum anderen wird dadurch auch der Fiskalzweck der Besteuerung nicht verletzt. In einem entscheidungsneutralen Steuersystem wählt ein Steuerpflichtiger die Handlungsalternative, die gemessen an seinen nichtsteuerlichen Zielen vorteilhaft ist. Dass die im Steuerrecht enthaltenen Lenkungsnormen einen Verstoß gegen die Entscheidungsneutralität der Besteuerung darstellen, ist leicht zu begründen: Eine Besteuerungsnorm muss aneutral wirken, wenn sie beabsichtigt, den Steuerpflichtigen zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte nicht getroffen hätte.[2] Die Beurteilung dieses Zielkonflikts hängt von dem subjektiven Werturteil ab, in welchen Fällen und in welchem Umfang akzeptiert oder gefordert wird, dass über die Besteuerung der unternehmerische Entscheidungsprozess beeinflusst werden darf.
Anmerkungen
Vgl Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. Aufl., Wiesbaden 1992, S. 173; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung, München/Wien 2002, S. 24–30, S. 79–88; Wagner, StuW 2005, S. 97.
Vgl Wagner, FA 1986, S. 32; Wagner, DB 1991, S. 5.
Erster Teil Steuerliche Gewinnermittlung › Erster Abschnitt Konzeption der Steuerbilanz › B. Methoden der Gewinnermittlung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
B. Methoden der Gewinnermittlung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
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Im ersten Schritt wird das Konzept der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG vorgestellt. Die Gewinnermittlung durch eine Steuerbilanz setzt voraus, dass eine steuerliche Buchführungspflicht besteht. Im zweiten Schritt werden die Grundzüge der weiteren, bei Gewerbetreibenden möglichen Gewinnermittlungsmethoden (Einnahmen-Ausgabenrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr nach § 5a EStG sowie Schätzung des Gewinns nach § 162 AO) beschrieben.[1] Aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung ist im dritten Schritt der Zeitraum festzulegen, für den die Gewinnermittlung durchzuführen ist (§ 4a EStG).
Anmerkungen
Zu den bei den anderen Einkunftsarten geltenden Einkunftsermittlungsmethoden und deren Anwendungsbereich siehe Band I, Rn. 162 ff.
1. Anwendungsbereich der Steuerbilanz: steuerliche Buchführungspflicht
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Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind im Regelfall durch einen Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG zu ermitteln. Diese Gewinnermittlungsmethode baut auf der Finanzbuchhaltung auf. Sie ist bei Gewerbetreibenden in folgenden Fällen anzuwenden:
– Derivative steuerliche Buchführungspflicht. Wer nach handelsrechtlichen Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen, hat diese Verpflichtung auch für die Besteuerung zu erfüllen (§ 140 AO). Nach § 238 HGB ist buchführungspflichtig, wer Kaufmann ist. Einzelunternehmen und Personengesellschaften (OHG, KG) sind Kaufmann, wenn sie ein Handelsgewerbe betreiben, dh wenn sie einen Gewerbebetrieb unterhalten, und wenn der Umfang der Aktivitäten so umfangreich ist, dass ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist (§ 1 – § 6, § 238 HGB). Kapitalgesellschaften sind aufgrund ihrer Rechtsform generell Kaufmann. Damit sind GmbH, UG, AG, SE und KGaA unabhängig von der Art ihrer Geschäftstätigkeit handels- und steuerrechtlich buchführungspflichtig (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 3 Abs. 1 AktG iVm § 6 Abs. 1 HGB).
Einzelkaufleute sind ausnahmsweise nicht buchführungspflichtig, wenn sie an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren Umsatzerlöse von nicht mehr als 600 000 € erzielen und ihr Jahresüberschuss 60 000 € nicht übersteigt (§ 241a HGB).[1]
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– Originäre steuerliche Buchführungspflicht. Einzelunternehmen oder Personengesellschaften (GdbR), die nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb benötigen, sind nicht Kaufmann. Sie sind deshalb nach dem HGB nicht buchführungspflichtig. Handelsrechtlich nicht buchführungspflichtig sind auch die Einzelkaufleute, die die in § 241a HGB kodifizierten Umsatz- und Gewinngrenzen nicht überschreiten. Für diese Gewerbetreibenden besteht eine eigenständige steuerliche Buchführungspflicht, sofern sie im Wirtschaftsjahr[2] einen Umsatz von mehr als 600 000 € oder einen Gewinn von mehr als 60 000 € erzielen (§ 141 Abs. 1 AO).
Die originäre steuerliche Buchführungspflicht ist vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf die Buchführungspflicht hingewiesen hat. Die Buchführungspflicht endet mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Finanzbehörde feststellt, dass die Voraussetzungen für die eigenständige steuerliche Buchführungspflicht nicht mehr bestehen (§ 141 Abs. 2 AO).
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– Freiwillige Buchführung. Eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn ein Gewerbetreibender freiwillig Bücher führt und einen Jahresabschluss aufstellt. Dieser Fall kommt ausnahmsweise zur Anwendung, wenn ein Steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezieht, aber weder ein kaufmännisches Gewerbe betreibt noch die Grenzen für die originäre steuerliche Buchführungspflicht erreicht.
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– Der Vergleich der Buchführungspflicht nach dem HGB bzw nach der AO zeigt, dass bei Einzelunternehmen zwischen handels- und steuerrechtlicher Buchführungspflicht grundsätzlich Übereinstimmung besteht: Größere Einzelunternehmen sind sowohl handels- als auch steuerrechtlich buchführungspflichtig (§ 140 AO). Die Ausnahmen für kleinere Unternehmen sind weitgehend deckungsgleich (§ 241a HGB bzw § 141 AO). Abweichungen treten nur auf, soweit der handelsrechtliche Jahresüberschuss und der nach steuerrechtlichen Regeln ermittelte Gewinn bzw die Umsatzerlöse nach Handelsrecht und die Umsätze im steuerrechtlichen Sinne auseinander fallen.[3]
Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG) und Kapitalgesellschaften sind generell sowohl nach Handelsrecht als auch nach Steuerrecht buchführungspflichtig (§ 238 HGB bzw § 140 AO). Personengesellschaften,